Die gefährlichste Weltanschauung ist die Weltanschauung der Leute, die sich die Welt nicht angeschaut haben. (Alexander Freiherr von Humboldt, 1769-1859)

«Doch die im Dunkeln sieht man nicht...»

Die Welt ist in Unordnung. Im Grossen wie im Kleinen. Chaos herrscht. Viele Menschen scheinen sich davor in eine Art geistige Umnachtung zu flüchten. In diesem Dunkel ist es für Herrschsüchtige und Machtgierige einfach, ihre Machenschaften zu inszenieren. 

Zudem: Chancen, die im Chaos und in Krisen schlummern, lassen sich in einer geistigen Umnachtung nicht für einen Wandel zum Guten für alle nutzen. Es werde Licht: Damit man auch im Dunkeln sieht, und es für alle hell werden kann!

1930 fügte Bertolt Brecht (1898-1956) für die geplante Verfilmung der Dreigroschenoper unter anderem die folgende Schlussstrophe hinzu:

Denn die einen sind im Dunkeln
Und die andern sind im Licht.
Und man siehet die im Lichte
Die im Dunkeln sieht man nicht.

1987 gesungen von Gianna Nannini mit Jack Bruce und Sting

 

Wahrheit ist das, was Menschen dafür halten

Manchmal gehöre ich zu den Dummen: Sie wissen nicht, was (sie) tun. Manchmal bin ich bei den Gleichgültigen: Sie tun nichts. Manchmal mache ich es wie die Schlauen: Sie tun nur, was ihnen selber nützt. 

Und manchmal bin ich mit den Intelligenten unterwegs: Sie kümmern sich darum, dass es allen bestmöglich gut gehen kann. Intelligenz ist in diesem Sinne keine Frage vom Schul- oder Studienabschluss. Wenn Intelligente gegenüber den Dummen, Gleichgültigen und Schlauen in der Minderheit sind, kann es für die Welt sehr schwierig werden.

In einem Gespräch mit Peter Eckermann meinte Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832) am 16. Dezember 1828: 

Man muss das Wahre immer wiederholen,
weil auch der Irrtum um uns her
immer wieder gepredigt wird,
und zwar nicht von einzelnen,
sondern von der Masse.
In Zeitungen und Encyklopädien, 
auf Schulen und Universitäten,
überall ist der Irrtum obenauf,
und es ist ihm wohl und behaglich
im Gefühl der Majorität,
die auf seiner Seite ist.

Bei Lichte betrachtet, ist Demokratie nicht einfach per se und garantiert gut. Demokratie kann so gelebt werden, dass sie dem Wohl aller Menschen dient. Sie kann aber auch dafür instrumentalisiert werden, die Bevölkerung zu beherrschen und/oder partikulare Interessen zu privilegieren (siehe dazu: Demokratie als Mogelpackung, Manova, 2023)

Wenn falschen Demokraten (zu Deutsch: Volksherrscher) passt, was das Volk will, reden sie von Demokratie (Herrschaft des Volkes). Wenn es den Mächtigen nicht passt, was die Bevölkerung möchte, nennen sie es beispielsweise Anarchie (wirres Durcheinander). Und sie nutzen diese Diffamierung als Begründung für beispielsweise eine Autokratie (Staatsgewalt in der Hand einzelner Herrscher): Möglicherweise alimentiert mit Plutokratie (Herrschaft des Geldes) und beschleunigt mit Technokratie (inklusive KI).

Ob mit dem Kapitalismus, mit dem Kommunismus, dem Sozialismus oder sonst einem Mus: Die autoritär-hierarchisch und industriell-militärisch-technologisch begründete Zivilisation steckt eigentlich total, überall auf der Welt und in vielen Bereichen in einer Krise. Auch wenn es viele immer noch nicht wissen wollen: So kann es nicht mehr gehen. Ökonomisch nicht, ökologisch nicht, und vor allem auch sozial nicht.

Immer noch mehr Wachstum dank immer noch mehr Wachstum geht nicht mehr. Offensichtlich wollen in den Schlaraffenländern immer noch sehr viele immer noch mehr. Ebenso wollen Politik und Wirtschaft mehrheitlich - so wie in den letzten 50 Jahren – immer noch mehr Wachstum mit immer noch mehr Wachstum möglich machen. Aber das System „Immer-noch-mehr“ geht nicht mehr. Nicht nur an sich nicht, sondern auch noch, weil es brutal auf Kosten von andern auf dieser Erde und auf Kosten unserer aller Umwelt geht: Stopp mit dem geilen Schlaraffenland-Überfluss. 

Echter Wohlstand meint folgende fünf Dimensionen eines neuen, ganzheitlichen Wohlstandsbegriffs: Zeit, erfüllende Beziehungen, Kreativität, Verbundenheit mit den Mysterien des Lebens sowie mit der unbändigen Schönheit der Natur. Ein solcher Reichtum steht nicht im Widerspruch zu einem fundamental notwendigen Wandel, sondern er wird im Gegenteil dadurch erst ermöglicht. Stellen wir uns dem Trauma und dem Schmerz der inneren Armut in unserer Gesellschaft und verbinden wir uns mit unserer Sehnsucht nach einem guten Leben für alle.
(Echter Wohlstand, Vivian Dittmar, 2021). 

Schluss mit dem Motto «Konkurrenz belebt das Geschäft … und mit Verlusten muss gerechnet werden». Denn die Verluste sind zu gross und werden immer noch grösser. In einem solchen Sinne sind insbesondere auch beispielsweise Schulen ein Übel, wo mit Rennbahnpädagogik à la PISA gelehrt und gelernt wird, um zu gewinnen und nicht für die Bildung.

Entscheidend ist das «Wir»: Ohne Gemeinschaft kein Gemeinwohl. Entwickeln wir Schritte für einen echten Wohlstand: Tun wir es gemeinsam.

Selbstverantwortung ist gut: Systemwandel besser! Wie viele andere Systeme – beispielsweise das Finanzwesen und der Verkehr – scheinen auch der Journalismus und die Wissenschaft in einer Krise zu stecken. 

Dass Krisen nicht gesehen werden wollen, oder dass sie mehr oder weniger grossartig und schlau überspielt werden, mag normal sein. Das Dumme ist, dass die Chancen, die in Krisen stecken, so nicht für einen Wandel zum Guten genutzt werden können. Medien, die real existierende Krisen überspielen oder verschweigen, sind für die Füxe. Sie vernebeln die Sicht auf Chancen, die es zu nutzen gilt, um enkeltauglich und heil durch Krisen zu kommen. Zudem helfen sie Mächtigen, ihre perspektivenlose Herrschaft zu erhalten.

Im Klappentext zum Buch Albtraum Wissenschaft (Anne-Christine Schmidt, 2023) steht: 

Das Wissenschaftssystem ist durch steile Hierarchien geprägt. Meine fünfzehnjährige Odyssee durch sieben universitäre und ausseruniversitäre Forschungsinstitute erlaubt mir, folgende für eine erfolgreiche Wissenschaftslaufbahn förderliche Eigenschaften zu notieren:
- Uneingeschränkte Unterordnung im Umgang mit Professor*innen.
- Ausgeprägtes Konkurrenzdenken, das sich bis zum Kolleg*innenhass steigert.
- Bereitschaft zur kritiklosen Affirmation des naturentfremdeten, naturzerstörenden Wissenschaftssystems. 
- Erdulden völliger Nichtigkeit der eigenen Ausbildung, Qualifikation und Arbeitsleistungen.

Diese Diagnose stimmt mit meiner erfahrungsbasierten, persönlichen Wahrnehmung der Verhältnisse im sogenannt höheren Bildungswesen überein. Es produziert eine sogenannte Elite, die mit allen Wassern der real immer noch dominant existierenden Zivilisation gewaschen ist: Sie ist aber eigentlich ein Auslaufmodell.

Bei der Frage «Was soll ich tun?» höre ich bestmöglich auf mein Herz. Es lässt sich weder bürokratisieren noch korrumpieren oder technokratisieren. Unter anderem notabene auch nicht von neoliberalen Esoterikern und/oder gutmeinenden Moralisten, die Menschen in unmenschlichen Verhältnissen mit Appellen an ihre Eigenverantwortung in die Enge treiben wollen: beispielsweise nach dem Motto «Der Wandel – das bist du!»

Auf meiner Suche nach Hinweisen, wie sich kollektive - und nicht nur individuelle - Wandlungsprozesse gestalten lassen, für die ich einen hohen, aber schlummernden bzw. verdrängten Bedarf sehe, bin ich auf Die zerrissene Gesellschaft (Claudine Nierth, Roman Huber, 2023) gestossen worden: Ich bin gespannt, was mir dieses Buch bringen wird.

 

Lied für einen Freund

«Lieber Ueli», schrieb mir kürzlich ein Freund zu meinen Notizen für das Europäische Netzwerk «Bildung&Raum».

Mit ‚ein wenig’ Interesse habe ich Deinen letzten Rundbrief gelesen – ‚ein wenig’ deshalb, weil ich zur Zeit in einer Tagesklinik für Gerontopsychiatrische Behandlung zugange bin. Es hat mich also stark erwischt mit einer Depression, wo ich nicht genau weiss (aber viele Faktoren mitspielen), wie sie zustande kommt. Es ist halt verdammt schwierig, sie zu beschreiben und sie hält mich z.Zt. im Bann. Im Moment geht es schon etwas besser, aber es ist noch nicht wieder gut. Ich bin nun schon in der fünften Woche (oder mehr), und ich bekomme jetzt Psychopharmaka, die ich ungern nehme, aber es ist halt richtig schwierig. Ich lese deine Sammlung von guten Beispielen gerne durch, aber es braucht halt ein bisschen mehr Zeit. Jedenfalls habe ich mich gefreut über Deine Zusammenstellung … Heute also ganz kurz, mehr demnächst, herzliche Grüße - J.

 

Mit allen guten Wünschen habe ich J. folgendes Lied gemailt: 

Hab Sonne im Herzen,
ob’s stürmt oder schneit,
ob der Himmel voll Wolken,
die Erde voll Streit!
Hab Sonne im Herzen,
dann komme, was mag!
das leuchtet voll Licht dir
den dunkelsten Tag!

Hab ein Lied auf den Lippen,
mit fröhlichem Klang
und macht auch des Alltags
Gedränge dich bang!

Hab ein Lied auf den Lippen,
dann komme, was mag!
das hilft dir verwinden
den einsamsten Tag!

Hab ein Wort auch für Andre
in Sorg und in Pein
und sag, was dich selber
so frohgemut läßt sein:
Hab ein Lied auf den Lippen,
verlier nie den Mut,
hab Sonne im Herzen,
und Alles wird gut!

Cäsar Flaischlen, 1864-1920

 

Link zum Mithören und Mitsingen: