Unser Bankensystem ist strukturell instabil
Ein Bankchef erklärt, warum die Vollgeld-Reform nötig ist
Wenn wir im Supermarkt bezahlen, verwenden wir entweder mittels Bankkarte elektronisches Buchgeld oder Bargeld. Für die Zahlungsvorgänge in unserem Lebensalltag sind beide Geldformen – Bargeld und Buchgeld – gleichwertig. Die materielle Erscheinungsform des Geldes als Metall-, Papier- oder Buchgeld ist dafür nicht wesentlich.
Ganz in diesem Sinn fasst die Nationalbank bei der Bestimmung des Geldvolumens, das in der Wirtschaft zirkuliert, das Bargeld und das Buchgeld auf unseren Konten zur einheitlichen Geldmenge, M1 genannt, zusammen.
Auf der rechtlichen Ebene dagegen stellt sich die Sache völlig anders dar. Das Bundesgesetz über die Währung und die Zahlungsmittel (WGZ) bezieht sich nicht auf unser Geld insgesamt, das sich heutzutage aus 10 % Bargeld und 90 % Buchgeld zusammensetzt, sondern nur auf das Bargeld: Allein die Münzen und Banknoten sind als gesetzliche Zahlungsmittel, d. h. als Schweizer Franken deklariert.
Das Geld auf unseren Bankkonten wird im Gesetz mit keinem Wort erwähnt. Wir haben auf unseren Bankkonten keine Schweizer Franken, kein Geld im gesetzlichen Sinne, sondern nur einen Anspruch darauf. Während wir einen Anspruch auf Brot nicht essen können, ist es beim Geld anders: Der Anspruch auf Geld kann wie Geld zur Bezahlung verwendet werden.
Sind diese rechtlichen Aspekte von Belang, wenn doch in der Praxis beide Geldformen ungeachtet ihres rechtlichen Status als Zahlungsmittel gut funktionieren? Weit gefehlt, denn genau in diesem Punkt ist die latente Instabilität und Krisenanfälligkeit unseres Geld- und Banksystems begründet.
Um es anschaulich zu machen, wollen wir uns in der Bank einen Topf vorstellen, in dem sich das Bargeld der Bank sowie die jederzeit in Bargeld einlösbaren Zentralbankreserven befinden. Das Geld auf den Zahlungskonten der Bankkunden stellt einen Anspruch auf Bargeld aus diesem Topf dar.
Mit jeder Kreditvergabe erzeugt die Bank neues Buchgeld. Dementsprechend vergrössert sich das Volumen der Ansprüche auf Bargeld. Im Ergebnis gibt es viel mehr Ansprüche auf den Inhalt des Topfes als Bargeld vorhanden ist. Die Ansprüche können niemals vollumfänglich bedient werden, wenn alle Bankkunden gleichzeitig eine Barauszahlung ihres Kontoguthabens verlangen.
Wird die betroffene Bank in einem solchen Krisenfall nicht vom Staat, also auf Kosten der Allgemeinheit, gerettet, bricht sie wie ein Kartenhaus in sich zusammen und droht weitere Banken in Mitleidenschaft zu ziehen. Eine solche Situation haben wir vor gut zehn Jahren eindrücklich erlebt.
Banken können heute Buchgeld erzeugen und damit Versprechen auf Bargeld in einem Umfange vergeben, die objektiv nicht erfüllbar sind. Das Gebäude unseres Banksystems ist somit strukturell instabil. Man versucht nun, es von aussen mit Pfeilern zu stützen (Bankenregulation) und mit Polstern zu versehen (Eigenmittel- und Liquiditätsanforderungen), welche sich jedoch immer wieder als unzureichend erweisen (siehe auch Basel I bis III).
Die stabilisierenden Massnahmen werden nur Flickwerk bleiben, solange der Kern des Problems nicht angegangen wird: Das Gebäude des Banksystems muss bis in das Fundament der Geldordnung hinein saniert werden, damit es in sich stabil wird. Genau darum geht es bei der Vollgeldinitiative.
Im Vollgeldsystem wird das Buchgeld – so, wie es das Bargeld heute bereits ist – zu einem vollwertigen gesetzlichen Zahlungsmittel, zu Vollgeld eben. Damit wird das kritische Missverhältnis zwischen den Versprechungen der Banken und der Erfüllbarkeit dieser Versprechen aufgehoben. Das führt zu einer Stabilisierung unseres Banksystems und verschafft uns auf unseren Lohnkonten krisensicheres Geld.
Es gibt gute Gründe, das überkommene Geldsystem kritisch zu hinterfragen und «im Gesamtinteresse des Landes» – so der in der Bundesverfassung verankerte geld- und währungspolitische Grundsatz – grundlegend zu reformieren. In diesem Sinne verdient die Vollgeldinitiative unsere volle Unterstützung.
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Jean-Marc Decressonnière ist Miglied der Geschäftsleitung der Freien Gemeinschaftsbank, der vorerhand einzigen Bank, die die Vollgeld-Reform unterstützt. Der Artikel wurde für die Basellandschaftliche Zeitung geschrieben, erschien aber aus ungenannten Gründen nicht.
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