Aktuelle Lage aus Sicht eines israelischen Friedensaktivisten

Viele Leute fragen mich, ob sich die Erfolge Israels im Libanon, wie Verteidigungsminister Galant es nennt, positiv auf die Freilassung der Geiseln in Gaza auswirken werden. Mir scheint, dass die Hamas die Lage nicht so sieht wie der Verteidigungsminister und der Rest der israelischen Gesellschaft.

Luftaufnahme Zerstörung von Gaza - Screenshot YouTube

Aufgrund meiner Bekanntschaft mit der Hamas und der Aussagen von Hamas-Führern scheint mir die Hamas zu verstehen, dass Israel im Libanon in einem langen Zermürbungskrieg stecken wird, in dem israelische Soldaten und Zivilisten regelmässig, fast täglich, getötet werden. Die Hamas weiss, wie ihre Situation und die Situation ihrer Bevölkerung in Gaza aussieht, und deshalb möchte die Hamas den Krieg beenden, aber sie wird keinen Schritt unternehmen, der als Kapitulation ausgelegt werden könnte.

Aus diesem Grund gibt die Hamas nicht öffentlich zu, dass sie einem Drei-Wochen-Abkommen zustimmt, in dem der Krieg beendet wird, Israel sich aus Gaza zurückzieht, alle Geiseln freigelassen werden und eine vereinbarte Freilassung palästinensischer Gefangener erfolgt. Sie möchte, dass Israel den ersten Schritt macht und bekannt gibt, dass es das Drei-Wochen-Abkommen akzeptiert, dann wird die Hamas die Vermittler darüber informieren, dass sie ebenfalls bereit ist, darüber zu verhandeln.

Hamas-Führer Yahya Sinwar sah die Erfolge Israels im Libanon genauso wie im Gazastreifen. Aber er weiss, dass die Hamas unter seinem Kommando noch lange überleben und weiterhin israelische Soldaten töten und verwunden und auch mehr Raketen auf Israel abfeuern kann. Auch die Hisbollah weiss, dass sie ein ganzes Land weiterhin in den Wahnsinn treiben kann, indem sie Raketen und bewaffnete Selbstmorddrohnen auf das Zentrum des Landes und gegen Zivilisten abfeuert und weiterhin israelische Soldaten in jeder Ecke des Libanon tötet.

Wir haben es in Gaza und im Libanon mit einem Zermürbungskrieg zu tun, und es gibt keine Einigung über die Freilassung der Geiseln. Wenn wir diesen Kreislauf des Blutvergiessens durchbrechen wollen, sollte Verteidigungsminister Gallant Ägypten und Katar darüber informieren, dass Israel bereit ist, über das dreiwöchige Abkommen zu verhandeln. Gallant scheint das einzige Mitglied der israelischen Regierung zu sein, das in der Lage ist, eine Einigung gegen den Willen des Premierministers und seines engen Freundes Itamar Ben Gvir voranzutreiben.

Die Frage der Geiseln ist aus dem Blickfeld der Öffentlichkeit und der israelischen Regierung geraten, weil die Öffentlichkeit davon überzeugt ist, dass Sinwar kein Abkommen will. Niemand hat dies von Sinwar gehört, und es gibt niemanden in Israel, der weiss, was Sinwar wirklich will. Und nach meiner Einschätzung ist das Übergewicht von Sinwar im Entscheidungsmechanismus der Hamas nicht mehr so gross wie noch vor Monaten.

Die Hamas hat bereits den Sieg erklärt (hören Sie sich die letzte Rede von Khaled Mashal an), weil die Palästinafrage wieder in den Fokus der Weltöffentlichkeit gerückt ist und der Staat Israel in den Augen vieler Länder der Welt zu einem Aussätzigenstaat wird. Khaled Mashal liegt mit seiner Siegeserklärung offensichtlich falsch, denn hier gibt es keine Gewinner, sondern nur viele Verlierer.

Israel würde seine Ehre nicht verlieren, wenn es ein Abkommen vorantreibt, das die Rückkehr aller Geiseln ermöglicht, solange einige noch am Leben sind (und das hoffen wir). Die Geiseln nicht nach Hause zurückzubringen, wäre die grösste Niederlage für Israel, und das darf nicht passieren.

16. Oktober 2024
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