Strom aus dem Wasserwirbel

Die Kraft eines Wasserwirbels reicht aus, um einen Menschen in die Tiefe zu reissen. Nun wird sie zur Stromproduktion genutzt. Schweizer Pioniere hegen das ambitionierte Ziel, ein Atomkraftwerk mit Tausenden Wasserwirbelkraftwerken zu ersetzen. Die grossen Umweltverbände bleiben zurückhaltend.

Jeder Erfindung ihren Mythos – bei Newtons Schwerkraft war es der fallende Apfel, bei Franz Zotlöterers Wasserwirbelkraftwerk könnte es die Badewanne werden: tief in Gedanken versunken entdeckt er den Wirbel am Ablauf und ihm geht ein Licht auf – die Kraft des Wirbels muss sich in Strom umwandeln lassen. Zu romantisch? Vielleicht, aber allzu weit von der Realität entfernt ist das Bild nicht, denn der österreichische Erfinder Franz Zotlöterer hat vor acht Jahren tatsächlich nicht nach einem Kraftwerk gesucht, als ihm die Idee kam, sondern nach einer natürlichen Reinigung für seinen künstlichen Schwimmteich. An naturbelassenen Gewässern entdeckte er, dass Wirbel den Sauerstoff ins Wasser saugen. Seine Beobachtung kombinierte er mit Wissen seiner Wegbereiter: Leonardo DaVinci, Nikola Tesla, Viktor Schauberger. Tesla verfügte in den USA bereits über ein Patent für einen mit Wirbelkraft angetriebenen Springbrunnen; Schauberger hatte herausgefunden, dass Fische eine Art Wirbelantrieb im Innern nutzen, um bewegungslos in einem fliessenden Bach stehen können. «Wirbel bringen Leben ins Wasser», sagt Zotlöterer. Stehende und regulierte Gewässer wirbeln aber weniger als maändrierende, deswegen musste er ein künstliches Rotationsbecken in seinen Teich bauen. «Als ich beobachtete, wie sich das Wasser drehte, dachte ich automatisch an einen Rotor mit Generator.» Aus dem Reinigungssystem wurde ein kleines Wasserkraftwerk.


Besser als ein Stauwehr
Herkömmliche kleine Wasserkraftwerke mit Stauwehr sind zurzeit nicht gerade beliebt: Alte müssen gemäss EU-Richtlinien teuer umgebaut werden, damit Fische passieren können; neue werden in der Schweiz und Österreich zugunsten des Landschaftsbildes und der Artenvielfalt nur noch selten bewilligt – die eingebauten Turbinen töten das Wasser ab. An diesem Punkt setzen Wasserwirbelkraftwerke an: Sie produzieren ökologischen Strom, versprechen eine bessere Fischdurchgängigkeit und belüften den Fluss. Im Bau sind sie relativ einfach: Ein Teil des Flusses wird abgezweigt und in einen Rotationsbehälter geleitet. Das Wasser dreht sich abwärts wie beim Badewannenausfluss und treibt damit den Rotor und somit den Generator an, die anstelle von teueren und komplizierten Turbinen die Kraft in Strom umwandeln. Erbringen die Wirbel auch die Leistung des gestauten Wassers? Gemessen am Endprodukt nein, verglichen mit den Kosten ja: Wasserwirbelanlagen können nicht wie herkömmliche Anlagen 80 Prozent der theoretischen Wasserkraft umsetzen, sondern 40 bis 60 Prozent. Dafür kosten sie laut den Schweizer Betreibern drei bis viermal weniger und haben eine reelle Chance, bewilligt zu werden. Die Anlagen benötigen keine grossen Schwellen – sie funktionieren bereits ab einer Fallhöhe von 70 Zentimetern und einer Wassermenge von 1000 Litern pro Sekunde. Zum Vergleich: die 50 Zentimeter tiefe und 4 Meter breite Suhre im Kanton Aargau, schafft es im Jahresdurchschnitt auf 2200 Liter pro Sekunde.


Schöftländer Pioniere
An diesem Bach hat das Schweizer Kapitel der Wasserwirbelkraftwerke angefangen, als Andreas Steinmann und seine Partnerin Heidi Zumstein nach ökologischem Strom für ihr renoviertes Haus in Schöftland suchten. Im Internet fanden sie Zotlöterers Erfindung, besuchten ihn mehrmals und waren dermassen vom gesellschaftlichen Potenzial beeindruckt, dass sie mehr als nur ein eigenes Kraftwerk bauen wollten. Dazu gründeten sie die Genossenschaft Wasserwirbelkraftwerke Schweiz (GWWK) und eine GmbH, die WWK. Innerhalb von sieben Monaten fand die Genossenschaft 100 private Geldgeber und erteilt seither Aufträge an die Firma. Vom Erfinder erhielten sie eine Lizenz; die Baubehörden des Kantons Aargau bewilligten das Kraftwerk aussergewöhnlich rasch. Im November 2009 drehte der Rotor seine ersten Runden und versorgt heute 20 Familien mit Strom. Zum Bauprojekt gehörte eine Renaturierung des Bachs – das möchte die GWWK bei jedem neuen Kraftwerk anregen. Nach Installation des Wirbels konnte etwas mehr Sauerstoff im Wasser und eine Abkühlung gemessen werden. Zur Forschung und Entwicklung betreibt die Genossenschaft eine Modellanlage im Technopark Windisch.
Nun sucht die Genossenschaft nach weiteren Standorten in der ganzen Schweiz: Wer am seinem alten Kraftwerk hängt, aber kein Geld für den erforderlichen Umbau hat, kann sich an die GWWK wenden. «In 20 bis 25 Jahren wird unsere Anlage abbezahlt sein», rechnet Steinmann mit Einbezug der staatlichen Einspeisevergütung (KEV) vor. Herkömmliche Anlagen sind in der Regel erst nach 30 bis 50 Jahren oder mehr amortisiert. «Die Wasserwirbelkraftwerke sollen der Bevölkerung helfen nicht einem Grosskonzern.» Genossenschafter können beispielsweise eine sinnvolle Altersvorsorge einrichten: ein Anteillsschein kostet 1000 bis 3000 Franken und wird mit 3.33 Prozent.


Das Schweigen der NGOs
Wo liegt der Haken im Wasserwirbel? «Manchmal ist es etwas unheimlich, wenn man lauter Vorteile ohne Nachteile entdeckt», sagt Steinmann. Deswegen hat die Genossenschaft die beste Flasche Wein des Präsidenten als Preis für den ausgeschrieben, der einen grundsätzlichen Mangel findet – bisher ohne Gewinner. Vielleicht gelingt es am ehesten den Umweltverbänden, die mit einigen Ausnahmen skeptisch bleiben: Greenpeace habe keine Zeit für solch regionale Lösungen. Der WWF wartet die Forschungsergebnisse zur Fischdurchgängigket ab und glaubt nicht an einen hohen Deckungsbeitrag der Kleinwasserkraftwerke am gesamten Strombedarf. «Der Eingriff ins Ökosystem des Gewässers steht bei Kleinstanlagen oft in einem schlechten Verhältnis zur gewonnen Energie», lautet das Urteil. «Je nach Standort ist eine Güterabwägung notwendig. Im Zweifelsfall hat ein unverbautes Flusssystem Vorrang», sagt Ruedi Bösiger, Geschäftsführer des WWF Aargau.
Unbeirrt von den Einwänden, hat die WWK aus Statistiken des Bundesamtes für Umwelt (BAFU) errechnet, dass in der Schweiz 40 000 mögliche Standorte für Wasserwirbelkraftwerke existieren, 6000 stillgelegte und 1000 betriebene Kraftwerke mit einbezogen. Selbst wenn in der Praxis nur die Hälfte der Standorte genutzt werden kann, bleibt ein gewaltiges Potenzial: «17 000 mal Schöftland und wir könnten Mühleberg ersetzen.» Bis dahin brauche es allerdings Zeit für ein Umdenken. «Wasserwirbelkraftwerke werden meist in einen Topf geworfen mit den Herkömmlichen, gegen die die Umweltorganisationen nun 30 Jahre lang gekämpft haben.» Das BAFU habe zwar Freude an der innovativen Wasserkraft, aber immer weniger Geld für solche Projekte – anfangs September hat der Bundesrat eine Streichung der ohnehin dürftigen Mittel zur Förderung der Umwelttechnologie beantragt. So bleibt die GWWK auf die Bürger und den ungebrochenen Forschungsdrang ihrer Macher angewiesen. «Viele Erkenntnisse hatte ich in der Badewanne», erzählt Steinmann. Also doch.


Am Samstag, 25. September 2010 findet in Schöftland die Taufe des ersten Schweizer Wasserwirbelkraftwerks mit Bertrand Piccard statt.
Weitere Informationen: www.zotloeterer.com
23. September 2010
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