Das Hin und Her der deutschen Aussenministerin in Nahost
Vor ihrer Reise nach Ägypten, Israel und in die Palästinensischen Gebiete liess Annalena Baerbock noch eine Stellungnahme veröffentlichen.
Annalena Baerbock
Annalena Baerbock auf einer Wahlkampfveranstaltung. Foto: Michael Brandtner / Wikipedia

Vor ihrer Reise nach Ägypten, Israel und in die Palästinensischen Gebiete erklärte Aussenministerin Annalena Baerbock gestern (24.03.2024)

In der Hölle von Gaza sind mehr als eine Million Kinder, Frauen, Männer von Hunger bedroht. Jeden Tag aufs Neue strecken verzweifelte Mütter und Väter die Hände nach jeder noch so kleinen Mahlzeit für ihre Kinder aus – und jeden Tag aufs Neue gehen viel zu viele leer aus. Weil Hamas sich nicht nur weiter perfide hinter ihnen verschanzt, sondern sie auch noch um das zum Überleben Nötigste bringt. Und weil einfach nicht genug Hilfe nach Gaza gelangt. Das darf keinen Tag so weitergehen.

Frau Baerbocks Analyse der Situation einseitig zu nennen, wäre gelinde gesagt untertrieben. Es klingt, als läge die ganze Schuld bei der Hamas. Dabei hat die von Deutschland mitgetragene, so genannte Selbstverteidigung Israels über 30.000 Menschen in Gaza das Leben gekostet und dichte Wohngebiete zu einem Trümmerhaufen gemacht. Die Hamas hätte keine Möglichkeit, sich hinter zivilen Einrichtungen «zu verschanzen», wenn Israel nicht seit über 20 Jahren so viele Menschen auf so kleinem Raum zusammengesperrt hätte. Israel hat auf Hungernde geschossen und Krankenhäuser bombardiert. So schrecklich die Morde vom 7. Oktober waren: Für die jetzige Eskalation gibt es einen klaren Haupt-Verantwortlichen. Das sieht inzwischen fast die ganze Welt – auch immer mehr Menschen innerhalb von Israel. Nur eine kleine Minderheit der engsten Verbündeten Israels kann davor die Augen verschliessen.

Aber, so heisst es weiter unten in ihrer Erklärung:

Wir stehen zu unserer Verantwortung für Israels Sicherheit: Hamas muss die Waffen niederlegen und darf nie mehr wieder den Terror des 7. Oktober über die Menschen in Israel bringen. 

 

 

 

 

Wen meint Frau Baerbock mit «wir»? Ich jedenfalls fühle mich nicht verantwortlich für die Sicherheit eines Landes, das seit Jahrzehnten das Völkerrecht bricht. Und schon gar nicht fühle ich mich als Teil eines Deutschland, das von einer Seite fordert, die Waffen niederzulegen, und mit der anderen Hand Waffen an Israel liefert (siehe: Nicaragua verklagt Deutschland vor dem IGH wegen Unterstützung Israels beim Völkermord in Gaza). Die Waffenlieferungen von Deutschland nach Israel haben sich im vergangenen Jahr fast verzehnfacht: von 32 auf 303 Millionen Euro. Dadurch macht es sich an den Bombardierungen und auch am Hungerkrieg mitschuldig, den es hinterher beweint. Wie nennt man jemanden, der auf der einen Seite Waffenstillstand fordert und auf der anderen die Waffenexporte verzehnfacht? Feministisch oder moralisch wären da nicht die ersten Worte, die mir einfielen.

Am Ende erklärt Frau Baerbock:

Nur eine sofortige humanitäre Feuerpause, die zu einem dauerhaften Waffenstillstand führt, hält die Hoffnung auf Frieden am Leben – für Palästinenserinnen und Palästinenser wie Israelis. Denn das Sterben der Menschen in Gaza und das Leid der mehr als 100 noch immer von Hamas gefangengehaltenen Geiseln sind miteinander verwoben. Das Leid muss für alle enden. Die Verhandlungen in Doha müssen nun endlich zum Erfolg führen.
Bei meinen Gesprächen in der Region wird es auch erneut darum gehen, wie ein politischer Horizont aussehen kann. Nur die Perspektive auf eine Zweistaatenlösung mit einer reformierten Palästinensischen Autonomiebehörde als ersten Schritt in Richtung eines demokratischen palästinensischen Staates kann den Menschen ein Leben in Sicherheit und Würde bieten. Auf dem Weg hierhin dürfen wir nichts unversucht lassen, um Vertrauen auf allen Seiten zu schaffen.

Was tun Sie für diesen Waffenstillstand? Nachdem Deutschland sich  in der UNO der Stimme enthalten hat und in der EU lange Zeit eine entsprechende Forderung blockiert hat? Immerhin befürwortet sie die von Netanyahu seit Jahren boykottierte Zweistaatenlösung und wagt so einen ganz vorsichtigen Widerspruch zum Bündnispartner. Anscheinend wird auch Frau Baerbock klar, dass die Tage der ultrarechten israelischen Regierung gezählt sind und ein wachsender Widerstand in Israel Netanyahu für seine gewalttätige und folgenreiche Politik zur Rechenschaft ziehen wird. Eine zu enge Bindung an ihn wäre auch in den Augen eines Machtkalküls nicht nachhaltig. Geht es ihr denn um Macht?

Mir drängt sich das Gefühl auf, dass die Aussenministerin immer noch in der Illusionsblase der Selbstwichtigkeit durch die Welt reist. Immer noch im Glauben, dass Deutschland eine grosse - ob wirtschaftliche, militärische oder diplomatische, auf jeden Fall aber moralische – Rolle im Weltgeschehen einnehmen könnte – ohne zu realisieren, dass es diese verspielt hat. Deutschland als engster Partner von USA und Israel ist bereits isoliert, unglaubwürdig geworden und steht global vor der Bedeutungslosigkeit. Bedeutend wäre es, sich jetzt hinter die Menschen zu stellen, die in Israel gegen ihre Regierung auf die Strasse gehen. Das wäre das beste Signal gegen Antisemitismus – denn alles andere gefährdet semitisches (= jüdisches und arabisches) und jedes andere Leben in der Region und darüber hinaus.

Die Ostermärsche 2024 haben bereits begonnen. Sie sind eine Möglichkeit, sich klar zu positionieren und ein anderes «Wir» zu kreieren als das von Frau Baerbock beschworene. Auch da sind die Meinungen geteilt, einige der Friedensinitiativen finden Waffenlieferungen in die Ukraine oder nach Israel angebracht. Daniele Ganser sagt dazu: «Einige Initiativen sagen heute nicht mehr: Nie wieder Krieg! sondern Hin und wieder Krieg ist okay.» 

Für mich ist das Wahnsinn. Jeder Krieg ist Wahnsinn. Lassen wir die ersten Sätze der deutschen Aussenministerin an uns heran – aber dann ohne Halbherzigkeit  – und sprechen wir an, wer wirklich dafür verantwortlich ist. Dann kommen wir zu der in meinen Augen einzigen Schlussfolgerung: Konflikte können niemals mit Waffen beigelegt werden. Nie wieder Krieg!

 

Newsletter bestellen