Die richtige Sekunde

Ein Tag wie jeder andere. Ein Blick auf den Terminkalender zeigt, dass heute keine Termine einzuhalten sind. Was gibt es also zu tun? Der Garten? Die längst fälligen Adresslisten? Rechnungen bezahlen?
Die Adresslisten warten schon seit Monaten, sie sollten dringend nachgeführt werden. Nicht gerade meine liebste Arbeit. Auch im Garten sind dringende Arbeiten zu erledigen, die ich nicht noch weiter hinausschieben sollte. Die Rechnungen bezahle ich immer erst wenn die Abrechnungen der Bank in meinem Briefkasten angekommen sind, damit ich sehe, wie viel es zu verteilen gibt. Sie hätten also noch ein paar Tage Zeit. Kein wirklicher Grund spricht dafür, heute meine Rechnungen zu bezahlen.

Mittags um etwa 15.00 Uhr liegen die Einzahlungsscheine bereit und ich überlege mir ob ich heute noch damit zur Bank fahre oder ob ich sie bis morgen bereitlegen soll, denn morgen habe ich einen Termin im Dorf, da könnte ich die Bank und diesen Termin miteinander verbinden.

Spontan entscheide ich mich gegen alle vernünftigen Argumente und entschliesse mich ins Dorf zu fahren. Ich packe die Einzahlungsscheine, laufe zum Fahrrad: „Ah, den Schlüssel für das Fahrrad vergessen!“ ich eile zurück, auch wenn es keinen realen Grund zur Eile gibt, denn die Bank schliesst erst um 17.00 Uhr. Wieder beim Fahrrad angekommen, denke ich: „Ach, ich könnte noch einen Korb holen, dann gehe ich noch beim Coop vorbei und schaue ob es noch Blumen oder Gemüse  hat, welches ich noch im Garten einpflanzen könnte, so macht es wenigsten Sinn, wenn ich heute schon extra ins Dorf fahre.“ Nochmals eile ich zurück ins Haus, suche den Korb und unter der Türe bleibe ich mit dem Rucksack an unserem Schnürchen- Vorhang hängen. „Das ist doch wie verhext heute!“
Meiner Tochter rufe ich zu: „Es ist, als ob mich jemand zurückhalten möchte!“. Den Vorhang lasse ich liegen mit dem Gedanken: „Den hänge ich auf wenn ich zurück bin.“

Endlich auf dem Fahrrad angekommen, fahre ich wie immer auf unserer Nebenstrasse, die dann in die Hauptstrasse einmündet.
Bei grossem Verkehr fahre ich normalerweise auf dem Trottoir weiter und warte bis die Strasse ganz frei ist, damit ich ohne Angst auf die Strasse hinausfahren kann. In diesem Augenblick denke ich: „Es kommt einer von hinten, aber dem fahre ich jetzt vor die Nase!“ Noch staune ich über meine Kühnheit, das Auto überholt mich sofort und in dieser Sekunde fährt ein kleiner Junge hinter einer Hausecke hervor, und landet vor mir direkt auf der Strasse.
„Jetzt hast Du aber Glück gehabt!“ rufe ich dem Jungen zu. „Ich konnte nicht mehr bremsen“ antwortet er.

Hier und jetzt und in dieser Sekunde musste mich das Auto überholen und fuhr mitten auf der Strasse. Es liess genau so viel Platz wie der Junge benötigte um unverletzt zu bleiben.
Unendliche Dankbarkeit erschüttert mich.
War da ein Schutzengel im Spiel?


11. Mai 2009
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