Eine Landkarte ohne Markierungen, aber in Besitz von jemandem.
Die Welt besteht aus Rohstoffen
Die Macht liegt nicht in gehaltenen Reden, sondern in der Erde. Nicht in Bannern, sondern in Lagerstätten. Jedes Wirtschaftsmodell, jede Militärmacht, jeder Traum von Entwicklung hängt heute von Mineralien, von Getreide, Metallen und Energie ab. Ohne Lithium gibt es keine Batterien, ohne Weizen kein Brot, ohne Uran keine Atomkraftwerke. Hinter jeder beleuchteten Stadt und jedem eingeschalteten Handy steckt ein Abbauprozess, der viele arm macht, um wenige reich zu machen. Das 21. Jahrhundert wird nicht digital sein, wenn es nicht stofflich ist. Und alles beginnt in einer Mine, einem Fluss oder auf einem Feld.
Zwanzig Rohstoffe, ein weltweiter Streit
Unser Planet funktioniert auf der Basis von hundert wichtigen Rohstoffen, aber zwanzig davon sind essenziell. Das sind: Lithium, Kupfer, Eisen, Gold, Silber, Aluminium, Erdöl, Erdgas, Kohle, Seltene Erden, Coltan, Nickel, Mangan, Uran, Süsswasser, Phosphat, Graphit, sowie wichtige Getreidesorten wie Weizen, Mais und Soja. Dazu kommen dann auch noch Silizium und grüner Wasserstoff. Alle sind von entscheidender Bedeutung für Energie, Verkehr, Verteidigung, Ernährung, für Düngemittel oder für die Infrastruktur. Und alle sind auf einige wenige Gebiete der Erde konzentriert. Die geopolitischen Konflikte von heute lassen sich nicht mehr nur anhand von Ideologien erklären. Sie sind durch diese Liste zu erklären.
Und diese Liste ist nicht neutral, sondern sie ist eine Karte der Macht. Wer diese Ressourcen kontrolliert, kontrolliert das 21. Jahrhundert. Es geht nicht um Diplomatie, sondern um Herrschaft. Es geht nicht um Zusammenarbeit, sondern um Aneignung. Kriege werden nicht mehr unter wehenden Fahnen geführt, sondern mittels Verträgen, Sanktionen und Abkommen, welche Ausplünderungen als Investitionen tarnen. Afrika ist nicht arm: es ist reich an Lithium, Coltan und Gold. Lateinamerika ist nicht instabil: es wird wegen seines Kupfers, seines Wassers und seiner Lebensmittel begehrt. Und der Nahe Osten war nie nur das Öl: jetzt steht er auch für Gas und für strategisch wichtige Routen. Die Welt dreht sich nicht um Werte, sie dreht sich um Rohstoffe.
Zehn Länder, mehr als 90 Prozent
- China, Russland, die USA, Brasilien, Australien, Kanada, Indien, Südafrika, Venezuela und Saudi-Arabien produzieren oder kontrollieren mehr als 90 Prozent dieser wichtigen Rohstoffe.
- China – Seltene Erden (90 %), verarbeitetes Lithium (70 %), Elektrobatterien (80 %), Graphit (75 %), verarbeitetes Kupfer (60 %), Magnete aus Seltenen Erden (80 %)
- Russland – Erdgas (17 %), Erdöl (12 %), Weizen (20 %), Uran (8 %), Nickel (9 %), Aluminium (6 %), Düngemittel (15 %)
- Vereinigte Staaten – Kontrolle über Warentermingeschäfte im Agrar- und Energiesektor (90 % des weltweiten Marktes), marginale eigene Produktion, aber Kontrolle über die Preise für Öl, Gas, Gold, Mais, Weizen und Kupfer
- Brasilien – Niobium (63 %), Eisen (8 %), Bauxit (13 %), Export von Soja in Lateinamerika (50 %)
- Australien – Lithium (46 %), Eisen (38 %), metallurgische Kohle (30 %), Gold (20 %)
- Kanada – Uran (7 %), Gold (4 %), Lithium (3 %), Kaliumkarbonat (10 %), globale Bergbauinvestitionen (20 %, gehandelt an der Börse von Toronto)
- Indien – Eisen (8 %), Bauxit (5 %), Kraftwerkskohle (9 %), Weizen (weltweit drittgrösster Produzent)
- Südafrika – Mangan (39 %), Platin (70 %), Chrom (45 %), Gold (10 %)
- Saudi-Arabien – Erdöl (17 % nachgewiesene weltweite Reserven-zweitgrösste nach Venezuela), Flüssiggas (10 %)
- Venezuela – Erdöl (18,2 % der nachgewiesenen Reserven), Eisen (3 %), Gold (5 %), Bauxit (15 % der regionalen Vorkommen)
Wer im Besitz dieser Ressourcen ist, kontrolliert die Bedingungen des Welthandels.
Afrika, der Kontinent, der alles gibt und nichts bekommt
Afrika hat über 30 % der strategischen Mineralien der Welt, exportiert aber immer noch ohne eigene Wertschöpfung und nur unter ausländischer Kontrolle.
- Niger besitzt 5 % des weltweiten Uranvorkommens, das hauptsächlich von der französischen Firma Orano abgebaut wird. Im Jahr 2023 gingen über 80 % der Exporte nach Europa, während die Bevölkerung unter Stromausfällen litt.
- Die Demokratische Republik Kongo (DRK) ist weltweit führend in der Förderung von Kobalt und Coltan, das von Glencore (Schweiz) und China Molybdenum abgebaut wird. 72 % des 2022 exportierten Kobalts wurden in China verarbeitet.
- Botswana fördert mehr als 20 % der weltweiten Diamanten, kontrolliert von De Beers (Grossbritannien).
- Angola exportiert Rohöl im Wert von über 25 Milliarden Dollar pro Jahr, fast alles davon durch TotalEnergies (Frankreich), Chevron (USA) und Sinopec (China).
- Südafrika und Gabun verfügen über 40 % der weltweiten Manganvorkommen, verarbeiten selbst aber weniger als 5 % davon.
Afrika exportierte 2023 Rohstoffe im Wert von über 150 Milliarden Dollar, jedoch wurden 75 % dieses Reichtums ausserhalb des Kontinents vereinnahmt. Die Karte der Rohstoffvorkommen deckt sich nicht nicht mit der Karte von Entwicklung.
Lateinamerika, die Bank ohne Tresor
Lateinamerika hat massenhaft Lithium, Kupfer, Eisen, Bauxit, Öl, Gold und Getreide. Aber es kontrolliert weder die Preise noch die Produktionskette.
- Chile ist der grösste Kupferexporteur der Welt (5,6 Millionen Tonnen) und der zweitgrösste Lithiumexporteur (40.000 Tonnen LCE), aber ist selbst nicht an der weltweiten Batterieproduktion beteiligt.
- Argentinien hat die zweitgrössten Lithiumvorkommen und hat 2023 dieses Material im Wert von mehr als 900 Millionen US-Dollar exportiert. Jedoch wurden 95 % davon von Livent (USA), Allkem (Australien) und Ganfeng (China) abgebaut.
- Brasilien ist führend bei Eisen (400 Mio. Tonnen/Jahr), Niobium (90 % des Marktes), Bauxit und Soja (152 Mio. Tonnen), aber die Konzerne Vale und Bunge haben das Geschäft fest im Griff.
- Venezuela hat Eisen (Cerro Bolívar), Öl, Bauxit und Gold, aber Sanktionen und Korruption blockieren die Produktionshoheit.
- Peru ist zweitgrösster Silberproduzent, drittgrösster Kupfer- und Goldproduzent, aber die grössten Bergbauunternehmen, die dort tätig sind, sind ausländische Konzerne: Freeport, Newmont und Glencore.
Lateinamerika produziert für die Welt, aber die Welt entscheidet, wie viel sie dafür zu zahlen bereit ist.
Kanada und Australien, die Hinterzimmer des Rohstoffabbaus
Kanada hat weniger als 3 % der weltweiten Lithiumvorkommen, kontrolliert aber Lagerstätten in den USA, Argentinien, Namibia und Chile. Es ist der grösste Geldgeber für fremd betriebenen Bergbau weltweit. Firmen wie Allkem, Lithium Americas und Nemaska haben von Toronto aus das Sagen.
Es produziert selbst 500 Tonnen Lithium pro Jahr, kontrolliert aber mehr als 10.000 Tonnen von ausländischen Firmen.
Im Jahr 2023 exportierte es Mineralien im Wert von 21 Milliarden US-Dollar. Nur 35 % davon wurden im Land selbst gefördert.
Australien ist der grösste Lithiumproduzent der Welt (mit 86.000 Tonnen LCE – lithium carbonate equivalent – im Jahr 2023) und der zweitgrösste Exporteur von Eisen (mit 900 Mio. Tonnen). Es hat Grossunternehmen wie Pilbara Minerals und Mineral Resources. Aber 75 % des Lithiums werden ohne Wertschöpfung nach China verkauft.
Beide Länder betreiben Bergbau unter fremder Flagge und sind die Rohstoffbanken des westlichen Systems.
China, die Macht, die verarbeitet, was sie nicht hat
China holt Rohstoffe aus anderen Ländern und exportiert technologische Überlegenheit.
- Es verarbeitet 70 % des weltweiten Lithiums, 60 % des Kupfers und fast das ganze Graphit.
- Es hat 90 % der Seltenen Erden unter Kontrolle und produziert daraus 80 % der Magnete, die für Elektroautos und Windturbinen gebraucht werden.
- Es ist an über 120 Bergbauprojekten in Afrika, Asien und Südamerika beteiligt.
- Es hat 2023 10,2 Milliarden Dollar in den Kauf von Bergbauunternehmen im Ausland investiert.
Seine Macht liegt nicht darin, Minen zu besitzen, sondern Schmelzhütten. Während andere abbauen, verarbeitet und verkauft China.
Die USA, die Macht, die die Preise festlegt
Die COMEX und die NYMEX bestimmen die Weltmarktpreise für Gold, Kupfer, Silber, Gas und Öl.
Die CBOT dominiert den Handel mit Weizen, Mais und Soja.
Die grössten Agrarhandelsunternehmen (Cargill, ADM, Bunge) und Metallhandelsunternehmen (Goldman Sachs, Glencore, Trafigura) operieren von der Wall Street oder von Chicago aus.
Die USA kontrollieren den Warenterminhandel, setzen den Dollar als Transaktionswährung durch und haben das letzte Wort in allen finanziellen Streitigkeiten.
Sie graben keine Löcher, sondern sie legen Preise fest und schüren Konflikte. Afghanistan hat Lithium, der Irak hatte Öl, die Ukraine hat Weizen und Uran. Nichts geschieht hier zufällig.
Russland, die Energie, die Lebensmittel und das eigene Überleben
- 17 % der weltweiten Gasvorkommen, 12 % der Ölvorkommen, 20 % des Weizenvorkommens, 8 % der Uranvorkommen, 9 % der Nickelvorkommen.
- Es produziert 70 Millionen Tonnen von strategisch wichtigen Getreidearten.
- Beim Nickel ist Nornickel eines der grössten Unternehmen der Welt.
- Rosatom kontrolliert den Export von Nukleartechnologie.
Die Blockade durch den Westen hat die Landkarte hier neu gezeichnet: Es gibt mehr Handel mit China und Indien, mit dem Iran, der Türkei und Brasilien.
Russland nutzt Energie als geopolitisches Druckmittel und hält nicht mit Parolen dagegen, sondern mit Tonnen.
Wie lange reichen diese Rohstoffe noch?
- Lithium: weltweite Reserven für 30 Jahre (USGS, 2024)
- hochwertiges Kupfer: 40 Jahre
- Coltan: 20 Jahre
- leicht abbaubares Uran: 50 Jahre
- Eisen: 60 Jahre
- Nickel: 70 Jahre
- Mangan: 30 Jahre
- Seltene Erden: 25 Jahre
- reines Gold: 20 Jahre
- Süsswasser: 70 % sind bereits verbraucht
Der Planet geht nicht unter, aber die leicht zugänglichen Ressourcen gehen dem Ende entgegen. Und es gibt keine internationale Vereinbarung darüber, wie sie geteilt und geschützt werden sollen. Die Energiewende treibt die Nachfrage an, ändert aber nichts am bisherigen Modell: Es bleibt ausbeuterisch, ungleich verteilt und selbstmörderisch.
Die Völker warten weiter
- In Jujuy wehren sich indigene Gemeinschaften gegen den Ausbau der Lithiumförderung, wozu sie nicht befragt wurden.
- In Calama fordern Kupferarbeiter Reinvestitionen in ihr Gebiet.
- In Niger lernen Kinder im Dunkeln, während mit ihrem Uran Paris beleuchtet wird.
- In Bolivien verspricht Lithium Hoffnung zu geben, es wird jedoch noch nicht industriell genutzt.
- In der Demokratischen Republik Kongo wachsen sowohl die Kobaltminen, wie auch die Ausbeutung von Kindern.
Rohstoffe sind nicht nur Materialien, sie sind Verträge, sie sind Grenzen, sie sind offene Wunden. Und wenn sich die Regeln nicht ändern, werden sie auch weiterhin genau das bleiben: gute Aussichten für wenige, Ruin für viele.
Schlussbemerkungen
Das alte System muss überwunden werden. Rohstoffe können nicht mehr zu den Preisen verkauft werden, die der Markt gerade will, oder aufgrund von geheimen Verträgen, die vor 40 Jahren abgeschlossen wurden. Wir brauchen industrielle Unabhängigkeit, starke nationale Unternehmen, solidarische regionale Allianzen und Umweltgerechtigkeit.
Wir müssen ein System aufbauen, in dem Lithium nicht nur abgebaut, sondern auch verarbeitet wird. In dem Kupfer nicht nur exportiert, sondern auch eingebunden wird. Wo Wasser nicht privatisiert wird, wo Uran nicht für Waffen genutzt wird, sondern für die Wissenschaft.
Wo Gold nicht schmutzige Vermögen aufbaut, sondern öffentliche Reserven stützt. Wo Silber nicht dem Schmuck von Eliten dient, sondern medizinischen Technologien. Wo Aluminium nicht an ausländische Verhüttungswerke verschenkt wird, sondern unsere eigenen Züge auf die Schienen bringt.
Wo Kohle nicht die Lungen verschmutzt, sondern in Würde zum Auslaufmodell werden kann. Wo Seltene Erden nicht Imperien nähren, sondern aufstrebende souveräne Staaten.Wo Coltan keine Kriege finanziert, sondern Schulen miteinander verbindet.
Wo Nickel nicht private Taschen füllt, sondern nationale Batterien speist. Wo Mangan kein Abfall ist, sondern einen Mehrwert hat. Wo Phosphat nicht den Boden auslaugt, sondern bedarfsgerechte Pflanzen düngt.
Wo Graphit nicht unversteuert ab-, sondern in die Industrie zurückfliesst. Wo Weizen kein Geschäft ist, sondern Brot. Wo Mais nicht gentechnisch verändert wird, sondern heilig ist. Wo Soja nicht an Stelle der Wälder tritt, sondern die Völker respektiert.
Wo Silizium nicht roh exportiert wird, sondern als selbst hergestellte Chips. Wo grüner Wasserstoff nicht an den Meistbietenden versteigert, sondern für die weitere Entwicklung aufbewahrt wird.
Wir müssen aufhören, um Erlaubnis zu bitten, das nutzen zu dürfen, was uns gehört. Wir müssen die Landkarte zerreissen und neu zeichnen, und diesmal gerecht. Denn es geht nicht nur um Mineralien, es geht um Menschen.
Und diesmal müssen sie bei den vertraglichen Vereinbarungen berücksichtigt werden.
Die Übersetzung aus dem Englischen wurde von Domenica Ott vom ehrenamtlichen Pressenza-Übersetzungsteam erstellt. Wir suchen Freiwillige!
Mauricio Herrera Kahn, Maschinenbauingenieur, schloss 1975 sein Studium an der Technischen Universität von Ecuador (UTE) ab und verfügt über mehr als 45 Jahre Erfahrung im Bereich Bergbauingenieurwesen und Projektentwicklung. Seit mehreren Jahren schreibt er Artikel und Kolumnen zu nationalen und internationalen sozialen, politischen und wirtschaftlichen Analysen.