Die FINMA hat gelogen
Anleger- oder Bankenschutz – wem dient die Finanzmarktaufsicht?
Die Credit Suisse hat sich im Zusammenhang mit dem Konkurs derUS-Investmentbank Lehman Brothers korrekt verhalten. Das sagt der offizielle Bericht der Eidgenössischen Finanzmarktaufsicht (FINMA). Ein internes Papier kommt allerdings zu anderen Schlüssen.
Als die US-Investmentbank Lehman Brothers am 15. September 2008 in Konkurs ging, verloren auch rund 20 000 Schweizer Anleger Geld. Einige wurden von den Banken, die ihnen die Lehman-Papiere vermittelt hatten, vollständig entschädigt, andere teilweise, viele gar nicht. Vor allem die Credit Suisse (CS), die mit Abstand grösste Vertreiberin von Lehman-Produkten in der Schweiz, stellte sich stur. Die Rückzahlungen sollten auf ein Minimum limitiert werden.
Keine schöne Geste. Umso mehr, als sich die Aussagen vieler CS-Kunden in einem wesentlichen Punkt gleichen: Die Bank habe so aggressiv für die Lehman-Anlagen geworben, dass man schliesslich in den Kauf der Papiere eingewilligt habe. Der Verdacht stand deshalb von Anfang an im Raum, die CS habe in einer Zeit, in der andere Banken aufgrund der offensichtlichen Probleme bei Lehman ihre Aktivitäten reduzierten oder einstellten (bzw. das Risiko versicherten), forciert Lehman-Papiere verkauft. Und auch wenn der offizielle Bericht der Eidgenössischen Finanzmarktaufsicht (Finma) vom 2. März 2010 die CS von jeder Schuld und jedem gröberen Fehlverhalten freisprach – das schlechte Gefühl blieb.
Verkauf von Lehman-Produkten forciert
Seit der «Sonntag» am 8. Oktober 2011 erstmals darüber berichtete, dass die Finma in einem internen Papier zum Lehman Brothers-Konkurs zu ganz anderen Schlüssen kommt als in ihrem offiziellen Bericht, ist klar: Das schlechte Gefühl hat nicht getäuscht. Der interne Finma-Bericht zeigt, dass die CS tatsächlich zwischen Mai und August 2008 die Vermittlung von Lehman-Papieren gesteigert hat. Ein Umstand, den die Finma in ihrem offiziellen Bericht verschweigt. Die entsprechenden Informationen sind nicht mehr zu finden.
Stattdessen schreibt die Aufsicht: «Die Credit Suisse hat sich (…) weder einseitig auf Gesellschaften der Lehman-Gruppe als Emittentinnen abgestützt, noch hat sie Produkte der Lehman-Gruppe im Jahr 2008, insbesondere unmittelbar vor dem Konkurs der Firma, ihren Kunden forciert verkauft oder aus eigenen Beständen in Kundendepots verschoben». Eine glatte Lüge.
Offensichtliche Probleme bei Lehman
Damit nicht genug. Aufgrund der steigenden Kosten für Kreditausfallversicherungen auf Lehman war der Finanzwelt seit Herbst 2007 klar, dass es um Lehman schlecht steht. So versicherte zum Beispiel die Berner Kantonalbank ihre Kunden bereits im Frühjahr 2008 gegen einen möglichen Ausfall der Lehman-Anlagen.
Fakten, die selbstverständlich auch der Finma bekannt waren und im internen Bericht ausführlich zur Sprache kommen. Unter anderem ist zu lesen: «Aus den Charts kann gefolgert werden, dass der Markt im März 2008 ein erhöhtes Kreditausfallrisiko für Lehman ortete.» In ihrem offiziellen Bericht verdreht die Finma die Erkenntnisse ins Gegenteil: «Die Lehman-Gruppe verfügte bis zum Zeitpunkt der Insolvenzerklärung mit einem Kreditrating von A2 über eine gute Bonität.» Auch das ist mindestens eine massive Unterschlagung von Informationen.
Verschleierung des Emittenten
Auch in einem dritten wichtigen Punkt ist die Finma plötzlich anderer Meinung. Im internen Bericht kritisiert sie, dass die CS Verkaufsinformationen verwendete, auf denen allzu prominent das CS-Logo prangerte (im Fachjargon wird dieses «Verschleiern» des eigentlichen Emittenten «White Labeling» genannt). Sie schreibt: «Es stellt sich die Frage, ob Kunden ohne grosse Geschäftserfahrung vorliegend nicht in guten Treuen davon ausgehen konnten, dass es sich bei den erworbenen Produkten der Lehman um CS-Produkte handelte.» Im öffentlichen Bericht heisst es dann: «In allen Dokumenten wies die CS auf die Emittentin und das Emittentenrisiko hin, allerdings nicht sehr prominent.»
Gab es einen Deal?
Vielsagend sind nicht alleine die zahlreichen Diskrepanzen zwischen den Finma-Berichten. Wichtig ist auch, dass es sich beim internen Bericht um eine Analyse zuhanden der Finma-Verwaltungsratssitzung vom 18./19. März 2009 handelt.
Der Finma-Verwaltungsrat beschäftigt sich in der Regel nicht mit Sachgeschäften, er wird nur bei grundlegenden Fragen involviert. Folglich ist davon auszugehen, dass die Resultate der Finma-Untersuchung deshalb an den VR gingen (notabene mit dem Vermerk «Geschäft von grosser Tragweite»), weil die Geschäftsleitung die Erkenntnisse als problematisch betrachtete.
Der Verdacht liegt nahe: Finma und CS einigten sich nach der VR-Sitzung vom 18./19. März auf ein Gegengeschäft – milderer Schlussbericht (sprich Freispruch) gegen Erweiterung des Empfängerkreises von Teilrückkaufsangeboten (sprich bessere Entschädigung der Kleinanleger). Tatsache ist: Knapp vier Wochen nach der erwähnten Sitzung erklärte die CS, sie werde den Empfängerkreis für Teilrückkaufsangebote erweitern. Anfänglich hatten nur Kunden mit 50 Prozent Lehman-Anteilen im Depot und weniger als 500 000 Franken Vermögen ein Teilrückkaufsangebot erhalten (das heisst: praktisch niemand). Mitte April 2009 wurde der benötigte Anteil Lehman-Papiere im Depot auf 20 Prozent gesenkt.
Aktiver Schutz der CS
Kurz: In ihrem offiziellen Bericht verdreht die Finma ihre eigenen Erkenntnisse ins Gegenteil. Sie unterschlägt zahlreiche wichtige Informationen und nimmt die CS aus der Schusslinie. Die Finma, deren Auftrag laut Gesetz der «Schutz der Gläubigerinnen und Gläubiger, der Anlegerinnen und Anleger, der Versicherten sowie der Schutz der Funktionsfähigkeit der Finanzmärkte» ist, schützt die CS aktiv vor Haftungsansprüchen der Geschädigten. Sie betreibt Banken- statt Anlegerschutz. Mit Erfolg: In diversen Rechtshändeln zwischen der Grossbank und Kleinanlegern stützten und stützen sich Anwälte und Richter auf den offiziellen Finma-Bericht und die darin «bewiesene» Unschuld der CS.
Für den Aargauer FDP-Nationalrat Phillip Müller ein unhaltbarer Zustand. Er hat in der Dezembersession der eidgenössischen Räte eine Interpellation eingereicht (siehe Kurzinterview S. 31). «Die Credit Suisse wird im öffentlichen Bericht wesentlich besser beurteilt als im internen. Das wirft die Frage auf, ob die Finma den Schutz der Beaufsichtigten höher gewichtet als den Schutz der Anlegerinnen und Anleger».
Ob die Politik die Finma zum reden bringen wird, bleibt abzuwarten. Bisher hat sich die Aufsichtsbehörde geweigert, zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen. Sie schweigt beharrlich – auch eine Möglichkeit, mit Problemen umzugehen.
Stefan Schaer ist Journalist in Bern und betreibt einen Blog, in dem er u.a. die Aufarbeitung der Pleite von Lehman Brothers kritisch verfolgt. Auf seiner Website sind auch die zitierten Quellen zu finden:
www.stefan-schaer.ch
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Rechtliche Konsequenzen
Die rechtliche Stellung der geschädigten Anleger, die den Vergleich der CS bereits akzeptiert haben, ist durch die neuen Erkenntnisse nicht besser geworden.Direkt profitieren könnten in erster Linie die Kläger in den beiden laufenden Verfahren gegen die Neue Aargauer Bank.
Anleger, die den Vergleich bereits abgeschlossen haben, können die Vereinbarung mit dem Argument anfechten, den Vergleich nur akzeptiert zu haben, weil sie aufgrund des offiziellen Finma-Berichts einem Grundlagenirrtum erlegen seien. Ein aufwändiges Verfahren mit Gefahren. Der Anleger riskiert, die ausbezahlte Vergleichsentschädigung an die Bank zurückerstatten zu müssen, ohne im zweiten Verfahren die geforderte Summe zu erhalten. Dies ist dann der Fall, wenn das Gericht zwar die Zulässigkeit der Irrtumsanfechtung bejaht, die anschliessende Schadenersatzklage aber als unbegründet abweist.
Nicht zu unterschätzen ist der Effekt einer PUK mit Finma-kritischem Ausgang. Er hätte zwar nicht direkte rechtliche Folgen, könnte aber Signalwirkung haben. Signalwirkung einerseits für eine Verbesserung des Anlegerschutzes und für einen längerfristigen Umbau der Finma zu mehr Unabhängigkeit. Signalwirkung andererseits, indem der Aufwind zur Bildung einer Art Streitgenossenschaft (ähnlich der Anleger-Selbsthilfe.ch) genutzt wird. Konkret könnten alle Anleger, die Vergleiche abgeschlossen haben, gemeinsam den Prozess eines Mitglieds auf Widerruf des Vergleichs und Rückerstattung der verlorenen Gelder finanzieren. Würde der Prozess gewonnen, wäre ein Präzedenzfall geschaffen – und die Prozesslawine könnte mit berechtigten Chancen auf Erfolg losgetreten werden.
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«Es ist nicht das erste Mal, dass die Finma Anlass zu Fragen gibt»
FDP-Nationalrat Philipp Müller kritisiert die unterschiedlichen Berichte der Finma zum Lehmann-Konkurs. Er hat in der Dezembersession der eidgenössischen Räte eine Interpellation mit acht Fragen eingereicht.
Wie erklären Sie sich die grossen Differenzen zwischen internem und öffentlichem Finma-Bericht?
Philipp Müller: Darüber kann ich nur spekulieren. Das genügt mir nicht. Deshalb habe ich die Interpellation eingereicht.
Was versprechen Sie sich davon?
Aufklärung. Ich will wissen, wie es zu den eklatanten Widersprüchen zwischen dem Bericht vom März 2009 und jenem vom März 2010 kommen konnte. Wie ist es möglich, dass das problematische Verhalten der Credit Suisse so unterschiedlich beurteilt wird?
Haben Sie Reaktionen ausgelöst?
Dank der Medienberichterstattung habe ich sehr viele Rückmeldungen erhalten. Auf meinem Schreibtisch stapeln sich die Mitteilungen von Geschädigten, Geschädigtenorganisationen und Rechtsanwälten.
Überrascht es Sie, dass die Finma den Bericht so stark geschönt hat?
Ja, es überrascht mich sehr. Zumal die Finma seit 2009 eine neue Leitung hat, auf die ich grosse Stücke halte.
Reicht eine Interpellation, um dem Problem auf den Grund zu gehen? Braucht es nicht eine Parlamentarische Untersuchungskommission (Puk)?
Das kann ich erst beurteilen, wenn die Antwort auf meine Interpellation vorliegt. Wann immer möglich sollte man eine PUK vermeiden.
Wie gross wäre die Chance, dass das Parlament eine PUK einsetzt?
Klein. Es ist nicht anzunehmen, dass die Parlamentsmehrheit für eine PUK stimmen würde.
Was wären die Konsequenzen, wenn eine PUK zum Schluss käme, dass schwere Fehler gemacht wurden?
Das müsste bei der Finma personelle Folgen haben. Die juristischen Auswirkungen auf abgeschlossene Vergleiche und laufende Verfahren kann ich nicht beurteilen.
Gehen Sie davon aus, dass die Finma in anderen Fällen ähnlich vorgegangen ist?
Es ist nicht das erste Mal, dass die Finma Anlass zu Fragen gibt. Ich habe ihre Arbeit schon einige Male mit Interpellationen hinterfragt. Leider sind die Antworten des Bundesrats allesamt nicht zu meiner Zufriedenheit ausgefallen.
Kann der Bundesrat seine Funktion als Kontrollorgan überhaupt wahrnehmen?
Rein strukturell gesehen, ja. Ob er seine Aufgabe auch wahrnimmt, wird er mit seinen Antworten auf meine Fragen gleich selbst beantworten.
Ist die Finma personell zu stark mit den Banken verbandelt?
Nein, mit der neuen Besetzung der Chefetage ist sie das sicher nicht. Wie es weiter unten aussieht, kann ich nicht beurteilen.
Trotzdem: Müsste die Finma nicht gezwungen werden, auf Ex-Banker in wichtigen Positionen zu verzichten?
Nein. Das Bank- und Finanzgeschäft ist derart komplex, dass es nur jemand effektiv überwachen kann, der die Strukturen und die Tricks der Branche aus dem Effeff kennt.
Als die US-Investmentbank Lehman Brothers am 15. September 2008 in Konkurs ging, verloren auch rund 20 000 Schweizer Anleger Geld. Einige wurden von den Banken, die ihnen die Lehman-Papiere vermittelt hatten, vollständig entschädigt, andere teilweise, viele gar nicht. Vor allem die Credit Suisse (CS), die mit Abstand grösste Vertreiberin von Lehman-Produkten in der Schweiz, stellte sich stur. Die Rückzahlungen sollten auf ein Minimum limitiert werden.
Keine schöne Geste. Umso mehr, als sich die Aussagen vieler CS-Kunden in einem wesentlichen Punkt gleichen: Die Bank habe so aggressiv für die Lehman-Anlagen geworben, dass man schliesslich in den Kauf der Papiere eingewilligt habe. Der Verdacht stand deshalb von Anfang an im Raum, die CS habe in einer Zeit, in der andere Banken aufgrund der offensichtlichen Probleme bei Lehman ihre Aktivitäten reduzierten oder einstellten (bzw. das Risiko versicherten), forciert Lehman-Papiere verkauft. Und auch wenn der offizielle Bericht der Eidgenössischen Finanzmarktaufsicht (Finma) vom 2. März 2010 die CS von jeder Schuld und jedem gröberen Fehlverhalten freisprach – das schlechte Gefühl blieb.
Verkauf von Lehman-Produkten forciert
Seit der «Sonntag» am 8. Oktober 2011 erstmals darüber berichtete, dass die Finma in einem internen Papier zum Lehman Brothers-Konkurs zu ganz anderen Schlüssen kommt als in ihrem offiziellen Bericht, ist klar: Das schlechte Gefühl hat nicht getäuscht. Der interne Finma-Bericht zeigt, dass die CS tatsächlich zwischen Mai und August 2008 die Vermittlung von Lehman-Papieren gesteigert hat. Ein Umstand, den die Finma in ihrem offiziellen Bericht verschweigt. Die entsprechenden Informationen sind nicht mehr zu finden.
Stattdessen schreibt die Aufsicht: «Die Credit Suisse hat sich (…) weder einseitig auf Gesellschaften der Lehman-Gruppe als Emittentinnen abgestützt, noch hat sie Produkte der Lehman-Gruppe im Jahr 2008, insbesondere unmittelbar vor dem Konkurs der Firma, ihren Kunden forciert verkauft oder aus eigenen Beständen in Kundendepots verschoben». Eine glatte Lüge.
Offensichtliche Probleme bei Lehman
Damit nicht genug. Aufgrund der steigenden Kosten für Kreditausfallversicherungen auf Lehman war der Finanzwelt seit Herbst 2007 klar, dass es um Lehman schlecht steht. So versicherte zum Beispiel die Berner Kantonalbank ihre Kunden bereits im Frühjahr 2008 gegen einen möglichen Ausfall der Lehman-Anlagen.
Fakten, die selbstverständlich auch der Finma bekannt waren und im internen Bericht ausführlich zur Sprache kommen. Unter anderem ist zu lesen: «Aus den Charts kann gefolgert werden, dass der Markt im März 2008 ein erhöhtes Kreditausfallrisiko für Lehman ortete.» In ihrem offiziellen Bericht verdreht die Finma die Erkenntnisse ins Gegenteil: «Die Lehman-Gruppe verfügte bis zum Zeitpunkt der Insolvenzerklärung mit einem Kreditrating von A2 über eine gute Bonität.» Auch das ist mindestens eine massive Unterschlagung von Informationen.
Verschleierung des Emittenten
Auch in einem dritten wichtigen Punkt ist die Finma plötzlich anderer Meinung. Im internen Bericht kritisiert sie, dass die CS Verkaufsinformationen verwendete, auf denen allzu prominent das CS-Logo prangerte (im Fachjargon wird dieses «Verschleiern» des eigentlichen Emittenten «White Labeling» genannt). Sie schreibt: «Es stellt sich die Frage, ob Kunden ohne grosse Geschäftserfahrung vorliegend nicht in guten Treuen davon ausgehen konnten, dass es sich bei den erworbenen Produkten der Lehman um CS-Produkte handelte.» Im öffentlichen Bericht heisst es dann: «In allen Dokumenten wies die CS auf die Emittentin und das Emittentenrisiko hin, allerdings nicht sehr prominent.»
Gab es einen Deal?
Vielsagend sind nicht alleine die zahlreichen Diskrepanzen zwischen den Finma-Berichten. Wichtig ist auch, dass es sich beim internen Bericht um eine Analyse zuhanden der Finma-Verwaltungsratssitzung vom 18./19. März 2009 handelt.
Der Finma-Verwaltungsrat beschäftigt sich in der Regel nicht mit Sachgeschäften, er wird nur bei grundlegenden Fragen involviert. Folglich ist davon auszugehen, dass die Resultate der Finma-Untersuchung deshalb an den VR gingen (notabene mit dem Vermerk «Geschäft von grosser Tragweite»), weil die Geschäftsleitung die Erkenntnisse als problematisch betrachtete.
Der Verdacht liegt nahe: Finma und CS einigten sich nach der VR-Sitzung vom 18./19. März auf ein Gegengeschäft – milderer Schlussbericht (sprich Freispruch) gegen Erweiterung des Empfängerkreises von Teilrückkaufsangeboten (sprich bessere Entschädigung der Kleinanleger). Tatsache ist: Knapp vier Wochen nach der erwähnten Sitzung erklärte die CS, sie werde den Empfängerkreis für Teilrückkaufsangebote erweitern. Anfänglich hatten nur Kunden mit 50 Prozent Lehman-Anteilen im Depot und weniger als 500 000 Franken Vermögen ein Teilrückkaufsangebot erhalten (das heisst: praktisch niemand). Mitte April 2009 wurde der benötigte Anteil Lehman-Papiere im Depot auf 20 Prozent gesenkt.
Aktiver Schutz der CS
Kurz: In ihrem offiziellen Bericht verdreht die Finma ihre eigenen Erkenntnisse ins Gegenteil. Sie unterschlägt zahlreiche wichtige Informationen und nimmt die CS aus der Schusslinie. Die Finma, deren Auftrag laut Gesetz der «Schutz der Gläubigerinnen und Gläubiger, der Anlegerinnen und Anleger, der Versicherten sowie der Schutz der Funktionsfähigkeit der Finanzmärkte» ist, schützt die CS aktiv vor Haftungsansprüchen der Geschädigten. Sie betreibt Banken- statt Anlegerschutz. Mit Erfolg: In diversen Rechtshändeln zwischen der Grossbank und Kleinanlegern stützten und stützen sich Anwälte und Richter auf den offiziellen Finma-Bericht und die darin «bewiesene» Unschuld der CS.
Für den Aargauer FDP-Nationalrat Phillip Müller ein unhaltbarer Zustand. Er hat in der Dezembersession der eidgenössischen Räte eine Interpellation eingereicht (siehe Kurzinterview S. 31). «Die Credit Suisse wird im öffentlichen Bericht wesentlich besser beurteilt als im internen. Das wirft die Frage auf, ob die Finma den Schutz der Beaufsichtigten höher gewichtet als den Schutz der Anlegerinnen und Anleger».
Ob die Politik die Finma zum reden bringen wird, bleibt abzuwarten. Bisher hat sich die Aufsichtsbehörde geweigert, zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen. Sie schweigt beharrlich – auch eine Möglichkeit, mit Problemen umzugehen.
Stefan Schaer ist Journalist in Bern und betreibt einen Blog, in dem er u.a. die Aufarbeitung der Pleite von Lehman Brothers kritisch verfolgt. Auf seiner Website sind auch die zitierten Quellen zu finden:
www.stefan-schaer.ch
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Rechtliche Konsequenzen
Die rechtliche Stellung der geschädigten Anleger, die den Vergleich der CS bereits akzeptiert haben, ist durch die neuen Erkenntnisse nicht besser geworden.Direkt profitieren könnten in erster Linie die Kläger in den beiden laufenden Verfahren gegen die Neue Aargauer Bank.
Anleger, die den Vergleich bereits abgeschlossen haben, können die Vereinbarung mit dem Argument anfechten, den Vergleich nur akzeptiert zu haben, weil sie aufgrund des offiziellen Finma-Berichts einem Grundlagenirrtum erlegen seien. Ein aufwändiges Verfahren mit Gefahren. Der Anleger riskiert, die ausbezahlte Vergleichsentschädigung an die Bank zurückerstatten zu müssen, ohne im zweiten Verfahren die geforderte Summe zu erhalten. Dies ist dann der Fall, wenn das Gericht zwar die Zulässigkeit der Irrtumsanfechtung bejaht, die anschliessende Schadenersatzklage aber als unbegründet abweist.
Nicht zu unterschätzen ist der Effekt einer PUK mit Finma-kritischem Ausgang. Er hätte zwar nicht direkte rechtliche Folgen, könnte aber Signalwirkung haben. Signalwirkung einerseits für eine Verbesserung des Anlegerschutzes und für einen längerfristigen Umbau der Finma zu mehr Unabhängigkeit. Signalwirkung andererseits, indem der Aufwind zur Bildung einer Art Streitgenossenschaft (ähnlich der Anleger-Selbsthilfe.ch) genutzt wird. Konkret könnten alle Anleger, die Vergleiche abgeschlossen haben, gemeinsam den Prozess eines Mitglieds auf Widerruf des Vergleichs und Rückerstattung der verlorenen Gelder finanzieren. Würde der Prozess gewonnen, wäre ein Präzedenzfall geschaffen – und die Prozesslawine könnte mit berechtigten Chancen auf Erfolg losgetreten werden.
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«Es ist nicht das erste Mal, dass die Finma Anlass zu Fragen gibt»
FDP-Nationalrat Philipp Müller kritisiert die unterschiedlichen Berichte der Finma zum Lehmann-Konkurs. Er hat in der Dezembersession der eidgenössischen Räte eine Interpellation mit acht Fragen eingereicht.
Wie erklären Sie sich die grossen Differenzen zwischen internem und öffentlichem Finma-Bericht?
Philipp Müller: Darüber kann ich nur spekulieren. Das genügt mir nicht. Deshalb habe ich die Interpellation eingereicht.
Was versprechen Sie sich davon?
Aufklärung. Ich will wissen, wie es zu den eklatanten Widersprüchen zwischen dem Bericht vom März 2009 und jenem vom März 2010 kommen konnte. Wie ist es möglich, dass das problematische Verhalten der Credit Suisse so unterschiedlich beurteilt wird?
Haben Sie Reaktionen ausgelöst?
Dank der Medienberichterstattung habe ich sehr viele Rückmeldungen erhalten. Auf meinem Schreibtisch stapeln sich die Mitteilungen von Geschädigten, Geschädigtenorganisationen und Rechtsanwälten.
Überrascht es Sie, dass die Finma den Bericht so stark geschönt hat?
Ja, es überrascht mich sehr. Zumal die Finma seit 2009 eine neue Leitung hat, auf die ich grosse Stücke halte.
Reicht eine Interpellation, um dem Problem auf den Grund zu gehen? Braucht es nicht eine Parlamentarische Untersuchungskommission (Puk)?
Das kann ich erst beurteilen, wenn die Antwort auf meine Interpellation vorliegt. Wann immer möglich sollte man eine PUK vermeiden.
Wie gross wäre die Chance, dass das Parlament eine PUK einsetzt?
Klein. Es ist nicht anzunehmen, dass die Parlamentsmehrheit für eine PUK stimmen würde.
Was wären die Konsequenzen, wenn eine PUK zum Schluss käme, dass schwere Fehler gemacht wurden?
Das müsste bei der Finma personelle Folgen haben. Die juristischen Auswirkungen auf abgeschlossene Vergleiche und laufende Verfahren kann ich nicht beurteilen.
Gehen Sie davon aus, dass die Finma in anderen Fällen ähnlich vorgegangen ist?
Es ist nicht das erste Mal, dass die Finma Anlass zu Fragen gibt. Ich habe ihre Arbeit schon einige Male mit Interpellationen hinterfragt. Leider sind die Antworten des Bundesrats allesamt nicht zu meiner Zufriedenheit ausgefallen.
Kann der Bundesrat seine Funktion als Kontrollorgan überhaupt wahrnehmen?
Rein strukturell gesehen, ja. Ob er seine Aufgabe auch wahrnimmt, wird er mit seinen Antworten auf meine Fragen gleich selbst beantworten.
Ist die Finma personell zu stark mit den Banken verbandelt?
Nein, mit der neuen Besetzung der Chefetage ist sie das sicher nicht. Wie es weiter unten aussieht, kann ich nicht beurteilen.
Trotzdem: Müsste die Finma nicht gezwungen werden, auf Ex-Banker in wichtigen Positionen zu verzichten?
Nein. Das Bank- und Finanzgeschäft ist derart komplex, dass es nur jemand effektiv überwachen kann, der die Strukturen und die Tricks der Branche aus dem Effeff kennt.
24. Januar 2012
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