Das Programm ist die Lösung

Wie funktioniert Politik? Nehmen wir einmal an, es entsteht ein Problem. Zum Beispiel: Die Menschen verarmen. Dann nimmt die Partei oder der Politiker sein Programm hervor und präsentiert eine Lösung daraus. Die Neoliberalen würden dann zur Bekämpfung der Armut Steuersenkungen vorschlagen, damit die Reichen wieder mehr verdienen und für die Armen mehr Brosamen abfallen. Das ist der berühmte trickle-down-Effekt, auf den wir seit den Jahren Ronald Reagans warten. Die Linken dagegen schlagen vor, gewisse Güter zu subventionieren oder die Steuern zu erhöhen, damit man den Armen mehr davon geben kann. Beides sind natürlich keine Lösungen. Aber so wollen es die Programme und deshalb werden sie als Lösungen verkauft. Es gewinnt nicht die bessere Lösung, sondern der bessere Verkäufer.

Aber es geht noch schlimmer. Besonders schlaue Politiker erfinden Probleme, die zu ihren Programmen passen. Saddam Hussein, der irakische Diktator, den man jahrelang unterstützt hatte, wurde plötzlich zum Problem, das beseitigt werden musste. Im Programm stand etwas ganz anderes: Hegemonie im Nahen Osten. Es gibt viele solcher «Probleme»: Monopolisierung stand auch im Programm, als die Glühbirnen verboten wurden oder als sich in den 1930er Jahren Chemiekonzerne und Papierhersteller zusammentaten und eine Kampagne zum Verbot des Hanfs starteten.

Wie würde es denn richtig gehen? Nehmen wir dazu als Beispiel eine reale Situation, die von allen Beteiligten als Problem anerkannt wird, das gelöst werden muss: das Flüchtlingsproblem. Die einzige Lösung für dieses Problem besteht in der Behebung der Fluchtursachen, sodass die Menschen dort leben können, wo sie geboren worden sind – was die allermeisten Menschen übrigens möchten.  Dieses Problem wird von der Politik und ihren Programmen nun zu einer ganzen Kaskade von Lösungen verwurstet, die keine sind und deswegen zu weiteren und schlimmeren Problemen führen. Die Wirtschaft, die auf Teufel komm raus auf Wachstum angewiesen ist, befürwortet den Zustrom, weil die Versorgung der Flüchtlinge auch ein Geschäft ist. Zudem werden die Flüchtlinge mit der Zeit zu Konsumenten und zu billigen Arbeitskräften. Darum befürworten die wirtschaftsnahen Parteien den Zustrom von Flüchtlingen. «Wir schaffen das!»

Die einheimischen Globalisierungsverlierer sehen in den Flüchtlingen Konkurrenten um das wenige Sozialgeld und die schlechten Jobs, mit denen sie sich über Wasser halten. Darum stehen sie den Flüchtlingen tendenziell ablehnend gegenüber. Politisch spielt diese Klasse ausser als Stimmenlieferant keine Rolle, weshalb sie nicht ernst genommen, sondern bloss mit Brosamen ruhig gestellt wird. Dieses Stimmenpotenzial machen sich nun aber dumpfe Gestalten zunutze, die sonst in der Politik keine Chance hätten, die AfD zum Beispiel. Seit den 1920er und 30er Jahren wissen wir, dass dies eine gefährliche Mischung ist.
Nur: Man darf die AfD nicht bekämpfen – Kraft erzeugt Gegenkraft. Man muss ihr das Thema wegnehmen, das sie missbraucht. Aber genau diese grosse Chance verpasst die Linke, nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa. Sie schlägt sich auf die Seite der Wirtschaft und passt bloss die Argumente an ihr Programm an: Solidarität mit den Flüchtlingen. Das tönt wenigstens gut.

Was müsste die Linke tun? Als Erstes müsste sie die Ursachen des Flüchtlingsproblems erkennen: die US-amerikanische Hegemonialpolitik in den Fluchtländern mit Kriegen (Syrien, Afghanistan, Irak etc.) und die Ausbeutung durch den internationalen Finanzkapitalismus in allen andern Drittweltländern. Und dann müsste sie eine breite Kampagne führen, um diese primären Fluchtursachen im Bewusstsein des Stimmvolks zu verankern, zum schliesslich die Kosten dieser verheerenden Politik den Verursachern belasten zu können. Eine solche Kampagne würde auch transparent machen, wie wir in den reichen Ländern vom Finanzkapitalismus und den Banken und Multis als primären Akteuren ausgebeutet werden. Die konsequente Bekämpfung der Fluchtursachen an der Wurzel würde so auch bei uns zu gerechteren Verhältnissen führen.
Aber das macht die Linke nicht. Sie streitet lieber mit der AfD oder der SVP über Kontingente und Grenzkontrollen. Aber diese unechte Auseinandersetzung ist gar nicht zu gewinnen. Deshalb geht es der Linken in ganz Europa mit Ausnahme des Südens schlecht.

Natürlich muss man für die Flüchtlinge sorgen, jetzt wo sie da sind. Aber die Hauptanstrengung sollte in den Aufbau gerechter Strukturen in den Drittweltländern fliessen. Das ist keine Aufgabe der Entwicklungshilfe, sondern der Regierungen. Dort werden die ausbeuterischen Grossgeschäfte eingefädelt und die Rechtsnormen festgelegt, die den Menschen vor Ort das Leben schwer und schliesslich zur Hölle machen, vor der es nur eine Rettung gibt: Flucht.
Warum tut das die Linke nicht?
Darüber mehr ein andermal.
01. November 2016
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