Die Macht der Gewaltfreiheit
Sami Awad: Lehrer für Gewaltfreiheit, Direktor des Holy Land Trust in Bethlehem
Bethlehem, Flüchtlingslager Aida-Camp. Seit über sechzig Jahren leben 4‘500 Menschen hier auf engstem Raum, zuerst in Zelten, dann in Hütten, heute in über- und untereinander gebauten Häusern. Bewacht von israelischen Soldaten, umgeben von einer Mauer. Tägliche Kontrollen, Checkpoints, Vorschriften, keine Arbeit. Friede gilt hier schon fast als Schimpfwort.
«Ich will keinen Frieden, ich bin stark», ruft ein Junge mit Baseballmütze und zeigt seinen Bizeps. «Der Islam wird siegen.» Aber wohin mit dieser Stärke! Das Leben ist ein Dampfdrucktopf, und die einzige Richtung, in die sich die Kraft entladen kann, ist Gewalt. «Ist es nicht so, Bruder?»
«Nein. Es ist nicht so. Wenn du Steine wirfst oder dich in die Luft sprengst, bist du da, wo der Feind dich haben will. Du gibst ihm den Vorwand, seine Besatzung zu rechtfertigen.» Der so spricht, ist keiner von denen, die klug reden und dann wieder verschwinden. Er ist einer von ihnen, Palästinenser, Flüchtling und Sohn von Flüchtlingen: Sami Awad, 41 Jahre alt, verheiratet, drei Töchter, Angehöriger der christlichen Minderheit aus Bethlehem/ Palästina. Seine Familie musste Jerusalem im Krieg 1948 verlassen, bis heute dürfen sie nicht zurückkehren. Sein Vater ist Prediger; zum großen Vorbild aber wurde sein Onkel Mubarak Awad: Ein Volksführer, glühender Verehrer von Mahatma Gandhi. Während der ersten Intifada – 1987 war Sami gerade 15 Jahre alt – lernte er die bedrückende Situation Palästinas kennen, sog die Lehren Gandhis ein wie ein trockener Schwamm und verteilte Flugblätter: Ziviler Ungehorsam, Verweigerung der Kooperation, gewaltfreier Widerstand. «Was ist ein grösserer Sieg: Einen feindlichen Soldaten zu erschiessen oder ihn dazu zu bringen, sein Gewehr wegzuwerfen?»
Sami steckte immer mit einem Bein im Gefängnis. Die israelische Besatzung erkannte den geistigen Sprengstoff in den Aufrufen zum gewaltfreien Widerstand. Altersgenossen verschwanden für Jahre hinter Gittern. Um ihm dieses Los zu ersparen, schickten ihn seine Eltern zum Studium nach Washington in die USA. Nach seiner Rückkehr gründete er den Holy Land Trust, eine Schule für gewaltfreie Aktion. Ausgerechnet hier, wo Friede mit Schwäche gleichgesetzt wird, weil an Gerechtigkeit keiner mehr glauben mag, beackert er sein Arbeitsfeld.
«Die israelische Besatzung zu beenden, ist ein Leichtes im Vergleich zu dem, was dann auf uns zukommt: Ein freies, demokratisches, gewaltfreies Palästina aufzubauen. An dieser Vision zu arbeiten, bedeutet für uns, die palästinensische Dorfgesellschaft zu stärken und sie mit modernem Wissen über Ökologie, Konfliktlösung und Gemeinschaftsbildung zu verbinden.»
Nur auf den ersten Blick wirkt Sami unscheinbar. Dann aber ziehen diese ruhigen Augen ihr Gegenüber in den Bann. Sie haben viel gesehen, diese Augen, vieles, was andere Menschen in die Verzweiflung getrieben hätte. Aber ihm scheint das Erlebte die Unumstösslichkeit gegeben zu haben, mit der er jetzt spricht.
«Die schwierigen Lebensbedingungen unter der Besatzung, die fehlende Bewegungsfreiheit, die Enge und die Armut und vor allem die Geschichten, die wir uns darüber erzählen, festigen das Bild, wir Palästinenser seien ohnmächtig. Aber wir sind es nicht. Meine Arbeit besteht darin, den Menschen ihre Macht bewusst zu machen. Gewaltfreiheit ist das wirksamste Mittel, um eine Besatzung zu beenden. Gandhi ist dafür nur ein Beispiel von vielen. Gewaltfreiheit ist die Kunst, so zu agieren, wie es die, die in dir den Feind sehen, nicht erwarten.»
Sami Awad ist Lehrer für Gewaltfreiheit. Zu seinen Workshops kommen Parteien, Polizeigruppen, ganze Dörfer. Sie lernen konkret und direkt, wie sie sich gewaltfrei z.B. gegen Übergriffe von israelischen Siedlern wehren können.
«Es hat einen grossen Effekt, wenn eine ganze Dorfbevölkerung lernt, dass ein Gruppe Frauen, die sich unbewaffnet Siedlern entgegenstellt und nicht weicht, mehr erreicht als Jahre der gegenseitigen gewalttätigen Angriffe.» Sogar eine lokale Führungseinheit der Hamas besuchte schon einen Workshop. Aber Sami Awad ist auch noch mehr:
Er ist Visionär eines freien und demokratischen Palästina, einer freien und friedlichen Erde, und das ist eine Besonderheit in einer täglichen Umgebung der Gewalt. Er setzt sich für den Aufbau eines Friedensforschungsdorfes in Palästina ein, dazu arbeitet er zusammen mit einer Initiative zum Aufbau von Friedensforschungsdörfern.
«Palästina,» so sagte er, »ist im Grunde eine Dorfgesellschaft, auch wenn uns diese Lebensweise derzeit so schwer gemacht wird. Wir brauchen lokale Beispiele für gelebte Gewaltfreiheit, mit ökologischer Technologie und Energieautonomie.»
Die Revolution, von der Sami Awad sich als ein Teil sieht, ist eine Revolution der Liebe: «Die wahre Macht besteht darin, sich selbst zu lieben. Habe so viel Vertrauen zu dir selbst, sei so zufrieden damit, wer du bist, welche Fähigkeiten du hast, welche Hautfarbe du hast, wie alt du bist. Dann kannst du dich mit allen Menschen verbinden. Und dann hast du die Macht, deinen Gegner wirklich zu entwaffnen.»
«Was hier gegenwärtig passiert, ist jenseits von Gewalt, es ist brennender Hass, auf beiden Seiten,» sagt Sami Awad über den gegenwärtigen Krieg im Gaza-Streifen. «Den müssen wir angehen, deshalb glaube ich nicht an eine Lösung, die allein durch die Vereinbarungen zweier Regierungen entsteht. Die schwierigste Herausforderung im Nahen Osten ist die Angst und das Trauma der jüdischen Gemeinde. Die wirken sich auf alle Gesellschaftsgruppen aus, nicht nur auf die jüdischen. Sie hat geschichtliche Ursachen, keine aktuellen.»
Ein Programm des Holy Land Trust heißt deshalb «Den Hass heilen». Es bringt jüdische, christliche und islamische Geistliche zusammen, die gemeinsam konkrete Schritte ausarbeiten, um in ihren Gemeinden den Hass aufzulösen.
Während des Höhepunktes der Bombardierungen im Juli trafen sich in der Westbank 50 Palästinenser und Israelis mit einigen Internationalen zu einem Visionscamp. Wie eine Insel inmitten von Aufruhr und Gewalt arbeiteten sie an den Grundlagen für eine friedliche Zukunft.
Sami Awad: «Immer kam es bei den Treffen zu unglaublichen Erfahrungen von Mitgefühl und Vergebung. Das Potential dieser Kräfte in unserer Region ist ungeheuer - und das wollen wir freisetzen, sowohl innerhalb der Gemeinden als auch zwischen ihnen.»
Vor einer Sache warnt Awad: «Was die Friedensentwicklung nicht brauchen kann, sind Außenstehende, die Partei für eine Seite und gegen die andere ergreifen. Das sage ich als Palästinenser. Wir brauchen eine globale Öffentlichkeit, die Partei ergreift für die Palästinenser UND für die Israelis und vor allem für Frieden und Gerechtigkeit. Nur durch diese Hilfe können wir wirklichen Frieden in diesem Land erreichen.»
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Sami Awad ist jedes Jahr in der Schweiz zu Gast bei der Uni-Peace-Konferenz auf der Schweibenalp. Im Jahre 2010 erschien der preisgekrönte Film »Little Town of Bethlehem» von Jim Hanon mit und über Sami Awad.
«Ich will keinen Frieden, ich bin stark», ruft ein Junge mit Baseballmütze und zeigt seinen Bizeps. «Der Islam wird siegen.» Aber wohin mit dieser Stärke! Das Leben ist ein Dampfdrucktopf, und die einzige Richtung, in die sich die Kraft entladen kann, ist Gewalt. «Ist es nicht so, Bruder?»
«Nein. Es ist nicht so. Wenn du Steine wirfst oder dich in die Luft sprengst, bist du da, wo der Feind dich haben will. Du gibst ihm den Vorwand, seine Besatzung zu rechtfertigen.» Der so spricht, ist keiner von denen, die klug reden und dann wieder verschwinden. Er ist einer von ihnen, Palästinenser, Flüchtling und Sohn von Flüchtlingen: Sami Awad, 41 Jahre alt, verheiratet, drei Töchter, Angehöriger der christlichen Minderheit aus Bethlehem/ Palästina. Seine Familie musste Jerusalem im Krieg 1948 verlassen, bis heute dürfen sie nicht zurückkehren. Sein Vater ist Prediger; zum großen Vorbild aber wurde sein Onkel Mubarak Awad: Ein Volksführer, glühender Verehrer von Mahatma Gandhi. Während der ersten Intifada – 1987 war Sami gerade 15 Jahre alt – lernte er die bedrückende Situation Palästinas kennen, sog die Lehren Gandhis ein wie ein trockener Schwamm und verteilte Flugblätter: Ziviler Ungehorsam, Verweigerung der Kooperation, gewaltfreier Widerstand. «Was ist ein grösserer Sieg: Einen feindlichen Soldaten zu erschiessen oder ihn dazu zu bringen, sein Gewehr wegzuwerfen?»
Sami steckte immer mit einem Bein im Gefängnis. Die israelische Besatzung erkannte den geistigen Sprengstoff in den Aufrufen zum gewaltfreien Widerstand. Altersgenossen verschwanden für Jahre hinter Gittern. Um ihm dieses Los zu ersparen, schickten ihn seine Eltern zum Studium nach Washington in die USA. Nach seiner Rückkehr gründete er den Holy Land Trust, eine Schule für gewaltfreie Aktion. Ausgerechnet hier, wo Friede mit Schwäche gleichgesetzt wird, weil an Gerechtigkeit keiner mehr glauben mag, beackert er sein Arbeitsfeld.
«Die israelische Besatzung zu beenden, ist ein Leichtes im Vergleich zu dem, was dann auf uns zukommt: Ein freies, demokratisches, gewaltfreies Palästina aufzubauen. An dieser Vision zu arbeiten, bedeutet für uns, die palästinensische Dorfgesellschaft zu stärken und sie mit modernem Wissen über Ökologie, Konfliktlösung und Gemeinschaftsbildung zu verbinden.»
Nur auf den ersten Blick wirkt Sami unscheinbar. Dann aber ziehen diese ruhigen Augen ihr Gegenüber in den Bann. Sie haben viel gesehen, diese Augen, vieles, was andere Menschen in die Verzweiflung getrieben hätte. Aber ihm scheint das Erlebte die Unumstösslichkeit gegeben zu haben, mit der er jetzt spricht.
«Die schwierigen Lebensbedingungen unter der Besatzung, die fehlende Bewegungsfreiheit, die Enge und die Armut und vor allem die Geschichten, die wir uns darüber erzählen, festigen das Bild, wir Palästinenser seien ohnmächtig. Aber wir sind es nicht. Meine Arbeit besteht darin, den Menschen ihre Macht bewusst zu machen. Gewaltfreiheit ist das wirksamste Mittel, um eine Besatzung zu beenden. Gandhi ist dafür nur ein Beispiel von vielen. Gewaltfreiheit ist die Kunst, so zu agieren, wie es die, die in dir den Feind sehen, nicht erwarten.»
Sami Awad ist Lehrer für Gewaltfreiheit. Zu seinen Workshops kommen Parteien, Polizeigruppen, ganze Dörfer. Sie lernen konkret und direkt, wie sie sich gewaltfrei z.B. gegen Übergriffe von israelischen Siedlern wehren können.
«Es hat einen grossen Effekt, wenn eine ganze Dorfbevölkerung lernt, dass ein Gruppe Frauen, die sich unbewaffnet Siedlern entgegenstellt und nicht weicht, mehr erreicht als Jahre der gegenseitigen gewalttätigen Angriffe.» Sogar eine lokale Führungseinheit der Hamas besuchte schon einen Workshop. Aber Sami Awad ist auch noch mehr:
Er ist Visionär eines freien und demokratischen Palästina, einer freien und friedlichen Erde, und das ist eine Besonderheit in einer täglichen Umgebung der Gewalt. Er setzt sich für den Aufbau eines Friedensforschungsdorfes in Palästina ein, dazu arbeitet er zusammen mit einer Initiative zum Aufbau von Friedensforschungsdörfern.
«Palästina,» so sagte er, »ist im Grunde eine Dorfgesellschaft, auch wenn uns diese Lebensweise derzeit so schwer gemacht wird. Wir brauchen lokale Beispiele für gelebte Gewaltfreiheit, mit ökologischer Technologie und Energieautonomie.»
Die Revolution, von der Sami Awad sich als ein Teil sieht, ist eine Revolution der Liebe: «Die wahre Macht besteht darin, sich selbst zu lieben. Habe so viel Vertrauen zu dir selbst, sei so zufrieden damit, wer du bist, welche Fähigkeiten du hast, welche Hautfarbe du hast, wie alt du bist. Dann kannst du dich mit allen Menschen verbinden. Und dann hast du die Macht, deinen Gegner wirklich zu entwaffnen.»
«Was hier gegenwärtig passiert, ist jenseits von Gewalt, es ist brennender Hass, auf beiden Seiten,» sagt Sami Awad über den gegenwärtigen Krieg im Gaza-Streifen. «Den müssen wir angehen, deshalb glaube ich nicht an eine Lösung, die allein durch die Vereinbarungen zweier Regierungen entsteht. Die schwierigste Herausforderung im Nahen Osten ist die Angst und das Trauma der jüdischen Gemeinde. Die wirken sich auf alle Gesellschaftsgruppen aus, nicht nur auf die jüdischen. Sie hat geschichtliche Ursachen, keine aktuellen.»
Ein Programm des Holy Land Trust heißt deshalb «Den Hass heilen». Es bringt jüdische, christliche und islamische Geistliche zusammen, die gemeinsam konkrete Schritte ausarbeiten, um in ihren Gemeinden den Hass aufzulösen.
Während des Höhepunktes der Bombardierungen im Juli trafen sich in der Westbank 50 Palästinenser und Israelis mit einigen Internationalen zu einem Visionscamp. Wie eine Insel inmitten von Aufruhr und Gewalt arbeiteten sie an den Grundlagen für eine friedliche Zukunft.
Sami Awad: «Immer kam es bei den Treffen zu unglaublichen Erfahrungen von Mitgefühl und Vergebung. Das Potential dieser Kräfte in unserer Region ist ungeheuer - und das wollen wir freisetzen, sowohl innerhalb der Gemeinden als auch zwischen ihnen.»
Vor einer Sache warnt Awad: «Was die Friedensentwicklung nicht brauchen kann, sind Außenstehende, die Partei für eine Seite und gegen die andere ergreifen. Das sage ich als Palästinenser. Wir brauchen eine globale Öffentlichkeit, die Partei ergreift für die Palästinenser UND für die Israelis und vor allem für Frieden und Gerechtigkeit. Nur durch diese Hilfe können wir wirklichen Frieden in diesem Land erreichen.»
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Sami Awad ist jedes Jahr in der Schweiz zu Gast bei der Uni-Peace-Konferenz auf der Schweibenalp. Im Jahre 2010 erschien der preisgekrönte Film »Little Town of Bethlehem» von Jim Hanon mit und über Sami Awad.
14. September 2014
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