Türkische Armee tötet Vertreterinnen der Autonomieverwaltung von Rojava

Astana-Syrien-Gespräche fanden letztmals statt, schreibt Nick Brauns
Veröffentlicht: 21. Jun 2023 - Zuletzt Aktualisiert: 21. Jun 2023

Im Vorfeld der Syrien-Gespräche in der kasachischen Hauptstadt Astana Mitte der Woche hat die türkische Armee ihren «Krieg niedriger Intensität» gegen die Autonomieverwaltung von Nord- und Ostsyrien (­AANES) mit Drohnenangriffen und Artilleriebeschuss auf Wohngebiete deutlich gesteigert. Gezielt wurden dabei am Dienstag nachmittag zivile Vertreterinnen der Autonomieverwaltung, die auf dem Rückweg von einer Sitzung des Kantonalrates in der Stadt Kamischli waren, auf der Strasse nach Tirbespiye von einer Drohne beschossen. Die Kovorsitzende des Kantons, Jusra Darwisch, ihre Stellvertreterin, Liman Siwes, sowie der Fahrer des Wagens, Furat Tuma, wurden dabei getötet. Zu ihrer Rettung aus dem brennenden Fahrzeug herbeigerufene Landarbeiter seien geflohen, als die türkische Armee ein nahegelegenes Dorf unter Beschuss nahm, berichtete der bei dem Drohnenangriff lediglich verletzte Kantonalratskovorsitzende Gabi Schamun am Mittwoch der nordsyrischen Nachrichtenagentur Anha. Seit Anfang letzter Woche sind sieben Zivilisten und 14 Milizionäre durch Drohnenangriffe in der auch als Rojava bekannten Autonomieregion ums Leben gekommen.

Die westlichen Verbündeten der Türkei äusserten sich nicht öffentlich zum neuerlichen Kriegsverbrechen ihres NATO-Partners. Das deutsche Auswärtige Amt verfolge die Lageentwicklung in Nordsyrien intensiv, war auf jW-Nachfrage zu den Morden an den kurdischen Feministinnen aus dem Auswärtigen Amt zu hören, dessen Leiterin Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen) eine »feministische Außenpolitik« für sich beansprucht. Die vorliegenden Berichte über zivile Todesopfer der jüngsten türkischen Angriffe seien äusserst beunruhigend, eigene Erkenntnisse lägen dem Ministerium allerdings nicht vor.

In Astana gingen am Mittwoch die zweitägigen Syrien-Gespräche zwischen Russland, Syrien, der Türkei und dem Iran zu Ende. Im Mittelpunkt des 20. Astana-Treffens stand die von der russischen Regierung geforderte Normalisierung der Beziehungen zwischen Ankara und Damaskus. Die türkische Regierung hofft auf ein gemeinsames Vorgehen mit syrischen Regierungskräften gegen kurdische Milizen in Nordsyrien sowie auf die Abschiebung von rund vier Millionen in der Türkei lebenden Flüchtlingen nach Syrien. Doch die türkische Armee und ihre Söldner halten fast ein Zehntel des syrischen Territoriums besetzt. Vorbedingung für eine Normalisierung seien daher ein klarer Zeitplan und konkrete Schritte für einen Abzug dieser Besatzungstruppen, machte der syrische Vizeaußenminister Aiman Susan laut Nachrichtenagentur SANA am Dienstag deutlich.

Das gastgebende kasachische Außenministerium gab am Mittwoch das Ende des 2016 etablierten Astana-Formats bekannt, da dessen Aufgabe mittlerweile erfüllt sei. Verwiesen wurde laut der russischen Agentur TASS auf die »dramatisch gewandelte Lage« in der Region mit der Wiederaufnahme Syriens in die Arabische Liga sowie der Aufnahme von diplomatischen Beziehungen zwischen Iran und Saudi-Arabien.

Nicht an den Astana-Gesprächen beteiligt war die AANES, die rund ein Viertel des syrischen Territoriums ausmacht. Deren aussenpolitischer Sprecher Bedran Ciya Kurd bekräftigte am Mittwoch, dass entgegen anderslautenden Vorwürfen aus Moskau und Damaskus keine Abspaltung von Syrien verfolgt werde. Vielmehr werde ein Dialog mit allen an einer Lösung der Syrien-Krise interessierten Akteuren angestrebt.