Das Gesetz der Gesetze
Es gibt kein Element des menschlichen Lebens mit mehr Reichweite und grösserer Tiefe – die Liebe vielleicht ausgenommen. Es gibt keine universellere Quelle von Ethik und Wert, stärker als jeder Gott der Religionen dieser Welt, als jede Idee oder jeder Verein – die Staaten damit eingeschlossen –, als das Gewissen. Es ist «das Gesetz der Gesetze», wie der französische Schriftsteller und Politiker Alphonse de Lamartine (1790–1869) schrieb.
Wenn alle Werte wanken, ist das Gewissen die letzte Zuflucht, der Ort der sicheren Unterscheidung zwischen Ja und Nein. Die Sprache des Gewissens ist universell. Es verstehen sie alle Herzen, stecken sie nun in der Brust eines Wall-Street-Mannes, einer Buschfrau oder eines Waisenkindes.
Aber das Gewissen wird bedroht, das spüren wir alle. Es wird bedroht durch die verinnerlichten Normen von Familie und Gesellschaft, von Ideologien und Religionen. Unglücklicherweise bezeichnen wir dieses aufgepfropfte «Wissen» um richtig und falsch ebenfalls als «Gewissen». Die Unterscheidung ist nicht einfach, besonders dann nicht, wenn uns angepasstes Verhalten lange genug grosse Vorteile bescherte. Aber wir erkennen es daran, dass sich dieses «Gewissen» mit Geld oder Wohlverhalten beruhigen lässt, früher vor allem in der Kirche, heute überall – denken Sie nur an den grünen Konsum.
Wohlgemerkt: Man soll alles tun, was zur Beruhigung des Gewissens angeboten wird, ausser Öko-Autos, ethische Kapitalanlagen und ähnliche Illusionen kaufen, aber man soll damit nicht sein Gewissen beruhigen wollen.
Das wahre Gewissen ruht nie – von verdienten Ruhezeiten abgesehen –, bis die Welt ein Ort des Friedens und der Gerechtigkeit ist.
Das wahre Gewissen kann auch niemals «schlecht» sein. Wir machen es bloss schlecht, weil uns seine Stimme stört. Und es kann auch nicht gut sein. Deshalb können wir nichts für ein «gutes Gewissen» tun. Entweder wir hören es oder wir hören es nicht.
Indem wir es vernehmen, überschreiten wir aber gleichzeitig und unbemerkt die Grenze des verlustfreien Rückzugs. Wir haben, ohne wirklich wählen zu können, die Wahlfreiheit verloren. Denn wer in diesem Stadium gegen sein Gewissen handelt, muss mit ernsthaften und höchst unangenehmen Langzeitfolgen rechnen: Depression, Sucht, Liebesunfähigkeit, Hoffnungslosigkeit und schliesslich ein verzweifelter Abschied aus einem verpassten Leben. Der Preis, sich gegen sein Gewissen zu wenden, ist hoch. (Wohl deshalb müssen die Manager so gut bezahlt werden.) «Das strengste Gericht ist das eigene Gewissen», hat schon der Römer Juvenal geschrieben, «hier wird kein Schuldiger freigesprochen.»
Aber wir wollen hier nicht über die Gefahren der Unterdrückung des Gewissens nachdenken, sondern über seine unversiegbaren Kräfte. Das Gewissen ist so unendlich privat, dass wir dabei gerne übersehen, dass auch alle anderen Menschen ein Gewissen haben, das letztlich für dieselben Werte steht: für Humanität in umfassendem Sinn. Man stelle sich vor – und ich kann nicht anders, als diesen starken Traum zu träumen – die Gewissen aller Menschen würden sich zu einer grossen kollektiven Macht verbinden! Kein Tyrann, keine Ideologie, keine Angst wäre vor dieser Kraft der Erneuerung sicher. Das Paradies würde ausbrechen.
Wie können diese Gewissenskräfte entfesselt werden? Appelle und Normen fruchten nichts oder können sich sogar ins Gegenteil verkehren, das zeigt die Geschichte. Sie zeigt aber auch, dass einfache Menschen, die ihrem Gewissen gefolgt sind, den Lauf der Dinge nachhaltig verändert haben: Martin Luther, Henri Dunant, Mahatma Gandhi und viele andere. Ich glaube, dass es heute auf der einen Seite schwieriger ist, auf sein Gewissen zu hören. Die Ablenkungen sind omnipräsent, und die Möglichkeiten der Gewissensberuhigung sind attraktiv und mehrheitsfähig. An-dererseits ist es aber einfacher, seinem Gewissen zu folgen. Es ist leichter, sich mit Menschen zu verbinden, die diesen Weg gehen und sich gegenseitig unterstützen. Und irgendwie liegt die grosse geistige Veränderung in der Luft, der Durchbruch des kollektiven Gewissens. Hören wir auf, Widerstand zu leisten.
Mehr zum Gewissen als letzter Instanz im neuen Zeitpunkt im Überblick:
und im Schnupperabo (zufrieden oder Geld zurück):
http://www.zeitpunkt.ch/abonnements/schnupperabo.html
Wenn alle Werte wanken, ist das Gewissen die letzte Zuflucht, der Ort der sicheren Unterscheidung zwischen Ja und Nein. Die Sprache des Gewissens ist universell. Es verstehen sie alle Herzen, stecken sie nun in der Brust eines Wall-Street-Mannes, einer Buschfrau oder eines Waisenkindes.
Aber das Gewissen wird bedroht, das spüren wir alle. Es wird bedroht durch die verinnerlichten Normen von Familie und Gesellschaft, von Ideologien und Religionen. Unglücklicherweise bezeichnen wir dieses aufgepfropfte «Wissen» um richtig und falsch ebenfalls als «Gewissen». Die Unterscheidung ist nicht einfach, besonders dann nicht, wenn uns angepasstes Verhalten lange genug grosse Vorteile bescherte. Aber wir erkennen es daran, dass sich dieses «Gewissen» mit Geld oder Wohlverhalten beruhigen lässt, früher vor allem in der Kirche, heute überall – denken Sie nur an den grünen Konsum.
Wohlgemerkt: Man soll alles tun, was zur Beruhigung des Gewissens angeboten wird, ausser Öko-Autos, ethische Kapitalanlagen und ähnliche Illusionen kaufen, aber man soll damit nicht sein Gewissen beruhigen wollen.
Das wahre Gewissen ruht nie – von verdienten Ruhezeiten abgesehen –, bis die Welt ein Ort des Friedens und der Gerechtigkeit ist.
Das wahre Gewissen kann auch niemals «schlecht» sein. Wir machen es bloss schlecht, weil uns seine Stimme stört. Und es kann auch nicht gut sein. Deshalb können wir nichts für ein «gutes Gewissen» tun. Entweder wir hören es oder wir hören es nicht.
Indem wir es vernehmen, überschreiten wir aber gleichzeitig und unbemerkt die Grenze des verlustfreien Rückzugs. Wir haben, ohne wirklich wählen zu können, die Wahlfreiheit verloren. Denn wer in diesem Stadium gegen sein Gewissen handelt, muss mit ernsthaften und höchst unangenehmen Langzeitfolgen rechnen: Depression, Sucht, Liebesunfähigkeit, Hoffnungslosigkeit und schliesslich ein verzweifelter Abschied aus einem verpassten Leben. Der Preis, sich gegen sein Gewissen zu wenden, ist hoch. (Wohl deshalb müssen die Manager so gut bezahlt werden.) «Das strengste Gericht ist das eigene Gewissen», hat schon der Römer Juvenal geschrieben, «hier wird kein Schuldiger freigesprochen.»
Aber wir wollen hier nicht über die Gefahren der Unterdrückung des Gewissens nachdenken, sondern über seine unversiegbaren Kräfte. Das Gewissen ist so unendlich privat, dass wir dabei gerne übersehen, dass auch alle anderen Menschen ein Gewissen haben, das letztlich für dieselben Werte steht: für Humanität in umfassendem Sinn. Man stelle sich vor – und ich kann nicht anders, als diesen starken Traum zu träumen – die Gewissen aller Menschen würden sich zu einer grossen kollektiven Macht verbinden! Kein Tyrann, keine Ideologie, keine Angst wäre vor dieser Kraft der Erneuerung sicher. Das Paradies würde ausbrechen.
Wie können diese Gewissenskräfte entfesselt werden? Appelle und Normen fruchten nichts oder können sich sogar ins Gegenteil verkehren, das zeigt die Geschichte. Sie zeigt aber auch, dass einfache Menschen, die ihrem Gewissen gefolgt sind, den Lauf der Dinge nachhaltig verändert haben: Martin Luther, Henri Dunant, Mahatma Gandhi und viele andere. Ich glaube, dass es heute auf der einen Seite schwieriger ist, auf sein Gewissen zu hören. Die Ablenkungen sind omnipräsent, und die Möglichkeiten der Gewissensberuhigung sind attraktiv und mehrheitsfähig. An-dererseits ist es aber einfacher, seinem Gewissen zu folgen. Es ist leichter, sich mit Menschen zu verbinden, die diesen Weg gehen und sich gegenseitig unterstützen. Und irgendwie liegt die grosse geistige Veränderung in der Luft, der Durchbruch des kollektiven Gewissens. Hören wir auf, Widerstand zu leisten.
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01. November 2010
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Christoph Pfluger
Christoph Pfluger ist seit 1992 der Herausgeber des Zeitpunkt. "Als Herausgeber einer Zeitschrift, deren Abobeitrag von den Leserinnen und Lesern frei bestimmt wird, erfahre ich täglich die Kraft der Selbstbestimmung. Und als Journalist, der visionären Projekten und mutigen Menschen nachspürt weiss ich: Es gibt viel mehr positive Kräfte im Land als uns die Massenmedien glauben lassen".
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