Die Nestbeschmutzerinnen
Die Schweiz wird vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte verurteilt, weil sie angeblich zuwenig für den «Klimaschutz» tut. Verklagt wurde sie von den «Klimaseniorinnen». Auf ihren Sieg sind die netten älteren Damen sogar noch stolz. Die Kolumne aus dem Podcast «Fünf Minuten».
Wenn ich mir diese Schweizerinnen, die ihr eigenes Land beim Europäischen Gerichtshof verklagten, auf den Bildern so anschaue, sehe ich ganz normale ältere Frauen. Sie könnten unsere Mütter und Grossmütter sein. Und ich kann sie dazu nur beglückwünschen, dass sie sich auch im Seniorenalter nicht darauf beschränken, für ihre Männer zu kochen, Enkelkinder zu hüten und eine Donau-Flussfahrt zu buchen, sondern dass sie politisch in irgendeiner Weise aktiv sein wollen. Das ist sinnvoll, hält geistig rege und zeugt von Anteilnahme am Weltgeschehen.
Auch wenn sie sich für den «Klimaschutz» engagieren, haben die Frauen meinen vollen Respekt, selbst wenn ich nicht ganz verstehe, warum man für etwas, das der Mensch nicht beeinflussen kann, auf die Barrikaden geht. Aber ich finde jedes Engagement, das der Umwelt dient, positiv, weil es zeigt, dass der Mensch sich Gedanken über sein Handeln macht und auch bereit ist, sein Verhalten zu ändern, wenn es seiner Umgebung schadet.
Aber die Klimaseniorinnen hatten von Anfang an grössere Ambitionen. Es genügte ihnen nicht, Forderungen zu stellen, ein Volksbegehren zu starten und auf die Strasse zu gehen – sie wollten den Staat dazu zwingen, mehr «fürs Klima» zu tun. Sie wollten ihn gerichtlich dazu veranlassen. Der Weg der politischen Auseinandersetzung war ihnen zu anstrengend. So beschlossen sie eine Anzeige gegen den Schweizer Staat. In ihrer Klage – wie man inzwischen überall lesen konnte – argumentierten sie, dass das angeblich immer heisser werdende Klima immer mehr Hitzewellen verursacht und dass diese Hitzewellen insbesondere ältere Frauen belasten. Weil der Bundesrat gegen die Klimaerhitzung nicht genug unternehme, verletze er die Menschenrechte der älteren Frauen und der Bevölkerung insgesamt. Sein ungenügendes Handeln verstosse nicht nur gegen die Bundesverfassung, in der das «Recht auf Leben» verankert sei, sondern auch gegen die von der Schweiz unterzeichnete Europäische Menschenrechtskonvention, die das Recht auf «Achtung des Privat- und Familienlebens» enthalte.
2016 reichten die Klimaseniorinnen ihre Klage beim Bund ein. Zwei Jahre später wurde sie vom Bundesverwaltungsgericht abgelehnt. Wieder zwei Jahre später wurde sie auch vom Bundesgericht, dem höchsten Gericht im Land, abgewiesen. Die nächste Instanz jedoch hatten die klugen Seniorinnen gleich von Anfang an eingeplant: Wenn uns die Schweiz abweist, gehen wir nach Strasbourg. An den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte.
Woran erinnert mich diese Vorgehensweise? Sie erinnert mich an das Verhalten von Kindern. Wenn Kinder nicht bekommen, was sie wollen, können sie das Nein ihrer Eltern entweder schlucken, oder sie machen Terror, bis die Eltern nachgeben. Wenn erwachsene Kinder von ihren Eltern nicht den Unterhaltsbeitrag erhalten, den sie verlangen, können sie den Entscheid der Eltern entweder akzeptieren - und ihn vielleicht sogar zu verstehen versuchen – oder sie können gegen die Eltern gerichtlich vorgehen.
Wenn aber Kinder, die sich geliebt fühlen durften, ihre eigenen Eltern gerichtlich verklagen, dann geht im Herzen dieser Kinder etwas kaputt. Dann zerstören sie damit das Band der Liebe, das sie mit ihren Eltern verbunden hat. Denn gegen die Eltern zu klagen bedeutet, ein Prinzip bewusst zu verletzen, das zum Wesen der Familie gehört: Innerfamiliäre Konflikte innerhalb der Familie zu lösen. Ist dieses Prinzip einmal verletzt und kommunizieren die beiden Parteien nur noch per Anwalt, lässt sich der Bruch kaum wiedergutmachen.
Auch wir Schweizerinnen und Schweizer sind wie die Kinder. Wir sind die Kinder unseres Landes. Unser Land sind unsere Eltern. Und so wie Kinder ihre Eltern mehr oder weniger innig lieben, so lieben wir unser Land. Die einen mehr, andere etwas weniger. Doch die meisten von uns stehen zur Schweiz. Und wenn wir unverhofft, fern von zu Hause, das weisse Kreuz im roten Feld sehen, dann freuen wir uns. Ist es nicht so?
Wir und die Schweiz sind wie die Familie, wie die Kinder und ihre Eltern. Deshalb versuchen auch wir die Probleme, die wir untereinander haben, untereinander zu lösen. Im eigenen Land. Und in letzter Instanz vor einem Schweizer Gericht. So haben wir es immer gehalten. Wir sind gut gefahren damit. Es ist fast ein Naturgesetz. Doch die Klimaseniorinnen haben dieses Gesetz mit Vorsatz verletzt.
Warum haben sie das getan? Weil sie die Schweiz nicht als Familie sehen. Sondern als ein Konglomerat von Interessen, wo alles erlaubt ist. Auch der Beizug von fremden Richtern. Auch die Selbstaufgabe der Schweiz als neutrales Land. Die Klimaseniorinnen betrachten unser Land nur intellektuell. Entweder sind sie selber Akademikerinnen, oder sie glauben, was die Intellektuellen sagen. Was die Wissenschaft sagt. Was die Experten sagen. Sie versuchen schon gar nicht eigenständig zu denken, weil sie sich nicht mehr spüren. Sie spüren sich nicht mehr, weil sie keine Verbindung mehr haben zu ihren Wurzeln. Und zu ihren Wurzeln gehört auch die Schweiz. Das Land ihrer Väter und Mütter. Oder das Land, das zu ihrer Wahlheimat wurde. Die Klimaseniorinnen sind wie die Kinder, die mit ihren Eltern gebrochen haben.
Deshalb fühlen sie sich unserem Land nicht verpflichtet. Sonst hätten sie es nicht angezeigt. Die eigenen Eltern verklagt man nicht. Verklagen kann man nur eine Schweiz, die man nicht mehr als Heimat sieht, sondern als blossen Wohnort. Als zweifellos privilegierten Wohnort. Den man gerne beansprucht. Der aber keine Seele mehr hat.
So wie der globalistische Zeitgeist die Kinder gegen die Eltern zu beeinflussen sucht, so will er die Menschen von ihrem Land, in welchem sie leben, entfremden. Sie sollen keine Gemeinschaft mehr bilden, sondern bloss noch Menschenmaterial sein, das kein Zuhause mehr hat. Die Klimaseniorinnen, so nette ältere Damen sie sein mögen, haben verstanden, was der Zeitgeist von ihnen will. Sie verklagten ihr eigenes Land ohne Skrupel und ohne Sentimentalität. Und jetzt, wo sie gewonnen haben, sind sie sogar noch stolz darauf, wie die Bilder in den Zeitungen zeigen. Sie sind stolz auf ihren Verrat.
Als ich in jungen Jahren ein Linker war und alles in Frage stellte, alles herunterriss, gehörte ich zu den «Nestbeschmutzern». So wurden wir damals genannt, weil wir die Schweiz an den Pranger stellten und kein gutes Haar an ihr liessen. Doch verklagt vor Gericht haben wir unser Land nie. Deshalb gebe ich nun, 50 Jahre danach, die Verunglimpfung gerne weiter. Ich überreiche den Titel den Klimaseniorinnen. Sie sind die «Nestbeschmutzer» von heute.
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von:
Über
Nicolas Lindt
Nicolas Lindt (*1954) war Musikjournalist, Tagesschau-Reporter und Gerichtskolumnist, bevor er in seinen Büchern wahre Geschichten zu erzählen begann. In seinem zweiten Beruf gestaltet er freie Trauungen, Taufen und Abdankungen. Der Autor lebt mit seiner Familie in Wald und in Segnas.
2023 erschien: «Heiraten im Namen der Liebe» - Hochzeit, freie Trauung und Taufe: 121 Fragen und Antworten - Ein Ratgeber und ein Buch über die Liebe - 412 Seiten, gebunden - Erhältlich in jeder Buchhandlung auf Bestellung oder online bei Ex Libris, Orell Füssli oder auch Amazon - Informationen zum Buch
Weitere Bücher von Nicolas Lindt
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Ein Beispiel aus dem Links-Grünen Denken und Fühlen.
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