«Die Krise besteht gerade darin, dass das Alte stirbt und das Neue nicht geboren werden kann; in diesem Interregnum treten die verschiedensten Krankheitssymptome auf." Dieses berühmte Zitat von Antonio Gramsci aus seinen Gefangenenbüchern, in denen er die turbulente Zeit zwischen den beiden Weltkriegen beschreibt, ist sehr gut geeignet, den Zustand des internationalen Systems in den letzten Jahrzehnten zu beschreiben.
Die Behauptung, die Welt befinde sich in einer Phase des revolutionären Wandels, ist bereits zum Allgemeinplatz geworden. Doch die bevorstehende Revolution im Weltgeschehen wurde in der Vergangenheit bereits mehrfach vorhergesagt, angefangen mit dem Zusammenbruch der UdSSR. Die Terroranschläge vom 11. September 2001 in den Vereinigten Staaten, die globale Finanzkrise 2007-2008, die dramatischen Ereignisse des Arabischen Frühlings und schließlich die grassierende COVID-19-Pandemie galten als Vorboten dieser Revolution. Einige hielten den Sieg von Donald Trump bei den US-Präsidentschaftswahlen im November 2016 für den Beginn einer neuen Ära, während andere meinten, das Brexit-Referendum im Vereinigten Königreich sei einige Monate zuvor dieser Bezugspunkt gewesen. Dennoch wurde die lang erwartete Revolution, die vom gesamten Lauf der Geschichte programmiert zu sein schien, immer wieder hinausgezögert, während das globale Ancien Régime immer wieder eine außergewöhnliche Widerstandsfähigkeit und Anpassungsfähigkeit an neue Bedingungen bewies.
Zerbrechen der alten Ordnung
Obwohl einer Revolution auf die eine oder andere Weise immer eine Krise vorausgeht, endet nicht jede Krise zwangsläufig mit einem radikalen revolutionären Zusammenbruch des alten Systems. Das unmittelbare Ergebnis der Krise kann die Durchführung notwendiger Reformen sein, die die Spannungen im System abbauen, die Wiederherstellung des Status quo vor der Krise oder sogar der Beginn einer reaktionären Periode, in der das System beginnt, in Richtung traditionalistischer oder archaischer Praktiken zurückzudriften.
Heute, wie auch in früheren Epochen, gibt es eine ganze Reihe von Möglichkeiten für die weitere Entwicklung des internationalen Systems, von denen die Option eines revolutionären Zusammenbruchs nicht die beste zu sein scheint. Eine Revolution ist mit erhöhten Risiken und erheblichen Kosten verbunden, die oft zu unvorhersehbaren Ergebnissen führen. Viele Staaten und Gesellschaften, die gute Gründe haben, mit der gegenwärtigen Situation in der Welt unzufrieden zu sein, würden einen evolutionären Weg revolutionären Umgestaltungen vorziehen.»
Zum Autor:
Dr. Andrej Kortunow ist Generaldirektor des russischen Rates für internationale Angelegenheiten.