Das grosse Wunder des Seins
Wie die Liebe für die eigenen Kinder das Wunder des Lebens wieder zurückholen kann.
Foto: Natalia Blauth
«Jetzt aber das letzte mal rutschen, dann müssen wir einkaufen gehen.» Foto: Natalia Blauth

Ein Erwachen des menschlichen Bewusstseins geschieht nicht selten durch die Geburt eigener Kinder. Dieses Wunder rein im Verstand zu ergründen, reicht dann oft nicht mehr aus, man gibt sich mit der biologischen Erklärung nicht mehr zufrieden. Da passiert etwas Unfassbares und Unerklärliches: Ein neuer Mensch entsteht mit einem eigenständigen Geist-Seele-Körper-Komplex.

Ein Kontrollverlust für den Verstand, was oft in eine Offenheit für transpersonale Vorgänge der Menschwerdung führt. So kann man Erwachensprozesse im Beziehungsraum auch beschreiben.

Allerdings rückt der Zauber dieses Wunders nach der Geburt im Alltag meistens irgendwann schleichend wieder in den Hintergrund. Funktionieren zu müssen und mit dem Rhythmus der Gesellschaft in Einklang kommen zu wollen und zu sollen, nimmt Überhand. Begrenzter Elternschaftsurlaub. Übergabe an die Kita muss klappen. Stillen wird als komplizierter erfahren als die Milchflasche... Es gibt Bedingungen, die uns je nach Situation dazu nötigen, die Botschaft der Kinder zu übersehen oder gar zu leugnen.

Was aber, wenn dieses Wunder auch nach der Geburt wieder in den Vordergrund rücken darf? Was wenn die Liebe für die eigenen Kinder im Alltag einen endlosen Erfahrungsraum öffnet, der die meisten Momente berührt. Wo es dann einfach nicht mehr Platz gibt für trockene, flache und beziehungskillende Mitteilungen wie: «Mach bitte noch deine Hausaufgaben, bevor du spielen gehst…» - «Wir müssen los, bitte beeile dich!» - «Jetzt aber das letzte mal rutschen, dann müssen wir einkaufen gehen.» - usw.

Was wäre, wenn tiefe Erfahrungsräume im Kontakt mit unseren Kindern die Zeit bleiben dürften? Wenn wir das Wunder in den Augen der Kinder beständig sehen könnten – und nichts in der Welt verhindern könnte, uns der Anerkennung des Lebens – und der Beziehung – hinzugeben?

Da warten die Kinder oft auf uns Erwachsene, in einem Zustand, den wir vergessen und im Inneren verloren haben, um nicht unterzugehen in dem, was von uns im Aussen verlangt wurde. Was wäre, wenn diese Hingabe ans Leben im Kontakt mit den Kindern nicht mehr als Widerspruch zum getakteten Alltag eine Illusion bleiben müsste? Wenn der Alltag hingegen in dieser Hingabe einem Fluss gleichen würde, der alles Notwendige und wirklich Wichtige mit sich trägt? Könnte es sein, dass wenn wir diesen immensen Kontrollverlust überstehen würden, der damit einhergeht, dass dann doch nichts mehr zu fehlen scheint?

Wie wichtig wird darin das Erledigen der Hausaufgaben vor dem Spielen; das sich Beeilen weil sonst was?.. das zu Ende rutschen weil sonst was?

Welche Bedeutung hätten die Konsequenzen des Kontrollverlustes (Hausaufgaben nicht gemacht, Zug verpasst, Einkaufsladen geschlossen) im Verhältnis zum Anerkennen dieses Wunders in den Augen meiner Kinder… und aller anderen Menschen?

Es könnte sein, dass es im Übergang noch eine Entweder-Oder-Entscheidung bleibt: «Entweder ich lasse mein Kind so lange rutschen, bis es genug hat und sich in ihm etwas erfüllt hat, oder ich gehe jetzt noch mit ihm einkaufen bevor der Laden schliesst.»

Entscheidend ist in dieser Auseinandersetzung aber letztendlich kaum, was die bessere Alternative ist. Sondern in welchem inneren Zustand ich mich für das eine oder das andere entscheide. Es gibt eine Möglichkeit in uns Menschen, den unendlichen Innenraum, wie ihn die Kinder erleben, zuzulassen, auch wenn die Zeit voranschreitet. Es gibt die Möglichkeit, dass ein Kind beim Rutschen eine andere Sättigung erfährt, wenn ein Elternteil sich voll und ganz auf diesen ewigen Moment mit dem Kind einlässt, sein Empfinden auch empfinden kann – und wenn das Kind darüber hinaus auch noch spüren kann, dass es gespürt wird in seinem jetzt gerade unermesslich schönen Erleben. Möglicherweise sucht es dann nicht die Erfüllung seines Erlebens in der hohen Anzahl der Rutschmomente, sondern in der unerschütterlichen Präsenz seiner Begleitung, in der erfüllten Verbindung mit der Bezugsperson.

Kinder laden uns ein, zurück in das Wunder des Lebens zu finden, um darin vielleicht die Fülle zu erfahren, der wir sonst ein Leben lang davonrennen im Glauben sie einzuholen.

Estherina De Stefano

Estherina De Stefano

Estherina De Stefano, Körperorientierte Psychologin, NARM™-Practitioner, Energetikerin, Eltern-Coach. Mutter zweier Jugendlichen, lebt in Degersheim SG. Sie widmet sich mit ihrer therapeutischen Arbeit den inneren Transformationsprozessen und begleitet Menschen in ihrer Praxis vor Ort in Degersheim und online via Zoom.

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