Die Härte der feinen Schwingung

Strahler leben in extremen Kontrasten: Kein Beruf im Alpenraum bekommt die Elemente stärker zu spüren. Und sie suchen nach Schätzen, in denen ein bisschen Ewigkeit gespeichert ist. Dem Urner Elio Müller ist das grosse Glück sehr früh begegnet, er ist trotzdem Realist geblieben.

Der Arbeitsplatz der Strahler liegt typischerweise an unzugänglichen Stellen auf zwei- bis dreitausend Meter Höhe. Dort suchen sie nach Hohlräumen in Quarzbändern, in denen die Bergkristalle in Jahrmillionen wachsen können. Ein Fund gelingt in der Regel nicht durch Zufall, sondern durch genaue Beobachtung, eine Mischung von Ahnung und Erfahrung und vor allem durch harte Arbeit. Bis ein Hohlraum freigelegt ist, müssen oft Dutzende Kubikmeter Fels weggeräumt werden. Und ob man dann belohnt wird, ist unsicher. Ausdauer allein reicht dafür nicht, Leidenschaft ist unerlässlich.

Berufsmässige Strahler arbeiten von Juni bis zum ersten Schnee im September. Am Montag steigen sie mit Proviant für die Woche ein paar Stunden hoch, am Freitag steigen sie ab, vielleicht mit ein paar funkelnden Spitzen im Rucksack.
In den Bergen gelten ungeschriebene, aber eherne, wenn nicht gar kristallene Gesetze. Stellen in Exploration werden mit Jahrzahl, Initialen und Patentnummer markiert und sind dann für zwei Jahre im Umkreis von zwölf Meter geschützt. Auch das Werkzeug, vom Hammer über das Brecheisen bis zum Pickel, wird in der Regel vor Ort gelassen. Strahler respektieren die Arbeit ihrer Kollegen.

Elio Müller aus Altdorf/UR (*1986) interessierte sich schon seit frühester Kindheit für Bergkristalle. Die Faszination blieb seinem Vater nicht verborgen, der schliesslich ein Patent erwarb, damit er mit seinem Sohn nach Kristallen suchen konnte. Es war auch der Vater, der ihn mit den erfahrenen Strahlern Franz von Arx und Paul von Känel bekannt machte.
Zwölf Jahre arbeiteten die beiden Freunde schon am Planggenstock bei der Göschenenalp, als sie 2005 dreiunddreissig Meter im Felsinnern einen Sensationsfund machten, der sie auf die Titelseiten der Schweizer Zeitungen brachte: eine riesige Gruppe wunderschöner Bergkristalle. Das eindrückliche Ensemble kann heute im Naturhistorischen Museum Bern bewundert werden.
Als Paul von Känel kurze Zeit später altershalber kürzer treten wollte, war es eine grosse Ehre für den jungen Elio, seinen Platz einnehmen und seine Leidenschaft zum Beruf machen zu können. Seit 2008 ist er nun mit seinem  mehr als 30 Jahren älteren väterlichen Freund Franz von Arx auf 2600 Meter Höhe an der Arbeit. Gleich in ihrem ersten Jahr durften sie einen Fund machen, der denjenigen vor drei Jahren noch übertraf. Am 19. September entdeckten sie eine Höhle, aus der sie 2,5 Tonnen Bergkristalle mit Spitzen von rekordverdächtigen 1,20 Meter Grösse bargen. Was geht einem Strahler dabei durch den Kopf? Man sei einfach nur dankbar, sagt Elio. Und wenn gleich zu Beginn der Lebenstraum eines jeden Strahlers in Erfüllung geht, verzieht sich da nicht die Leidenschaft? Elio verneint. Zudem habe er den Glücksmoment für sein ganzes Leben gespeichert.

Und: «Kristalle leben und geben Kraft.» Er spüre ihre Energie, sagt er und sei auch nie krank. In der Tat können Kristalle schwingen, was ihre Verwendung in Quarzuhren erklärt. Einen Taktgeber suchen die Kunden von Elio kaum, wohl aber ein Symbol von Geist und Zeitlosigkeit, den sie an einen guten Ort ihrer Wohnung stellen können.
Über die wirtschaftliche Seite der Strahlerei spreche ich mit Elio nicht. Es widerstrebt mir, Geschenke der Natur mit einem Preisschild zu versehen. Stattdessen machen wir einander Geschenke. Und so steht nun ein Kristall auf meinem Schreibtisch und einer begleitet mich in meiner Hosentasche. Ein bisschen harte Ewigkeit muss sein.    

Kontakt: Elio Müller, 6460 Altdorf,

www.bergkristalle-mueller.ch