Der Sprachbesessene

Er bleibt sich treu, der Dichter der philosophischen bis erotischen Wortkapriolen. Sehr treu – man wünschte sich etwas Neues von Christian Uetz. Seinem neuen Band «Engel der Illusion» legt er immerhin einen klärenden Essay bei.

Christian Uetz in Leukerbad (Foto: Dieter Langhart, 2015)

Christian Uetz ist ein Phänomen. Keiner schreibt so drastisch, keiner «liest» schneller als er. Auswendig. Alles. Auch die komplexesten Sätze. Mit einem Affenzahn, dass seine Wortverdrehungen, Alliterationen und Hölderlin-Anspielungen kaum auseinanderzuhalten sind. Seine mündlichen Eruptionen sind ebenso frappant wie gewollt, für Uetz zählt einzig die Wortkraft und die Suggestivkraft seiner Sätze, weniger deren Inhalt. Von seinem Hörer oder Leser fordert Uetz bedingungslose Hingabe an sein Lob der Sprache. Uetz‘ Auftritte bei Poetry Slams sind legendär, seine Lesungen sind Performances, dass einem Hören und Verstehen vergeht, und sie fallen auf an Orten, wo sonst brav und sittsam gelesen wird, etwa am Literaturfestival Leukerbad, wo Christian Uetz einige Male aufgetreten ist, zuletzt vor drei Jahren.


Zwischen Lust und Schmerz

Was treibt diesen Dichter an?! Das Wort, der Klang, der Eros. Ein und dasselbe sind ihm Lust und Schmerz, Liebe und Qual, Sprache und Rausch – in seinem ersten Roman «Nur Du, und nur ich» steckt «Lichtsex mal Energie im Augenblitzquadrat». Uetz liebt das Absolute, das Obsessive, er säuselt und provoziert, und das Sterben müsste «ekstatisch, orgasmisch, im Tanz» sein, wie er bekannt hat. Uetz tanze an den Rändern der Sprache, hat Roman Bucheli einmal geschrieben; einen «umstrittenen Autor zwischen Gaga und Dada» nannte ihn Bruno Rauch. Folgerichtig trat er im Dezember 2015 im Zürcher Theater Rigiblick mit vier anderen «Dadaistinnen der Gegenwart» auf, bei einer Performance zum Auftakt von 100 Jahre Dada Zürich.

Asketisch sieht dieser Mann aus: ein gertenschlanker Körper, raspelkurz das Haar, stechend der Blick, das Gesicht verzerrt vom Lachen, von der Ekstase, vom Weltschmerz. Und er verblüfft die Hörer oder verzweifelt die Hörer. Denn Christian Uetz‘ Texte sind schon auf Papier keine leichte Kost, aber völlig ausgeliefert ist ihnen, wer nur seinen Ohren trauen kann. Seit seiner allerersten Lesung, 1991 im «Löwen» Sommeri, hat er nie vom Blatt gelesen. Denn sonst würde er lügen, sagt er.

 

Altgriechisch statt Querflöte

Geboren wird Christian Uetz 1963 als Sohn eines Käsers und einer Bauerntochter in Egnach oberhalb des Bodensees, wird Lehrer, versucht sich an der Querflöte, verbeisst sich dann in Philosophie und Altgriechisch, liebt Heidegger ebenso wie Hölderlin, Nietzsches «Zarathustra» wird sein Lieblingsbuch. Seine ersten Bände erscheinen ab 1993 bei Waldgut in Frauenfeld, 1999 gewinnt er den 3sat-Preis in Klagenfurt, 2005 erhält er den Thurgauer Kulturpreis, 2010 den Bodensee-Literaturpreis für sein Gesamtwerk.

Christian Uetz’ Texte bringen «Ekstasen der Sinnlichkeit und die Trunkenheit der Vernunft» hervor. Sagt der Klappentext zu seinem jüngst erschienenen Gedichtband «Engel der Illusion». Einen Satz Horatios aus «Hamlet» stellt Uetz voran: «Stay, illusion!» Als wolle auch er ein Phantom bannen: nicht den Geist von Hamlets Vater, sondern die Illusion der Beständigkeit. Oder die Diskrepanz zwischen Anwesenheit und Abwesenheit und ihre Auflösung im Ich: «Wer bist du? Ich / aus dir. Hier mit mir bei dir / ankommen.» Und: «Wo bist du? Im / Nichtda. Im Recht, nicht / da du da.»

 

Intensität als Lichtorgasmus

Für Christian Uetz gibt es ohne Sprache kein Leben, gibt es ohne sprachgewordenes Leben weder Liebe noch Sinnlichkeit. Dutzendfach sind des Dichters Wortschöpfungen wie in «Der Wahn familliardenfacht die Dichte»; Leonardo da Vinci liefert einen Gedichtanfang: «Lies Mona: Es ist / dies Lächeln, ewig»; «Wo bist du?» endet auf «vollkommender Idiodiot»; und das Du thront über dem Begehren «in deiner hymnenhymen, wortüpppigen Lust». Wenige Verse lang sind die meisten Gedichte, verknappt zu reiner Essenz. Ein Gedicht steht gleichsam für den Dichter und seine Mission: «Posthumes / Ewig. Dann bist du wunderbar, das Wort / ist kein Wunder, dann bist du, / das Wort ist ein Wunder. Und / jetzt im Dann unverwannbar / verwundet. / Unheilbar.»

Uetz geht sehr frei um mit der Sprache und der Poetik; man könnte das auch seinen Manierismus nennen. Er setzt keine Titel über die freien Verse, er verwendet gern intransitive Verben mit einem Objekt, er narrt uns mit scheinbar falscher Syntax, er spielt mit Binnenreimen und dezenten Rhythmen, er wird gar persönlich, wenn er die sieben Gedichte im siebenten Kapitel «Neugeborene» Eric widmet; ruhiger sodann wird er im achten Kapitel «Nahe».

Den Band schliesst Christian Uetz mit dem Essay «Engel der Illusion». Er sieht die Illusion als «universale Theatralik in all unserem Verhalten». Das Wunderbare bleibe auf die Illusion angewiesen, «das Wunder ist Illusion der Sprache». Vor dem Dichter ist nichts sicher, er streift die Evolution ebenso wie die erotische Sehnsucht: «Intensität bis zur Ohnmacht: ein Lichtorgasmus, eine Sterbenshelle, eine Erschöpfungsverzückung, ein Verschwendungsgeschenk.» Christian Uetz glaubt, «dass es das rückhaltlos Offene und Freie ist, was deine Liebe will».

 

Christian Uetz: Engel der Illusion, Secession 2018, 144 S., Fr. 32.–

Lesungen an den Solothurner Literaturtagen
Fr, 11. Mai, 17.30 Uhr: Kurzlesung, Aussenbühne Landhausquai
Sa, 12. Mai, 22 Uhr: Literarisches Flanieren, Spoken Word aus der Aussenbühne Landhausquai
So, 13. Mai, 14 Uhr: Spoken Word, Kino im Uferbau, Moderation Beat Mazenauer

17. April 2018
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