BRICS-Gipfel in Kazan: eine ansteckende Energie und eine alternative Vision für eine Welt souveräner Staaten
Das Treffen der BRICS+-Staaten signalisierte Offenheit, Akzeptanz, Kompromissbereitschaft, Höflichkeit und Zusammenarbeit
Simplicius liefert auf seinem substack-Account eine detaillierte Zusammenfassung des BRICS-Gipfels mit vielen Videobeispielen bemerkenswerter Momente. Um nur ein Beispiel zu nennen:
Der armenische Präsident Nikol Pashinjan wurde neben den aserbaidschanischen Präsidenten Ilham Aliyev platziert. Und die Chefs der beiden zerstrittenen Länder (Berg-Karabach) begannen unverzüglich ein freundliches Gespräch.
Der erweiterte BRICS-Gipfel fand nicht zufälligerweise am 24. Oktober statt, dem Tag der UNO, 79 Jahre nach Unterzeichnung der UNO-Charta. Der venezolanische Präsident Nicolas Maduro lieferte in freier Rede ein flammendes Plädoyer für eine Weiterentwicklung der BRICS zu einer Art erneuerter UNO. 13 neue Partnerstaaten wurden aufgenommen, eine Vorstufe der Vollmitgliedschaft; dutzende weitere sind interessiert.
Konkrete Ergebnisse zu dem von vielen erwarteten BRICS Verrechnungs- und Zahlungssystem gab es nicht, sieht man von den vertraulichen Besprechungen und Dokumenten ab, über die naturgemäss keine Informationen vorliegen. Das Muster einer möglichen BRICS-Banknote machte zwar die Runde. Aber nach dem Gesichtsausdruck von Putin zu urteilen, war das Ding eher zur Erheiterung und als Anregung zur Vorfreude gedacht.
Es wird allerdings mit Hochdruck daran gearbeitet, die Mitgliedsländer vom Dollar unabhängig zu machen. Die verschiedenen Interessen in einem Konsenses zu vereinigen, erfordert allerdings Zeit. Bei der Bretton Woods-Konferenz vor achtzig Jahren hatten es die USA einfacher. Sie brauchten auf niemanden Rücksicht zu nehmen und konnten ihren Dollar als Weltwährung durchsetzen.
Noch ein Hinweis auf Putins Rede: Ihr Schwerpunkt lag auf der Kooperation souveräner Staaten, Konfliktlösungen und der Verwirklichung der gemeinsamen Interessen des globalen Ostens und Südens. Seine Erklärungen klangen vielleicht etwas allgemein und unspezifisch. Aber wenn man Putin ernst nimmt – und dafür gibt es gute Gründe, dann werden sich die BRICS zu einem echten Forum und starken Motor für einvernehmliche, globale Lösungen entwickeln.
Thomas Röper vom Anti-Spiegel hat Putins Rede übersetzt: «Putins Eröffnungsrede beim BRICS-Gipfel im O-Ton»
Es ist nicht verboten, den BRICS-Gipfel in Kazan mit dem Westfälischen Frieden zu vergleichen, der 1648 nicht nur den Dreissigjährigen Krieg beendete, sondern auch den bis heute geltenden völkerrechtlichen Grundsatz der Nichteinmischung in die internen Angelegenheiten anderer Staaten etablierte.
Dieses Prinzip erfordert heute dringend eine Erneuerung. Staatliche Stiftungen und Organisationen der USA und private internationale Institutionen geben jährlich Milliarden aus, um die Innenpolitik verschiedenster Staaten zu beeinflussen, ganz zu schweigen von den völkerrechtswidrigen amerikanischen Sanktionen, unter denen ein Drittel der Länder dieser Welt zu leiden haben.
Es war allerdings nicht alles Friede, Freude, Eierkuchen am BRICS-Gipfel, wo der schwelende Konflikt zwischen Brasilien und Venezuela offen ausbrach, indem Brasilien das Veto gegen den Partnerschaftsstatus Venezuelas einlegte.
Die Hintergründe sind nicht ganz klar und liegen offenbar im Bemühen Lula da Silvas, es auch den USA recht zu machen. Er war ja der erste BRICS-Führer, der Russlands Invasion in die Ukraine verurteilte. Und George Soros lobte Lula an der Münchner Sicherheitskonferenz 2023 in München explizit.
Ursprünglich unterstützte Lula Maduros Wiederwahl als venezolanischer Präsident. Nach der Wahl forderte er aber in einer gemeinsamen Erklärung mit Präsident Biden die Veröffentlichung der detaillierten Resultate und wenig später die Wiederholung der Wahl.
Am BRICS-Gipfel fehlte Lula, angeblich wegen einer Kopfverletzung, die die Reise verunmögliche. Venezuela reagierte scharf auf das brasilianische Veto, das vom venezolanischen Aussenministerium als «unmoralische Aggression» bezeichnet wurde, die «den Hass, die Ausgrenzung und die Intoleranz fortsetzt, die von den Machtzentren im Westen gefördert werden».
Die konkreten Auswirkungen des Vetos sind allerdings unerheblich. Die Zahlungsflüsse unter den BRICS-Ländern sind bilateral geregelt. Dazu ist weder eine Mitgliedschaft noch eine offizielle Partnerschaft notwendig. Unterm Strich dürfte das Veto eher Brasiliens Status innerhalb der BRICS-Staaten schaden als Venezuela. Aber die USA dürften zufrieden sein.
Simplicius fasst den BRICS-Gipfel folgendermassen zusammen:
Insgesamt kann man vom BRICS-Gipfel vor allem Folgendes mitnehmen. Sehen Sie sich einige der dargestellten Szenen genau an: Indien und China, nachdem sie gerade eine Lösung für ihren Grenzkonflikt ausgehandelt haben, Armenien und Aserbaidschan, die ihre Streitigkeiten beilegen, andere «geächtete» Mitglieder der Weltgemeinschaft, die mit offenen Armen empfangen werden, keine herablassende, verurteilende Überheblichkeit, keine belehrende Predigt und kein pompöses Reden, wie man es so oft vom Westen in seinen globalen Institutionen, von der EU bis zu den Vereinten Nationen, sieht, usw.
Die grösste Errungenschaft der BRICS besteht darin, dass sie eine Botschaft der Akzeptanz, des Kompromisses, der Offenheit, der Höflichkeit und der Zusammenarbeit aussenden - die wahre Definition anti-liberaler Qualitäten, die der Westen so vehement vertritt.
Es lag eine Art ansteckender Energie in der Luft: eine alternative Vision für eine Welt, die von souveränen Erwachsenen geführt wird und nicht von kleingeistigen, nervösen kleinen elitären Wichtigtuern und aufdringlichen Apparatschiks, wie man sie in den Hallen der entsprechenden westlichen Institutionen sieht.
Kurzum, ein Hauch von frischer Luft und Reife. Das ist für mich die stärkste Botschaft, die die BRICS aussenden. Auch wenn sie noch keine grossen konkreten Fortschritte erzielt haben, so war es doch ein symbolisch bedeutsames Ereignis für die gesamte Entwicklungswelt und den globalen Süden, das in den kommenden Jahren mit dem Niedergang des Westens noch an Bedeutung gewinnen wird.
Quellen:
Simplicius: BRICS 2024 Kazan Special Coverage. 25.10.2024 (lesenswert, in englisch)
Andrew Korybko: Brazil’s Reported Veto Of Venezuela’s BRICS Partnership Request Popped The PT’s Narrative Bubble. 26.10.2024
Alexander Dugin und Pepe Escobar analysieren den BRICS-Gipfel und seine geopolitischen und wirtschsftlichen Konsequenzen (Video in englisch. https://t.me/geopolitics_live/35434)
Ausgewählte Berichterstattung aus den Mainstream-Medien:
Welt: EU wirft Putin „Missbrauch“ des Brics-Gipfels vor – Appelle an Guterres und Erdogan
Focus: Gipfel-Abschlussdokument - Kasan-Deklaration zeigt: BRICS-Staaten setzen Putin klare Grenzen
ZDF: Experte: "Größe ist nicht gleich Macht“
Handelsblatt: BRICS: Indien und China gelingt Annäherung – Aufwertung für Putin
SRF: Teilnahme am Brics-Gipfel - Der Auftritt von UNO-Chef Guterres grenzt an Arbeitsverweigerung
Spiegel: »Mir ist nicht klar, welchem Zweck dieser Klub noch dient«
Agenzia nova: BRICS: Gipfel in Kasan geht zu Ende, die Gruppe hofft, „eine globale stabilisierende Kraft“ zu werden
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Christoph Pfluger
Christoph Pfluger ist seit 1992 der Herausgeber des Zeitpunkt. "Als Herausgeber einer Zeitschrift, deren Abobeitrag von den Leserinnen und Lesern frei bestimmt wird, erfahre ich täglich die Kraft der Selbstbestimmung. Und als Journalist, der visionären Projekten und mutigen Menschen nachspürt weiss ich: Es gibt viel mehr positive Kräfte im Land als uns die Massenmedien glauben lassen".
Kommentare
Zeitpunkt-Artikel 'BRICS-Gipfel in Kazan' v. 26. 10.
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