Geschichten vom Fliehen und Bleiben

Berichte von Menschen, die aus ihrer Heimat flohen –
oder sich trotz aller schrecklichen Umstände entschlossen haben, zu bleiben.
Der syrische Ingenieur Fayez Karimeh baut in Schweden ein nachhaltiges Projekt auf –zum Nutzen aller.

Fayez Karimeh, verheiratet, drei Kinder, stammt aus Homs in Syrien. Schon vor dem Bürgerkrieg war der Ingenieur weit gereist, hatte Gemeinden in der Ukraine und Japan in Abwasser- und Kompostmanagement beraten. In seiner Heimatregion leitete er ein Forschungsprojekt für Aufforstung und dezentrale Energieerzeugung. Im Internet stiess er auf die Bauanleitung einer Biogasanlage aus dem Ökodörfer-Netzwerk GEN, liess sich von dem Technikteam beraten und baute sie bis zur Funktionsreife. «Unabhängigkeit in der Energieproduktion», so erkannte er, «ist ein ebenso zentrales Thema wie das Wasser, gerade in von Wüste bedrohten Gebieten.»


«Wir litten unter der Diktatur», berichtet er. Als seine Heimatstadt bombardiert wurde, viele Menschen in Trümmern starben und sein Bruder zu Tode gefoltert wurde, wurde es für ihn unerträglich. Und dann wurde auch noch sein Forschungsprojekt zerbombt.
Das Ökodorf Tamera in Portugal gab ihm vorübergehend eine Anstellung, damit er legal ausreisen konnte. In Europa wollte er Asyl beantragen und seine Familie nachholen. Nach einer Ämter-Odysee und vielen Monaten Wartezeit in der Türkei traf er in Portugal ein.
«Als Flüchtling, der vor Gewalt und Angst geflohen war, traf ich auf eine Gemeinschaft, die versuchte, in allem gewaltfrei zu leben», erzählt Fayez Karimeh. Für einige Wochen arbeitete er im dortigen Ökologie-Team und erneuerte das Kompostsystem. Er bekam ein bescheidenes Gehalt. Das Ökodörfer-Netzwerk suchte ihm einen Platz in Schweden, seinem gewählten Zielland, in das er später seine Familie holen konnte. Er fand eine Anstellung im Suderbyn-Ökodorf.
Im Flugzeug dorthin, berichtet er, «kam ich mit meinem Sitznachbarn ins Gespräch. Gemeinsam entwickelten wir die Idee, in Schweden ein Ökodorf für Flüchtlinge aufzubauen.» Denn viele erlebten die erzwungene Passivität als «erniedrigend». Ein Ökodorf sei deshalb ideal für Flüchtlinge. Es biete Zuflucht, Arbeits- und Ausbildungsperspektiven sowie eine Vorbereitung auf die Rückkehr in die Heimat.


Sein neuer Bekannter aus dem Flugzeug vermittelte ihm Kontakte zu Medien, der Universität und dem Bürgermeister von Uppsala. Robert Hall, Geschäftsführer von GEN Europe, stand ihm in Strategiefragen zur Seite. Er traf Bauern, die Land für Flüchtlinge zur Verfügung stellen wollten, besuchte Lager und fand Fachkräfte, die nichts zu tun hatten, als zu warten.
Am 1. April 2015 gründete er mit Menschen aus verschiedenen Ländern die NGO «Syrische Initiative für Handwerk und Ökodörfer» (SICE). Die Idee sei, so erläuterte er auf einem Vortrag in der Uni Uppsala, ein Modell-Ökodorf für Flüchtlinge aufzubauen. «Unser Ziel ist es, uns selbst und anderen Syrern die Kraft zurückzugeben, unser eigenes Leben wieder in die Hand zu nehmen, auf eine kostengünstige und ökologisch nachhaltige Weise.» Denn nach dem Krieg «wollen wir unser Heimatland wieder aufbauen.»


Zwei Gemeinden, Heby und Avesta, haben bereits Interesse am Bau des Ökodorfes angemeldet. Gemeinsam mit schwedischen und syrischen Teilnehmenden arbeitet der Ingenieur am Konzept und Finanzierungsplan. Sie streben billige, bequeme und energie-intelligente Häuser aus lokalen oder recycelten Materialien an. Im Sommer lernten SICE-Mitglieder in Järbo Lehmbau und im Ökodorf Suderbyn den Bau von Pflanzenkläranlagen.
«Im Zentrum unserer Vision steht eine Gemeinschaft, die sich zu Basisdemokratie und Respekt vor dem Recht jedes Einzelnen verpflichtet», erläutert der Ingenieur. »Auch Nicht-Syrer sind willkommen.» Vor allem sind Menschen erwünscht, die in Elektrotechnik, Permakultur, Business, Fundraising und Architektur ihre Erfahrung weitergeben können oder von vorhandenen Erfahrungen lernen wollen.


www.ecovillage.nu
Am 9.11.15 um 19 Uhr stellt die Autorin in Zürich im
Verein Wandellust, Zollikerstrasse 76, im Rahmen der Veranstaltung «Lokale Lösungen für globale Probleme» ihre beiden Bücher über Ökodörfer vor.


Mehr zum Thema Flucht im Zeitpunkt 140 "Flucht"

16. November 2015
von: