Gesucht: Katalysatoren für die Energiewende

Wie man den Strukturwandel beschleunigen kann

Unsere Trägheit, erneuerbare Energien zu nutzen, kommt uns mit jedem Tag teurer zu stehen. In der Chemie werden Reaktionen durch Katalysatoren erleichtert. Analog könnte energiebasiertes Geld den Wandel hin zur nachhaltigen Energieversorgung beschleunigen.

Diejenigen, von denen man erwartet, dass sie den Strukturwandel hin zu mehr Nachhaltigkeit herstellen sollen – Politik und Wirtschaft –, wollen ihn eigentlich gar nicht. Und diejenigen, die ihn wollen – die Konsumenten, scheinen nur wenig dazu beizutragen.
Bei einer chemischen Reaktion müssen die Reaktionspartner zusammengebracht werden. Als Nächstes braucht es eine gewisse Aktivierungsenergie und häufig einen Katalysator. Die Reaktionspartner für einen Übergang vom zentralistischen, fossil-atomaren Energiesystem zu einer dezentralisierten Energieautonomie sind die Energieproduzenten und die Verbraucher, und in diesem Fall können sie es häufig in ein und derselben Person sein. Die «Aktivierungsenergie», nämlich der gute Wille, ist hier vorhanden. Was fehlt, ist ein «Katalysator», der die «Reaktion» vom Wollen zum Tun erleichtert und beschleunigt, ohne sich selbst zu verbrauchen.
Die Technologien für die solare Energieautonomie sind nämlich vorhanden, ebenso das Kapital für die erforderlichen Investitionen. Es liegt jedoch zum Grossteil in den Händen derer, die von den bestehenden Strukturen profitieren.

«Business as usual» aus Mangel an Gelegenheiten

Strom kommt unsichtbar und ohne Herkunftsbezeichnung aus der Steckdose. Bezahlt wird er alle zwei Monate pauschal und nur einmal im Jahr wird man mit der Jahresendabrechnung daran erinnert, dass die Energiekosten durch das eigene Verhalten beeinflusst werden.
Das wäre theoretisch der Moment, in dem der Verbraucher sein «Energieverhalten» überdenken müsste. Doch es ist zugleich der Moment, in dem der günstigere Strompreis konventioneller Anbieter die Entscheidung für die langfristig billigeren Erneuerbaren wieder zunichte macht.
Die Aktivierung der Zivilgesellschaft verlangt also nach einem «Strukturwandelkatalysator» mit drei Aufgaben:
  • Er muss möglichst viele Menschen erreichen, die potenziell als Reaktionspartner in Frage kommen.
  • Er muss diese möglichst häufig, am besten täglich, mit der Entscheidungsmöglichkeit für erneuerbare Energien konfrontieren.
  • Er muss die Hürden für das Verlassen der eingetretenen Pfade so weit wie möglich senken.

Keine menschliche Erfindung hat die Vermittlung zwischen Angebot und Nachfrage besser und effektiver zu katalysieren vermocht als die Wertmedien, am besten in ihrer alltäglichen Form als «Geld» bekannt.
Die katalytischen Effekte von Zahlungsmitteln lassen sich auf den Strukturwandel im Energiebereich übertragen. Voraussetzung ist die Umlauffähigkeit des Gegenwerts: die virtuelle Kilowattstunde als Werteinheit, mit der auch bezahlt werden kann. So wird Energieeinsparung attraktiver: Wer sein Energie-Guthaben auf dem persönlichen kWh-Konto nicht ausnützt, kann es beim Einkauf ausgeben. Der Stromzähler meldet den Verbrauch in Echtzeit an das kWh-Konto .

Viele Schwalben machen einen Sommer

Einmal medialisiert, können mit den virtuellen Kilowattstunden aber noch weiter reichende Effekte erzielt werden. Wer mit einem Solardach selber Energie produziert, kann seine «Ernte» über Bezugsscheine klein gestückelt beim Einkaufen ausgeben. Der Bio-Supermarkt kann auch Kilowattstunden erneuerbarer Energie verkaufen – zum Beispiel als Prepaid-Karte. Oder die Konsumenten bekommen erneuerbare Kilowattstunden als Rabattpunkte auf ihre Kundenkarte geladen, die sie zuhause am Stromzähler verbrauchen können.
Eine Grundvoraussetzung für die meisten dieser «Renewable Energy Credit-Systeme» ist, dass der Betreiber des Stromnetzes als Verrechnungsstelle mitspielt. Gemeinden mit eigenen Stromwerken sind hier klar im Vorteil.
Der Strukturaufbau kann durch Bürgerbeteiligungsgesellschaften, die kWh-Geld verausgaben, finanziert werden: Die Bürger kaufen sich mit Euro oder Franken  Rechte zum Bezug von erneuerbarer Energie, die als regionales Geld umlaufen können.Sie investieren also ihr Geld in erneuerbare Energien und erhalten Ihre sichere Dividende in Form von «energiegedecktem» Kilowattstunden-Geld. Mit den eingeworbenen Euro oder Franken werden die Anlagen zur Erzeugung erneuerbarer Energie gebaut und der Bürger hat die Sicherheit eines Bezugsrechts auf im Preis steigende Energie. Seine Bezugsscheine behalten also relativ zum Energiepreis die Kaufkraft und sind inflationssicher. So wird die Bürgerbeteiligungsgesellschaft  zur «Dezentralbank».

Leitwährung Kilowattstunde

Der Zusammenhang zwischen Geld und Energie ist nicht zufällig. Schon lange ist der Wert des amerikanischen Dollars  durch den Zugriff der USA auf die fossilen Energiereserven abhängig und durch seine Verwendung als offizielle Handelswährung bei Erdölgeschäften gesichert: Je höher die Nachfrage nach Erdöl und je höher der Ölpreis, desto mehr Dollars müssen gekauft werden, um Öl zu kaufen, was den Wert des Dollars relativ zum Öl stützt.  Die nachhaltig erzeugte Kilowattstunde als Zahlungsmittel ermöglicht jedoch gerechte, nachhaltige und dezentrale  Strukturen. Schon 1975 erkannte der australische Soziologe und Politikwissenschaftler Shann Turnbull , dass erneuerbare kWh-Zertifikate das Geld der Zukunft sein werden.
Die virtuelle erneuerbare Kilowattstunde hat damit das Zeug zur Leitwährung des 21. Jahrhunderts.

Ludwig Schuster, geb. 1975, ist Diplom-Ingenieur (Architektur) und Mitbegründer der Agentur für endogene Regionalentwicklung REGIOprojekt. Er entwickelt monetäre Instrumente, Planspiele und Medien für gesellschaftliche Beteiligungsprozesse. Zur Konzeption der Komplementärwährung «REGIOdigits auf der Basis erneuerbarer Energien» siehe
http://www.livingcity.de/about/strukturwandelkatalysator.htm

01. Mai 2007
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