Das Vollgeld und die Linke

Brennende Bärte: Probleme muss man lösen, nicht besänftigen.

Die Vollgeld-Initiative ist zustandegekommen. Die Schweiz wird als erstes Land der Erde an der Urne entscheiden können, ob die Banken mit selbst gebasteltem Luftgeld Reichtum auf der einen und Not auf der anderen Seite schaffen dürfen – und Konflikt und Krieg dazwischen. Dass die Banken von diesem revolutionären, aber gerechten Vorhaben nicht begeistert sein würden, war zu erwarten. Sie haben sich denn auch schon vor Beginn der Unterschriftensammlung über die «avenir suisse» gemeldet und auf die Vertragsfreiheit berufen. Ok. Wenn die Banken frei sein wollen, dann sollen sie gefälligst auch auf  staatliche Garantien, Rettungsschirme, Bail-ins und -outs verzichten.


Erstaunt hat mich aber der Widerstand der Linken. Wie kann man nur ein derart fundamentales Privileg wie die private Geldschöpfung verteidigen? (Einschub zur Klärung: 85 Prozent des Geldes werden durch die privaten Banken geschaffen, indem sie den Kreditnehmern Guthaben ins Konto schreiben, die es vorher nicht gegeben hat. Mit diesem buchhalterischen Trick realisieren sie aus dem Nichts happige Zinsgewinne, welche die Volkswirtschaft erarbeiten muss.)


Vielleicht haben sie die Sache ganz einfach nicht verstanden, wie etwa Rudolf Strahm, der im Tagesanzeiger (vom 10. Nov. 2014) die Vollgeld-Initiative als «Verwirrung» bezeichnet und die absurde Behauptung aufstellt, «jeder Kredit müsste von der Nationalbank verantwortet oder rückfinanziert werden.» Tragischerweise beschreibt er, ohne es zu wissen, die heutige Situation: Wenn die Banken zu viele uneinbringliche Kredite verleihen, wie dies heute weltweit der Fall ist, müssen die Zentralbanken mit der Druckerpresse einspringen – heute «quantitative easing», quantiative Lockerung genannt.


Andere Kritiker haben mehr intellektuelles Gewicht, Heiner Flassbeck zum Beispiel, der frühere Chefökonom der UNCTAD. Auch er befürwortet nicht explizit die Geldschöpfung durch die privaten Banken – wie könnte er auch? –, aber er kritisiert das Vollgeld, für Dinge, die es nicht ist. Das Vollgeld beruft sich u.a. auf die sogenannte Quantitätstheorie, nach der die Menge des Geldes eine wichtige Rolle spielt. Monetaristen wie Milton Friedman hatten erkannt, dass überschiessende Geldproduktion immer wieder zu Blasen führt und entwickelten eine ökonomische Politik der Geldmengenbeschränkung, mit verheerender Wirkung: Hohe Zinsen trieben in den 80er Jahren die Dritte Welt in eine Schuldenkrise, zerstörten Arbeitsplätze und machten die Reichen reicher. Logisch: Wenn Geld privat geschöpft wird – nämlich von den Banken – und sich sein Preis erhöht, dann profitieren die Banken und ihre Klientel. Das heisst aber nicht, dass die Quantitätstheorie falsch ist. Hätte der Staat das Geldschöpfungsprivileg nicht leichtfertig den Banken überlassen, könnte er Geld in der richtigen, dem Wirtschaftswachstum entsprechenden Menge und zum Wohle der Allgemeinheit in Umlauf bringen. Nicht die Menge des Geldes, sondern seine Herkunft ist das Problem.


In einem Aufsatz mit dem Titel «Vollgeld – die Kritik der Kritik» schreibt Flassbeck: «Wir haben den Monetarismus ja hauptsächlich wegen der naiven Verwendung der ‹Quantitätstheorie› kritisiert, folglich gilt die Kritik für jeden, der sie in gleich naiver Weise verwendet.» Aber formulieren kann er: «Wenn ich ein Tier sehe, das aussieht wie ein Elefant, sich benimmt wie ein Elefant und Töne macht wie ein Elefant, dann nenne ich es Elefant, auch wenn das Tier es explizit ablehnt, Elefant genannt zu werden.» Nur: Flassbeck vergleicht hier faule mit gesunden Äpfeln, privates Bankengeld mit staatlichem Vollgeld. Möglicherweise hat er von der einen Sorte schon zu viel gegessen.


Damit nähern wir uns dem tieferen Grund für die linke Abneigung gegen das Vollgeld. Es gibt seit dem Ersten Weltkrieg einen historischen Pakt zwischen dem Sozialismus und den Banken: Die Linken beruhigen das arbeitende Volk mit Wohltaten, die Banken finanzieren sie und verdienen ein Mehrfaches daran. Natürlich sind die obszönen Gewinne der Konzerne und der Superreichen ein Schlag ins Gesicht der Gerechtigkeit. Und sicher lässt sich die Schere zwischen arm und reich durch hohe Besteuerung und staatliche Umverteilung zugunsten der Arbeitenden ein bisschen ausgleichen. Aber die primäre Ursache der Ungleichgewichte ist die private Geldschöpfung, deren Gewinn bei 25 bis 30 Prozent des Bruttosozialprodukts liegt. So viel betragen die Kapitalgewinne gemäss Piketty in der langen Frist. Logisch: Wenn neues Geld von vornherein anstatt in die Allgemeinheit zu den Reichen fliesst, brauchen wir uns über deren Gewinne nicht zu wundern.


Das Problem ist die private Geldschöpfung. Und Probleme muss man lösen, nicht besänftigen.   
29. November 2015
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