Sisyphus-Arbeit: Auch der oberste Bürokratie-Abbauer ist ein wenig ratlos
Zeitpunkt: Herr Egger, als Geschäftsführer der kantonalzürcherischen FDP, die für die Mutterpartei die Bürokratie-Kampagne führt, sind Sie gewissermassen der oberste Bürokratie-Abbauer der Schweiz. Wie läuft die Kampagne, seit die Volksinitiative 2012 die Unterschriftenzahl knapp verfehlt hat?
Urs Egger: Eine der Säulen ist der «Gaht‘s no-Priis», mit dem wir seit 2010 bürokratische Exzesse auszeichnen. Die andere Säule läuft unter dem Titel «liberaler Widerstand» und beinhaltet einerseits die Abwehr von Volksinitiativen, die das Erfolgsmodell der Schweiz in Frage stellen, wie die 1:12-Initiative, die Aufhebung der Personenfreizügigkeit oder der Mindestlohn. Auf der anderen Seite geht es auch um den Abbau unnötiger administrativer Behinderungen des Gewerbes.
Warum konzentriert sich der «Gaht’s no Priis» auf die bürokratischen Sumpfblüten der öffentlichen Verwaltung und nicht auf die flächendeckende Bürokratie, die in den Bereichen Bildung, Gesundheitswesen und Soziales wuchert?
Der Preis lebt davon, was uns gemeldet wird. Er ist geprägt von den Erlebnissen von Menschen und den konkreten, aber absurden Behinderungen des Gewerbes durch die Verwaltung. Der Preis ist keine systematische Aufarbeitung der Bürokratie und kann es auch nicht sein.
Es ist aber weniger das Groteske als vielmehr der konkrete, tägliche Formularkrieg, der die Menschen in immer mehr Berufen der inneren Kündigung entgegentreibt.
Das ist definitiv ein Problem und eine Folge der Forderung nach immer mehr Transparenz und Absicherung.
Widerspruch, mindestens teilweise! Der grosse Bürokratie-Schub kam mit dem New Public Management, der Einführung von Management-Prinzipien in die öffentliche Verwaltung und staatsnahe Dienstleistungen.
Der irrige Glaube war, damit die Verwaltung den Regeln des Marktes zu unterwerfen. Aber mangels Preis hat man komplizierte Modelle mit grossem Aufwand an Datenerfassung eingeführt.
Vor allem aber hat man die Verantwortung des Individuums auf ein System übertragen. Das wäre doch eine Steilvorlage für eine liberale Partei, die für Freiheit und Verantwortung steht.
Das Problem lässt sich nicht mit einfachen Parolen erfassen. Seine Dimension erkennt man erst, wenn man sich konkret damit befasst. Wenn man etwas ändern will, sind sofort viele Gesetze, Verordnungen und Regeln betroffen, das haben Studien gezeigt. Man müsste das Problem der Bürokratie ganz grundsätzlich angehen – eine Sisyphus-Arbeit. Mit unserem Preis haben wir wenigstens in Einzelfällen etwas erreicht.
Von der neuen Bürokratie sind vor allem Fachleute in den Bereichen Bildung, Gesundheit und Soziales betroffen, die Wählerschaft der Sozialdemokraten. Wäre das nicht ein Thema für einen runden Tisch, ein gemeinsames Vorgehen?
Das glaube ich nicht. In der SP herrscht der Glaube «wir wissen, was gut ist für die Menschen» und ein entsprechender Regulierungswahn. Das schafft nebenbei auch Arbeitsplätze für ihre Klientel.
Wie sieht denn Ihre Strategie aus?
Jeder Einzelne kann und muss sich für den Abbau der Bürokratie einsetzen. Auf kollektiver Ebene wäre aus meiner Sicht ein Verfallsdatum für Gesetze und Verordnungen die beste Lösung. Dann könnten wir alle zehn Jahren entscheiden, ob und in welcher Form eine Regulierung weitergeführt wird.
Vielen Dank für das Gespräch.
Urs Egger ist Geschäftsführer der freisinnig-demokratischen Partei des Kantons Zürich und Gemeinderat der Stadt Zürich. Kontakt: [email protected].
Das Gespräch führte Christoph Pfluger
____________________________
Der «Gaht’s no Priis» wird seit 2010 von der FDP des Kantons Zürich an die Opfer skurriler Bürokratie verliehen.
Der erste Gewinner war der Betreiber eines «Gourmet-Kiosks» in Zürich, der seine Leckereien über die Gasse verkaufte und auf dem Trottoir, wo es offenbar genug Platz hatte, zwei Tischchen aufstellen wollte. Das bedingte eine Umzonung des Trottoirs in eine Boulevardzone (Kosten Fr. 5000) sowie ein Patent als Kleinwirtschaft mit obilgatorischer Lüftung (Fr. 35’000).
2011 ging der Preis an eine Kinderkleiderboutique, die Kleiderschärpen von zwölf Zentimetern Überlänge verkaufte, was sie mit Umweg über den Schweizerischen Normenverband, eine private Institution, 400 Franken kostete.
2012 gewannen 23 Autogaragen den zweifelhaften Preis, weil sie für das Aufhängen von Werbeblachen auf Privatgrund für eine gemeinsame Ausstellung je 100 Franken bezahlen mussten.
2013 wurde der Preis erstmals anonym vergeben, weil die Gewinnerin, eine Kinderkrippe, die sich selbst gemeldet hatte, aus Angst vor Repressalien der Preisverleihung fernblieb.
Auf der Website werden Bürokratie-Geschichten aus allen Branchen gesammelt.
www.buerokratieabbau.ch
Mehr zum Thema Bürokratie im Schwerpunktheft «Formularkrieg»
Dazu auch die Tagung «Zur Sache – die Fesseln der Bürokratie sprengen» vom 25. Oktober 2014 in Zürich
Urs Egger: Eine der Säulen ist der «Gaht‘s no-Priis», mit dem wir seit 2010 bürokratische Exzesse auszeichnen. Die andere Säule läuft unter dem Titel «liberaler Widerstand» und beinhaltet einerseits die Abwehr von Volksinitiativen, die das Erfolgsmodell der Schweiz in Frage stellen, wie die 1:12-Initiative, die Aufhebung der Personenfreizügigkeit oder der Mindestlohn. Auf der anderen Seite geht es auch um den Abbau unnötiger administrativer Behinderungen des Gewerbes.
Warum konzentriert sich der «Gaht’s no Priis» auf die bürokratischen Sumpfblüten der öffentlichen Verwaltung und nicht auf die flächendeckende Bürokratie, die in den Bereichen Bildung, Gesundheitswesen und Soziales wuchert?
Der Preis lebt davon, was uns gemeldet wird. Er ist geprägt von den Erlebnissen von Menschen und den konkreten, aber absurden Behinderungen des Gewerbes durch die Verwaltung. Der Preis ist keine systematische Aufarbeitung der Bürokratie und kann es auch nicht sein.
Es ist aber weniger das Groteske als vielmehr der konkrete, tägliche Formularkrieg, der die Menschen in immer mehr Berufen der inneren Kündigung entgegentreibt.
Das ist definitiv ein Problem und eine Folge der Forderung nach immer mehr Transparenz und Absicherung.
Widerspruch, mindestens teilweise! Der grosse Bürokratie-Schub kam mit dem New Public Management, der Einführung von Management-Prinzipien in die öffentliche Verwaltung und staatsnahe Dienstleistungen.
Der irrige Glaube war, damit die Verwaltung den Regeln des Marktes zu unterwerfen. Aber mangels Preis hat man komplizierte Modelle mit grossem Aufwand an Datenerfassung eingeführt.
Vor allem aber hat man die Verantwortung des Individuums auf ein System übertragen. Das wäre doch eine Steilvorlage für eine liberale Partei, die für Freiheit und Verantwortung steht.
Das Problem lässt sich nicht mit einfachen Parolen erfassen. Seine Dimension erkennt man erst, wenn man sich konkret damit befasst. Wenn man etwas ändern will, sind sofort viele Gesetze, Verordnungen und Regeln betroffen, das haben Studien gezeigt. Man müsste das Problem der Bürokratie ganz grundsätzlich angehen – eine Sisyphus-Arbeit. Mit unserem Preis haben wir wenigstens in Einzelfällen etwas erreicht.
Von der neuen Bürokratie sind vor allem Fachleute in den Bereichen Bildung, Gesundheit und Soziales betroffen, die Wählerschaft der Sozialdemokraten. Wäre das nicht ein Thema für einen runden Tisch, ein gemeinsames Vorgehen?
Das glaube ich nicht. In der SP herrscht der Glaube «wir wissen, was gut ist für die Menschen» und ein entsprechender Regulierungswahn. Das schafft nebenbei auch Arbeitsplätze für ihre Klientel.
Wie sieht denn Ihre Strategie aus?
Jeder Einzelne kann und muss sich für den Abbau der Bürokratie einsetzen. Auf kollektiver Ebene wäre aus meiner Sicht ein Verfallsdatum für Gesetze und Verordnungen die beste Lösung. Dann könnten wir alle zehn Jahren entscheiden, ob und in welcher Form eine Regulierung weitergeführt wird.
Vielen Dank für das Gespräch.
Urs Egger ist Geschäftsführer der freisinnig-demokratischen Partei des Kantons Zürich und Gemeinderat der Stadt Zürich. Kontakt: [email protected].
Das Gespräch führte Christoph Pfluger
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Gaht’s no?
Der «Gaht’s no Priis» wird seit 2010 von der FDP des Kantons Zürich an die Opfer skurriler Bürokratie verliehen.
Der erste Gewinner war der Betreiber eines «Gourmet-Kiosks» in Zürich, der seine Leckereien über die Gasse verkaufte und auf dem Trottoir, wo es offenbar genug Platz hatte, zwei Tischchen aufstellen wollte. Das bedingte eine Umzonung des Trottoirs in eine Boulevardzone (Kosten Fr. 5000) sowie ein Patent als Kleinwirtschaft mit obilgatorischer Lüftung (Fr. 35’000).
2011 ging der Preis an eine Kinderkleiderboutique, die Kleiderschärpen von zwölf Zentimetern Überlänge verkaufte, was sie mit Umweg über den Schweizerischen Normenverband, eine private Institution, 400 Franken kostete.
2012 gewannen 23 Autogaragen den zweifelhaften Preis, weil sie für das Aufhängen von Werbeblachen auf Privatgrund für eine gemeinsame Ausstellung je 100 Franken bezahlen mussten.
2013 wurde der Preis erstmals anonym vergeben, weil die Gewinnerin, eine Kinderkrippe, die sich selbst gemeldet hatte, aus Angst vor Repressalien der Preisverleihung fernblieb.
Auf der Website werden Bürokratie-Geschichten aus allen Branchen gesammelt.
www.buerokratieabbau.ch
Mehr zum Thema Bürokratie im Schwerpunktheft «Formularkrieg»
Dazu auch die Tagung «Zur Sache – die Fesseln der Bürokratie sprengen» vom 25. Oktober 2014 in Zürich
18. August 2014
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