Gentechnik im Saatgut: Industrie beschimpft Umweltverbände

Bizarr: Weil gentechnisch verunreinigter Mais der Firma Pioneer auf 2000 ha ausgesät wurde und nun nach Recht und Gesetz untergepflügt werden muss, beschimpfen Gentechnikfirmen wie Monsanto, Pioneer (Dupont), KWS, RAGT, unterstützt von einer Reihe mittelständischer Saatgut-Unternehmen in einer gemeinsamen Presseerklärung [1] nun ausgerechnet «Umweltverbände» als Verbrauchertäuscher. Denn «wer dem Verbraucher 100%ige Reinheiten verspricht, täuscht ihn vorsätzlich». Der Verunreinigungs-Skandal zeige nicht etwa Mängel in ihrer eigenen Qualitätsprüfung oder Schwachstellen bei der behördlichen Aufsicht, sondern beweise «dass Schwellenwerte für Saatgut dringend erforderlich sind».

Die Saatgut-Konzerne schlagen damit einen Ton an, der in seiner Aggressivität neu ist. Ihre Forderung dagegen ist alt. «Ein Bisschen Gentechnik», müsse auch in herkömmlichem Saatgut, selbst in Biosaatgut, geduldet werden. Die betroffenen Landwirte müssten darüber künftig nicht einmal mehr durch Kennzeichnung informiert werden. Der Bund Deutscher Pflanzenzüchter (BDP) fordert [2] die  «Festlegung von EU-weit gültigen Saatgutschwellenwerten zur Kennzeichnung von unbeabsichtigten und unvermeidbaren GVO-Beimischungen genehmigter Events orientiert am Kennzeichnungsschwellenwert für Lebens- und Futtermittel (0,9 %) für alle Kulturen!» Hatten die Züchter gemeinsam mit der Vereinigung der Europäischen Gentechnikfirmen «EuropaBio» ursprünglich sogar Grenzwerte oberhalb dieses Kennzeichnungsgrenzwertes gefordert, sprechen sie derzeit etwas vorsichtiger von «praktikablen» Werten.

Als die EU-Kommission im Jahre 2003 einen Grenzwert von 0,3 Prozent vorschlug, erklärten sie kategorisch, dieser Wert sei inakzeptabel niedrig. Dabei stünden schon bei 0,3 auf einem «gentechnikfreien Maisfeld» über 300 Gentechnikpflanzen pro Hektar. Nachdem sich der bisher zuständige Kommissar für Umwelt, Stavros Dimas, fünf Jahre lang kategorisch geweigert hatte, derartige Grenzwerte einzuführen, hoffen sie nun, in dem neuen Gentechnik-Kommissar der EU, John Dalli, einen besseren Verbündeten zu finden. Der hat gegenwärtig zwar noch andere Sorgen, will sich aber im Herbst auch dieses Problems annehmen.

Bis dahin wettert die Saatgutindustrie gegen eine vermeintliche «Nulltoleranz-Politik deutscher Behörden», die in anderen Ländern der EU bereits aufgegeben worden sei. Gemeint sind damit möglicherweise eigenmächtige Saatgut-Grenzwerte in Rumänien, die allerdings erst kürzlich von einem dortigen Gericht als Verstoss gegen europäisches Recht aufgehoben wurden.

Im aktuellen Verunreinigungs-Fall würden freilich auch solche Grenzwerte Pioneer, die rund ein Drittel des europäischen Saatgutmarktes beherrscht, nicht aus der Patsche helfen. Denn bisher waren sich alle Beteiligten zumindest darüber einig, dass mögliche Grenzwerte ausschliesslich für GVOs gelten könnten, die innerhalb der EU auch zum Anbau zugelassen sind. Das ist für das jetzt gefundene Konstrukt freilich nicht der Fall. Es hat lediglich eine Zulassung als Futtermittel. In den Augen der Industrie soll dies zukünftig offensichtlich ausreichen, um auch die Verunreinigung von Saatgut mit solchen Sorten zu einer Art Kavaliersdelikt zu machen, über das bis zu ein paar hundert Pflanzen pro Hektar hinwegzusehen sei.

In der konkreten Auseinandersetzung um die vom niedersächsischen Landwirtschaftsministerium aus unerfindlichen Gründen 10 Wochen lang nicht veröffentlichten Testergebnisse herrscht derweil weiterhin Verwirrung. Pioneer bestreitet, dass es überhaupt Verunreinigungen gegeben hat, weil die firmeneigenen Tests solche nicht gefunden hätten. Die Landwirtschaftsminister der betroffenen Bundesländer fordern mehrheitlich, die Felder unterzupflügen. Wer den Bauern den Schaden bezahlt, droht dann Gerichte zu beschäftigen und vor allem Rechtsanwälte zu bereichern.  Die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft hat derweil am Freitag Strafanzeige gegen Unbekannt gestellt [3], um Licht in den Fall zu bringen.

Mehr zu dem Problem von Gentechnik im Saatgut finden Sie bei Saveourseeds.org [4], aktuelle Nachrichten zum Saatgut-Skandal beim Informationsdienst Gentechnik.


[1] http://www.lifepr.de/pressemeldungen/kws-saat-ag/boxid-170160.html
[2] http://tinyurl.com/335uclq
[3] http://www.proplanta.de/Agrar/_article1276311026.html
[4] http://www.saveourseeds.org/
[5] http://www.keine-gentechnik.de/

Benny Haerlin ist Initiator von Save our Seeds, einer europäischenInitiative gegen Gentechnik im Saatgut.