Tunesische Regierung bringt nach gewaltsamen Zusammenstössen in der Stadt Sfax Asylsuchende in Lebensgefahr

Am Donnerstag sind Hunderte Geflohene aus der tunesischen Hafenstadt Sfax mit Bussen in unzugängliche Wüstengebiete an der algerischen und libyschen Grenze verbracht und dort ausgesetzt worden. Wie Betroffene gegenüber AFP angaben, hätten sie weder ausreichend Wasser noch Verpflegung, schreibt Jörg Tiedjen
Veröffentlicht: 8. Jul 2023 - Zuletzt Aktualisiert: 8. Jul 2023

Auch seien sie von den Einsatzkräften misshandelt worden. Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch forderten Tunesien am Freitag auf, die Abschiebungen umgehend zu stoppen, denen anscheinend regelrechte Menschenjagden seitens der Einsatzkräfte vorausgingen. Die Lage war eskaliert, nachdem am Montag bei einer Auseinandersetzung zwischen Einheimischen und Geflohenen in Sfax ein Tunesier erstochen worden war. Drei Verdächtige wurden verhaftet, alle stammen aus Kamerun.

Hauptverantwortlich für den Anstieg der Spannungen sei laut einem Bericht der algerischen Tageszeitung El Watan vom Donnerstag, dass »die Einheimischen kein Interesse mehr an der Anwesenheit von Afrikanern in ihrer Stadt« hätten. 2013 und 2014, als zahlreiche Schutzsuchende aus dem kriegszerstörten Libyen eintrafen, sei das Verhältnis zwischen den Tunesiern und den Geflohenen noch weitgehend unkompliziert gewesen. Letztere »waren Goldesel für Unternehmen, die sie schwarz beschäftigten, und für diejenigen, die Überfahrten nach Italien anboten«. Doch dann hätten die Schutzsuchenden begonnen, sich selbst zu organisieren. Sie planten ihre Überfahrten allein, verfügten über einen eigenen Markt, über Kinderkrippen, selbst eine eigene Gerichtsbarkeit. Indem sie sich aber von der lokalen Bevölkerung unabhängig machten, habe diese sie zunehmend als Konkurrenz begriffen.

Im Februar hielt Präsident Kaïs Saïed eine Brandrede gegen Geflüchtete. Untermauert wurde die Hetze durch den Versuch, die Geflüchteten in ihre Herkunftsländer abzuschieben. Monatelang protestierten Geflüchtete vor dem Büro des UN-Flüchtlingshilfswerks in Tunis und verlangten, statt dessen in die Länder des Nordens überführt zu werden. Die rassistischen Anfeindungen, Übergriffe und polizeiliche Repressionen hatten ein dramatisches Anwachsen der Zahlen Geflüchteter zur Folge, die insbesondere die von Sfax circa 180 Kilometer entfernte italienische Insel Lampedusa erreichen wollen.

Saïed lehnte ab, »für andere Länder den Wachtmeister« zu spielen, wie ihn die tunesische Agentur TAP zitiert, eine Vereinbarung mit dem Internationalen Währungsfonds einzugehen oder mit der italienischen Premierministerin Giorgia Meloni einen Flüchtlingsdeal nach dem Vorbild des Abkommens mit der Türkei abzuschließen.