Lesebühnen: Oasen im Meer der Kultur
Ich habe drei Lesebühnen in München - womit ich viel mehr angeben könnte, wenn die Leute wüssten, was eine Lesebühne überhaupt ist. Meistens ernte ich nur leere Blicke oder absurde Vermutungen.
zVg Martina Pahr
Der Applaus! Bis es soweit ist, platzt mir meistens schon die Blase oder der Kragen! Foto: zVg Martina Pahr

Manche stellen sich tatsächlich vor, es sei eine Art von Coworking, wo man halt auf den Brettern, die die Welt bedeuten, nicht zum Arbeiten zusammensitzt, sondern zum Lesen. Oder dass man sich gegenseitig aus den Lieblingsbüchern vorliest. Oder sie fragen ChatGPT und erfahren: «Das ist eine schöne Plattform, um Literatur zu feiern und neue Texte kennenzulernen!»

HA!, kann ich da nur prusten. Literatur! Feiern! NEUE Texte! Soweit kommt’s noch!

Im Grunde handelt es sich um eine unterhaltsame Veranstaltung, bei der eine Handvoll Wortkünstler:innen auftreten, die meist speziell dafür geschriebene, kurze Texte im bunten Wechsel vortragen (oder vorlesen, wenn ihr Gedächtnis so schlecht wie meines ist): von Gedichten, Balladen gar, über Theaterstücke zum Vorlesen und lustigen Glossen bis hin zu melancholischen, intimen oder sogar tiefen Betrachtungen über das Leben und den ganzen Rest. Wie ein Poetry Slam, aber ohne Zeitdruck und Wettbewerb.

Ich habe also drei Lesebühnen in München. Stellt sich die Frage: Warum? 

Weil ich keinen Wert auf meine Nerven lege. Weil Selbstausbeutung zu meiner Arbeitsethik gehört. Weil im Fernsehen nichts Gescheites kommt und mir kein anderes Hobby einfällt. Weil ich nichts Besseres mit meiner rasant schwindenden Lebenszeit anzufangen weiss. 

Weil ich gern meine Freunde damit verprelle, sie zu nötigen, die Lesebühnen zu besuchen.

Weil ich für Freigetränke fast alles tue. Weil ich jede Kommunikation mit Leuten schätze, die sich selbst drei Wochen Zeit für eine Rückmeldung lassen, aber sofort maulen, wenn sie nicht innerhalb von 24 Stunden eine Antwort von mir bekommen. 

Weil ich gerne kontrolliere, ob die Dinge, die ich fristgerecht vorgelegt habe, vom Veranstalter auch rechtzeitig online gesetzt werden. 

Weil ich generell sehr aufgeschlossen bin für Vorschläge von Leuten, die ihre Ignoranz so eifrig präsentieren, als ob es dafür Freibier gäbe. 

Weil es nichts Schöneres gibt, als jeden Monat von Neuem um ein vergessliches Publikum zu werben im Wettstreit mit 200 zeitgleichen Veranstaltungen, die auch nicht (wesentlich) schlechter sind. 

Weil ich mich unmässig freue, wenn Leute mich auf der Strasse erkennen – zwar nicht mit Namen, aber mit Örtlichkeiten. «Trudering» rufen sie dann fröhlich, oder «Vereinsheim», und manchmal bestehen sie auch darauf, mich bei Events erlebt zu haben, bei denen ich mit Sicherheit nicht dabei war (oder vor meinem Auftritt rausgeflogen bin). 

Aber am meisten liebe ich den Umgang mit den Performern. Es fasziniert mich, dass derart wortgewandte Menschen zwar schreiben, aber nicht wirklich lesen können – Emails mit sämtlichen Infos zum Auftritt zum Beispiel. Und ich schätze es als Herausforderung, mir merken zu müssen, wen ich auf welchem Wege erreiche - ob über den Messenger, Insta, Telefon oder singendes Telegramm - oder ihnen zu erklären, was ein hochauflösendes Foto ist und dass es immer sinnvoll ist, wenn es nicht als «IMG1234» betitelt ist, sondern den Namen der Person trägt, die abgebildet ist, weil ich zwar weiss, um wen es sich handelt, aber die Presse, für die ich die Fotos im besten Fall brauche, höchstwahrscheinlich nicht. 

Das Geld, das ich mit der ganzen Schinderei verdiene, liegt, auf die Stunde umgerechnet, maximal beim Mindestlohn. ABER der Applaus entlohnt dich ja für alles.

Der Applaus! Bis es soweit ist, platzt mir meistens schon die Blase oder der Kragen! Die Blase, weil ich vor lauter Sorge (wo bleiben die Künstler, wo bleibt das Publikum?), Kümmern (hier sind die Snacks, doch wohin ist der Techniker?) und flüssiger Selbstmedikamentierung nicht zum Pinkeln komme. Und der Kragen, weil gerade jene auftretenden Gäste, die noch vor Beginn fragen, wie viel Zeit sie haben, weil sie ja die Emails, in denen das steht, prinzipiell nicht lesen, massiv überziehen. Massiv! Ungefähr acht Minuten haben sie, doch nach einer Viertelstunde sind sie gerade mal mit dem ersten Song fertig, weil sie den ja mit dem Wort zum Sonntag einleiten mussten, und setzen dann gnadenlos zum zweiten an. 

Mit dem Applaus ist es so wie mit der Ernte im Schrebergarten: Kann die lange, harte Arbeit nicht ausgleichen, und meistens kommt man nicht mal dazu, und dann fangen die Radieserl an zu blühen.

Doch, ich mag Lesebühnen. Irgendwie denke ich da an Asterix: Die ganze Kulturlandschaft ist von Mainstream, Pseudo-Avantgarde und Billigbums besetzt. Die ganze? Nein! Ein von unbeugsamen Künstler:innen belebtes Genre hört nicht auf, dem Eindringling Widerstand zu leisten.

Das sind wir. Die Lesebühnen. Unermüdlich, quasi gnadenlos, navigieren wir tapfer durch den kulturellen Sumpf, als ob’s kein Morgen gäbe. Kultur auf Tuchfühlung, häppchenweise und leicht verdaulich, und wenn der eine Auftritt nicht gefällt, dann der nächste.

Lesebühnen sind Oasen in der Wüste der Kultur. Palmbewedelte Orte der Ruhe, wo es frische Getränke gibt. Und wo sich das Publikum denken kann: «Pah, so ein Schmarrn, zur Not könnte ich das auch noch.» 
Dann fühlen sich die Leute, die passiv konsumieren, gut und klatschen gnädig, und die Leute, die sich für einen Appel und ein Ei verausgaben, fühlen sich noch besser.

Nur die Moderator:innen müssen dringend aufs Klo.


In meiner ersten eigenen Lesebühne, ABGEBRÜHT, jeden letzten Freitag im Monat im kuscheligen Café Beans and Books, trete ich selbst als Veranstalterin auf. Wenn ich zum Vorlesen zu faul bin, dann erzähle ich einfach und nenne es «Stand up Comedy». Bei ABGEBRÜHT gibt es nur dann Musik, wenn ich die nicht bei der GEMA (die deutsche Variante der SUISA), anmelden muss, denn über die semi-erleuchtete, buddhagleiche Natur, die man dafür braucht, verfüge ich nicht. Eine weitere organisiere ich monatlich für das Kulturzentrum in Trudering, eine dritte kam im April für die Mohr-Villa in Freimann dazu.

Martina Pahr

Martina Pahr

Martina Pahr ist Magister der Literaturwissenschaft, verausgabte Fernsehredakteurin, ehemalige Reiseleiterin und leidenschaftliche Schrebergärtnerin. Nebenher veranstaltet sie diverse Lesebühnen in München (wo sich kaum jemand etwas unter diesem Begriff vorstellen kann - im Grunde «Poetry Slam» ohne Wettbewerb.) Im Sommer schreibt sie gern in Schottland, im Winter in Asien und zwischendrin im Garten - wo sie sich überlegt, warum sie nichts Anständiges gelernt hat. 

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