Infektionsgeschehen und das Politische

Die Ursachen der «Pandemie» liegen viel tiefer als gemeinhin angenommen und es grassiert ein weitaus gefährlicheres Virus – ein Derivat der kapitalistischen Krankheit.

«Capitalism is the virus» ©Mike Erskine / unsplash

Es existiert keine Lebenssphäre mehr, in der der Begriff «Infektionsgeschehen» nicht auftaucht. Seit einer gefühlt unendlich langen Zeit – immer wieder und sogar zunehmend. Das Infektionsgeschehen, wie es so vieldeutig heisst, bestimmt das Leben. Oder besser gesagt, das Infektionsgeschehen bestimmt, inwieweit sich die politische Administration dazu ermächtigt fühlt, grundsätzliche Freiheitsrechte einzuschränken. Der Streit, der darum entsteht, ist ein uralter im rechtsphilosophischen Sinne.

Ist in Anbetracht der abzuwehrenden Gefahr die Einschränkung der Freiheit verhältnismässig?

Angesichts dieser Frage, die so kühl und kalkulatorisch verhandelt werden müsste, entfacht sich ein Feuer, das eher als Indiz für unsere aus den Fugen geratene Zeit gehalten werden kann. Die einen werfen den anderen vor, die Gefahr zu überhöhen, um die Freiheitsrechte zu stürmen. Die anderen wiederum bezichtigen die Gegner der Massnahmen der Verharmlosung der Gefahr und deklarieren sie selbst damit zum gesellschaftlich unsolidarisch handelnden Gefahrenherd. Ja, das Infektionsgeschehen hat es in sich.

Die Spaltung der Gesellschaft

Was bei den Debatten um Maskenschutz, Abstandsregeln, Desinfektion und der Reduktion von Sozialkontakten eher verloren geht, ist die nachhaltige Veränderung, die mit dem Krisenmanagement einhergeht und noch weiter einhergehen wird. Schon jetzt ist zu sehen, dass die Spaltung der Gesellschaft in extrem Reich und extrem Arm beschleunigt wird. Das allein reicht aus, um sich grundsätzliche Fragen zu stellen. Denn eines ist klar: die Armen sterben häufiger als die Reichen (1).

«Das Modell, mit dem das Infektionsgeschehen konfrontiert ist, ist das Produkt von vierzig Jahren kapitalistischen Triumphgeheuls.»

Die einen sitzen eingepfercht in kleinen Wohnungen eng aufeinander, während die anderen in ihren parkähnlichen Gärten flanieren und in grossen Räumen vor dem wärmenden Kamin sitzen. Klischees? Ja! Treffen sie zu? Ja, mehr denn je!

Es wäre hilfreich, die Faktoren, die momentan zum öffentlichen Diskurs gehören, auf dem Sozialatlas zu analysieren. Das immer präsente Infektionsgeschehen wird verstärkt in der Unterschicht ausgeprägt sein ebenso wie die Übersterblichkeit. Es handelt sich zwar nur um eine Prognose, sie ist jedoch ohne grosses Risiko. Wer nichts hat, so die bittere Quintessenz nach Jahrzehnten des Wirtschaftsliberalismus, verliert schnell alles, und wer bereits hat, gewinnt schnell dazu.

Der globale Markt wird es schon regeln, denn billige Arbeitskräfte lassen sich aus jedem „Shithole“ (Zitat des amerikanischen Präsidenten) so schnell importieren wie Zitronen oder Seltene Erden (2).

Das Modell, mit dem das Infektionsgeschehen konfrontiert ist, ist das Produkt von vierzig Jahren kapitalistischen Triumphgeheuls. Entsprechend human wirkt es sich aus. Wer diese Auswirkungen nur einer Regierung, und zwar der jetzt amtierenden, anlastet, bewegt sich leider nur auf der phänomenologischen Ebene.

Die Krankheit aus dem Labor der Chicago Boys

Jenseits der epidemiologischen Dimension bezeichnet das Infektionsgeschehen also auch noch etwas anderes. Es handelt sich dabei um ein bereits langes, aber nicht wirklich bekämpftes Virus. Es ist ein Derivat der kapitalistischen Krankheit, das besonders heimtückisch ist. Es wurde entwickelt in den Labors der Chicago School of Economics, die Laboranten nannten sich kokett die Chicago Boys.

Die ersten Mutationen waren gedacht, um Staaten in Südamerika zu destabilisieren und beherrschbar zu machen. Das gestaltete sich als so erfolgreich, dass sie das Virus isolierten und als Prototypen für globale Infektionsvorhaben weiter kultivierten.

Heute ist die Krankheit in allen Ländern, in denen der Westen operiert, prächtig entwickelt. Sie bildet die Grundlage für die Zweitindikation namens Corona. Letztere kann sich so verheerend auswirken, weil das erste Virus, das des Wirtschaftsliberalismus, bereits hervorragende Vorarbeit geleistet hat.

Infektionsgeschehen als politische Dimension

Wenn der Begriff «Infektionsgeschehen» fällt, sei bitte daran gedacht, dass es sich nicht nur um eine epidemiologische und medizinische Dimension, sondern auch und vor allem um eine politische handelt.

Quellen und Anmerkungen

(1) Frankfurter Rundschau (14.1.2019): Arme Menschen sterben früher. (abgerufen am 15.10.2020)

(2) NBC News (10.1.2018): Trump referred to Haiti and African nations as ’shithole‘ countries. (abgerufen am 15.10.2020)

Der Autor

Dr. Gerhard Mersmann studierte Politologie und Literaturwissenschaften, war als Personalentwickler tätig und als Leiter von Changeprozessen in der Kommunalverwaltung. Er ist Geschäftsführer eines Studieninstituts und Blogger. Auf Form7 schreibt Mersmann pointiert über das politische und gesellschaftliche Geschehen und wirft einen kritischen Blick auf das Handeln der Akteure. Seine Artikel erscheinen bei Neue Debatte und Futur II.

Der Artikel erschien zuerst bei Form7.

 

22. Oktober 2020
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