Wissenschaft und Totalitarismus in der Postmoderne – Ein Podiumsgespräch
Was ist los mit der Wissenschaft? Wie konnte es dazu kommen, dass während und nach der Coronazeit, vermeintliche «wissenschaftliche Evidenz» dafür herhalten musste, grundlegende Freiheits- und Menschenrechte per Notrecht auszusetzen? Einladung zu einem Podium im Volkshaus Zürich am 14.10.2023
Corona ist jedoch nur ein Symptom für eine allgemeinere Tendenz. Wir können viel genereller fragen: Warum hat sich ein Grossteil der Wissenschaft von einer Allianz aus privaten und Regierungsorganisationen so einspannen lassen? Wie kam es dazu, dass viele Wissenschaftler, die vorherrschenden Narrative von Covid, Klima, Digitalisierung, Gender, Erziehung, Nachhaltigkeit, oder Friedens- und Geopolitik etc. kritiklos legitimieren?
Mit dem Podium suchen wir Antworten auf diese Fragen. Wir beginnen mit den Zusammenhängen zwischen Wissenschaft und Totalitarismus und fragen: Was können wir tun, um uns aus der totalitär gewordenen Wissenschaft und Gesellschaft zu befreien? Ist die Wissenschaft nur das Opfer einer Instrumentalisierung durch Politik und Wirtschaft – oder gibt es innerhalb der Wissenschaft Denk- und Verhaltensmuster, welche das fördern?
Postmoderne
Die postmoderne Wissenschaft ist ein zentrales Problem. Sie hat den eigenen, ursprünglich freiheitlichen Impuls der Wissenschaft aus den Augen verloren: Die Wissenschaft galt als Quelle der freien, individuellen Urteilskraft und Vernunft. Sie befreite zu Beginn der Aufklärung den Menschen aus der Abhängigkeit von repressiven und willkürlich gewordenen Gesellschaftsstrukturen. Denn vor der Wissenschaft mussten Menschen an die «gottgegebene Ordnung» von Fremdbestimmung und Leibeigenschaft glauben, wie sie von der feudalen Allianz aus Kirche, Staat und Adel hochgehalten wurde.
Heute geht es wieder um Befreiung: jetzt aber von den vielen technologisch und institutionell ausgefeilten Instrumenten der Fremdbestimmung – egal ob sie freie Märkte, staatliche Regulierung, New Public Management, Fakten-Check, inklusive Regierungsführung, Privat-Öffentliche-Partnerschaften, Agenda 2030 oder westliche Wertegemeinschaft genannt werden.
Rechtsstaat
Historisch gesehen stand der freiheitliche Impuls der Wissenschaft auch bei der Entstehung der heutigen demokratischen Rechtsstaaten Pate. Er begründete die demokratische Beteiligung der Bürger als vernunftbegabte und freiheitsliebende Wesen. Das führte zu demokratischen Wahlen, rechenschaftspflichtiger Regierungsführung und Gewaltentrennung. Die Gesellschaft vertraute auf die Vernunft als Mittel zur Machtbegrenzung. Im Rahmen von rechtsstaatlich garantierten Freiheits- und Menschenrechten, konnte sich die individuelle Persönlichkeit frei entfalten.
Doch die postmoderne Wissenschaft gab den freiheitlichen Impuls auf. Damit machte sie sich zum willigen Diener einer postmodernen Politik. Darin suchen sich alle Menschen, inklusive Politiker und Wissenschaftler, über «Geschichten» - oder Narrative – ihren Platz in der Hierarchie der Gesellschaft. Die Wissenschaft wird durch Konzerne und Regierungen in diesem «Spiel der Narrative» instrumentalisiert – was ganz normal geworden ist. Allianzen zwischen wirtschaftlichen Giganten und staatlichen oder wissenschaftlichen Zwergen sollen darin die eigene Machtposition verbessern – um Wahrheit oder Freiheit geht es darin nicht mehr.
Totalitarismus
Wir finden uns in einer immer umfassenderen Technologisierung aller Lebensbereiche. Technologien sind jedoch nichts anderes als Anwendungen der Wissenschaften. Alle Gesellschaften befinden sich, so unterschiedlich sie kulturell und historisch sind, in einer fast vollständigen Abhängigkeit von der Wissenschaft. Ohne Physik, Chemie, Biologie und Mathematik gäbe es keine Computer, Autos, Elektrizitätswerke, moderne Medizin oder global organisierte Systeme von Ernährung. Ohne Anwendungen aus der Ökonomie, den Rechtswissenschaften, der Soziologie oder der Psychologie sind weder die globale, komplexe Arbeitsteilung, noch die dafür notwendigen Wirtschaftsunternehmen und Regierungsformen vorstellbar.
Anwendungen der Wissenschaft sind also allumfassend geworden. Solange das im Rahmen einer gesellschaftlichen Ordnung geschieht, welche die Freiheit des Individuums verteidigt, ist das gut. Doch wenn Wissenschaft und Technologie zu Herrschaftsinstrumenten werden, verwandelt sich der freiheitliche Impuls der Wissenschaft in eine Wissenschaftsgläubigkeit – auch politischer Szientismus genannt.
Unter dem Motto «Follow the Science» fordern Politik und Wissenschaft von uns absoluten Gehorsam und die Aussetzung der eigenen Urteilsfähigkeit im öffentlichen und privaten Leben. Damit wird der politische Szientismus zur Schnellstrasse in eine totalitäre Gesellschaft.
Lösungswege
Wie können wir den freiheitlichen Impuls der Wissenschaft aktualisieren? Welche Rolle könnte dabei die Entflechtung von Rechtsleben (Staat, Politik), Wirtschaft und Geistesleben (Wissenschaft, Bildung, Medizin, Medien, Rechtsprechung, Religion, Künste etc.) spielen? Ist diese, ursprünglich von Rudolf Steiner vorgeschlagene Dreigliederung des sozialen Lebens in der Lage, die globale Multikrise anzugehen?
Dreigliederung des sozialen Lebens
Mit der Dreigliederung des sozialen Organismus skizzierte Rudolf Steiner ab 1919 die Grundlagen des radikalen Umbaus der Gesellschaft, jenseits der bekannten Spielarten von Kapitalismus, Sozialismus oder Kommunismus. Ausgangspunkt bildete die Ganzheit von Geist, Seele und Körper – und die damit verbundenen Fähigkeiten von Denken, Fühlen und Wollen.
Wir wollen prüfen, ob das auch für heute Sinn macht: Eine Neuordnung der Gesellschaft durch Entflechtung der drei heute von wirtschaftlichen Interessen dominierten Funktionsbereichen moderner Gesellschaften: Dem Kultur- oder Geistesleben, der Wirtschaft und dem Rechtsleben.
Die Vision beinhaltet, dass sich jeder der drei Bereiche selbständig und halb-autonom um einen jeweils spezifischen Wert der Aufklärung neugestaltet: Das Geistes- oder Kulturleben wird zum Entfaltungsraum der individuellen Freiheit und des freien Denkens; das assoziative Wirtschaftsleben, das dient dem Willen zur Brüderlichkeit aller am Wirtschaftsprozess Beteiligten und das demokratische Rechtsleben beherbergt die Gerechtigkeitsempfindung mit dem der Wert der Gleichheit verbunden ist.
In einem dynamischen Zusammenspiel dieser drei halbautonomen Funktionsbereiche können die Akteure der Gesellschaft ihre Potenziale so integrieren, dass die grossen Herausforderungen des postmodernen Totalitarismus gelingen kann.
Podiumsteilnehmer
Das Podium wird von drei Professoren aus den Gebieten der Wissenschaftsphilosophie, der Ökonomie und der Humangeographie bestritten. Alle drei setzen sich kritisch mit der Postmoderne auseinander und erkennen in der Dreigliederung des sozialen Lebens, beachtenswerte Auswege, aus der postmodernen Sackgasse.
Michael Esfeld, ist Professor für Wissenschaftsphilosophie der Uni Lausanne. Sein aktuelles Buch «Land ohne Mut – Eine Anleitung für die Rückkehr zu Wissenschaft und Rechtsordnung» ist Anlass zur Organisation von diesem Podium. Das Buch stellt eine Grundlage her, um den Zusammenhang von Wissenschaft, Totalitarismus und der Zerstörung einer freiheitlichen Rechtsordnung zu erkennen.
Christian Kreiß ist Professor für Wirtschaft an der Uni Aalen in Deutschland. In seinem Buch «Das Mephisto-Prinzip in unserer Wirtschaft» schlüpft er in die Rolle des Mephisto, der in Goethes Faust nach Möglichkeiten der Zerstörung der Menschheit sucht. Der Buchautor kommt zum erstaunlichen Schluss, dass die heutige Ökonomie das Ziel von Mephisto hervorragend bedient.
Stephan Rist ist emeritierter Professor für Geografie der Uni Bern. Seine Arbeiten über «Kritische Nachhaltigkeitsforschung» zeigen, dass wirkliche Nachhaltigkeit eine Zunahme von Freiheit, Selbstbestimmung und Spiritualisierung der Wissenschaft braucht. Andernfalls ist Nachhaltigkeit ein Herrschaftsinstrument, das den Wunsch der Menschen nach Umweltschutz missbraucht.
Veranstalter
Akademie Freiheit - Lebenswerk (https://freiheit-lebenswerk.ch/)
Fördergesellschaft Demokratie (https://demokratie-schweiz.ch/)
Graswurzle (https://graswurzle.ch/)
Anmeldung und Infos
Interessierte Leserinnen und Leser finden weitere Informationen zur Anmeldung unter diesem Link.
Kontakt für Fragen oder weitere Informationen: Stephan Rist ([email protected] )
von:
- Anmelden oder Registieren um Kommentare verfassen zu können