Laut dem von Infratest für die ARD ermittelten Deutschlandtrend vom 3. Juli 2024 sind nur 19 % der Befragten mit der Arbeit der Bundesregierung zufrieden und über 80% unzufrieden. Bereits in den Vorjahren gab es vergleichbare hohe Unzufriedensheitswerte: 80% im August 2023, 71% im Oktober 2022. In Frankreich und Großbritannien erkannte man angesichts niedriger Zustimmungswerte ein Legitimitätsproblem für die Regierung und hielt Neuwahlen ab. Doch die deutsche Regierung lässt sich von Legitimitätsfragen nicht irritieren, und scheint fest gewillt, auch gegen dauerhaft deutlichste Ablehnung bis zum Ende der Wahlperiode weiter zu regieren. Henry Mattheß fragt auf dem Blog von Norbert Häring: „Kann man bei einem derartigen Widerspruch zwischen Volk und Regierenden noch von Demokratie sprechen?“ Diese Frage muss mit mit Nein beantwortet werden. Das Volk sei demnach ohnmächtig gegenüber seinen selbst gewählten Regierungspolitikern. Das Abhängigkeitsverhältnis zwischen Regierten und Regierenden sei auf den Kopf gestellt. In Deutschland können Neuwahlen nur nach einer im Bundestag gescheiterten Kanzler-Vertrauensfrage eingeleitet werden, denen der Bundespräsident zustimmen muss. Für das Volk als Souverän gibt es kein Initiativrecht für Neuwahlen.
Die Bayrische Verfassung zeigt mit dem Recht zur Landtagsauflösung nach Artikel 18 einen möglichen Weg auf, ein verfassungsrechtliches Verfahren, nach dem die Wähler per erfolgreichen Volksbegehren und Volksabstimmung den Landtag auflösen und Neuwahlen erzwingen können. Mit entsprechendem Demokratieverständnis und Willen der Bundespolitiker hätte dieses Verfahren schon längst auch für die Bundesebene übernommen werden können, führt Mattheß aus. Volkssouveränität sei ein wichtiger Teil von Demokratie. Demokratie sei kein fixer Zustand, sondern ein Prozess, weshalb auch demokratisch erworbene (Regierungs-)Legitimität sich zu jedem Zeitpunkt neu erweisen müsse. Denn das Volk übereigne keine Macht an seine Gewählten, sondern leihe diese nur zeitweise aus für ein stellvertretendes Regieren. Deshalb müsse sie jederzeit rückholbar bleiben. Volksabstimmungen könnten nicht nur einen parteienunabhängigen Weg für Neuwahlen und direkte Entscheidungen wichtiger Sachfragen durch das Volk eröffnen, sondern auch Grundgesetzänderungen nur mit Bestätigung durch das Volk zulassen. Der Autor kritisiert: Der selbstentlarvende Spruch von Außenministerin Baerbock drückt es aus: „Egal, was meine deutsche Wähler denken“ – ein einmal errungenes Abgeordnetenmandat oder Regierungsamt wird als vierjähriges Recht zur Volkserziehung aufgefasst. Deshalb müssen Grünen-Wähler, die dem Wahlversprechen „Keine Rüstungsexporte in Kriegsgebiete“ vertrauten, nun jahrelang ohnmächtig der Kriegstreiberei dieser Partei in der Regierung zuschauen.“
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