Ex-EZB-Banker Otmar Issing: «Die Notenbank hat die Lage nicht mehr unter Kontrolle»
Otmar Issing gehörte zu den Architekten des Euro. Im Interview erklärt er, warum ihm die Inflation und der geldpolitische Kurs der EZB große Sorgen bereiten.

Der Banker redet im Focus-Interview Klartext: «Dieser Anstieg der Energiepreise ist ein äußerlicher Schock, den die EZB in dieser Dimension nicht vorhersehen konnte. Dagegen können sie unmittelbar auch nichts unternehmen. Man kann steigende Gaspreise nicht mit höheren Zinsen bekämpfen. Aber wenn man daran denkt, dass noch im März dieses Jahres der Chefvolkswirt der EZB, sprich einer meiner Nachfolger, erklärt hat, die Inflationsrate werde binnen zwei Jahren wieder bei zwei Prozent oder darunter liegen, und zwar ohne dass wir geldpolitisch irgendetwas unternehmen, dann ist das eine Aussage, die sich aus heutiger Sicht absurd anhört. Aus damaliger Sicht allerdings auch. Das eigentliche Versagen der EZB liegt aber noch viel weiter zurück. Spätestens ab dem Sommer letzten Jahres hätte die EZB aus dem Krisenmodus aussteigen müssen.»

Auf die Frage, ob die EZB die Inflation noch im Griff habe, antwortet Issing:

«Offenbar hat sie die Lage nicht unter Kontrolle. Denn im September sind die Produzentenpreise in Deutschland erneut gegenüber dem Vorjahr um 45,8 Prozent gestiegen. Ähnlich hoch liegt die Rate für den ganzen Euro-Raum. Das heißt, hier ist noch einiges an Preisdruck in der Pipeline. Und die gemessene Inflationsrate ist ohnehin verzerrt, da sie viele Maßnahmen des Staates außer acht lässt. Denken Sie an das 9-Euro-Ticket oder an den Tankrabatt. Das sind Effekte, die den Ernst der Lage noch verschleiern.»

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