Bioökonomie: Heilsversprechen aus dem Legoland

Bioökonomie löst alle Probleme. Essen, Energie und Ressourcen in Hülle und Fülle. Ende der Umweltverschmutzungen und ein langes gesundes Leben sind gesichert. Nebenbei wächst die Wirtschaft und Arbeitslosigkeit geht zurück. Fliessen nur genügend Forschungsgelder, verspricht eine Allianz aus Industrie, Grossinvestoren, Politik und Forschung mit der „grenzenlosen kommerzielle Nutzung allen Lebens“ diese Verheissung einzulösen. Bioökonomie will alle Tätigkeiten der Medizin, der Land- und Energiewirtschaft sowie der chemischen Industrie an der Natur ausrichten und „grün“ wachsen. Alle fossilen Rohstoffe sollen nun durch biologische ersetzt werden.

Ein totalitärer Ansatz, der alles Leben zur Ware macht und die Natur als „Selbstbedienungs-laden“ und Legoland sieht, lautet die Kritik der beiden Autoren in ihrer Streitschrift „Irrweg Bioökonomie“. Damit würden die Prinzipien der Vorsorge, Verantwortung, Generationengerechtigkeit und Biodiversität verletzt. Pflanzen werden den veränderten Bedingungen des Klimas, der zerstörten Böden und den Pestiziden angepasst. Die synthetischen Biologie baut massgeschneiderte, optimierte Lebewesen. Zivilisationskrankheiten werden mit Genscreenings, Functional Food und individuell abgestimmten Medikamenten behandelt. Es seien „Vergewaltigungsversuche an der Natur“ und eine „masslose Selbstüberschätzung“ mit unberechenbaren Risiken. Bioökonomie nennt sich „wissensbasiert“. Die Autoren bezeichnen das “angesichts der zahlreichen ungewollten Nebenwirkungen und Fehlschlägen der Gentechnik sowie der Schneisen der Verwüstungen, die die Agrarindustrie bisher hinterlassen hat, bestenfalls ignorant.“

Die Kritik ist massiv. Die Bioökonomie geht gemäss den Autoren von einem mechanistischen Menschen- und Naturbild aus. Wird in die komplexen Lebensprozesse eingegriffen, würden deren Selbstheilungs-, Selbstregulierungs- und Selbstreparaturfähigkeiten zerstört. Unsere ökologischen Existenzgrundlagen sind bedroht, Konzernmonopole werden gestärkt, Demokratie abgebaut und alternative Wege verbaut. Die Allianz hat mit geschicktem Lobbyieren unglaubliche Summen an Forschungsgelder gesichert. In Deutschland stehen für die nächsten 3 Jahre 2,4 Milliarden Euro zur Verfügung. Als „Weg ohne Alternative“ würde auch versucht, jede Kritik und Debatte zu unterdrücken.

Die Fakten sind gut recherchiert, die Argumente plausibel. Es ist ein wichtiges Buch, welches nicht vor Fragen der Macht und des Machtmissbrauchs zurückschreckt. Es enthüllt die gewalttätige Systemlogik, wonach man im Legoland nach Belieben Leben manipuliert. Weder Wohlstand für alle, noch Zukunftsfähigkeit oder langfristige Resilienz sind im Blick, sondern eine Profitorientierung, welche nicht zurückschreckt, Saatgut, Gene, Land oder Wasser zu privatisieren. Was viele der Probleme geschaffen hat wird neu verpackt als Bioökonomie zur Lösung präsentiert. Eine Schwäche des Buches ist die Fokussierung auf die Landwirtschaft. Zu den medizinischen und chemieindustriellen Aspekten der Bioökonomie erfährt man wenig. Es wäre schön, hier eine ebenso kluge Analyse zu erhalten. An einer Stelle sind die Autorin und der Autor in die eigene Falle getappt. Sie fordern einen neuen Umgang mit Sprache, welche die Natur nicht auf Nutzen reduziert. So wird die Umbenennung von Lebewesen als rhetorisches Mittel beschrieben, „um so seine Ausbeutung zu rechtfertigen und jedes Mitgefühl mit ihm auszulöschen“. Als Beispiel wird das „Nutztier“ genannt, aber einige Seiten weiter hinten wird positiv von alten „Nutztierrassen“ erzählt, die „sozial, ökologisch, kulturell und ökonomisch attraktive Zukunftsperspektiven“ eröffnen. Unsere Sprachgewohnheiten sitzen tief und dieser Ausrutscher ist verständlich.
Ich habe das Buch mit grossem Gewinn gelesen. Es endet nicht bei der Kritik, sondern bietet wertvolle Hinweise, was jede und jeder von uns tun kann. Ein wichtiges Plädoyer, das die Heilsversprechen aus dem Legoland hinterfragt und zu einer längst fälligen und existenziell notwendigen Debatte aufruft. Eine Streitschrift, welche die kalte, totalitäre Logik hinter die Bioökonomie aufzeigt und Mut macht, sich einzumischen!

Franz-Theo Gottwald, Anita Krätzer: Irrweg Bioökonomie – Kritik an einem totalitären Ansatz. edition unseld. Berlin 2014

Im nächsten Zeitpunkt Ende April erscheint ein ausführliches Gespräch zwischen Thomas Gröbly und Franz-Theo Gottwald.
21. März 2014
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