Gefragt: freiwilliger Einsatz
Zehn Prozent der Bevölkerung von Gossau engagieren sich in der Freiwilligenarbeit. Der Ort im Zürcher Oberland ist ein gutes Beispiel dafür, dass man Gemeinden nicht als Wirtschaftsunternehmen führen muss.
Jörg Kündig ist viel unterwegs für seine Gemeinde Gossau im Zürcher Oberland. Gegen tausend Freiwillige – rund 10 Prozent der Bevölkerung – helfen mit. Als Gemeindepräsident weiss er: Ohne sein Team würde Gossau sofort stillstehen. «Im inneren Kreis engagieren sich Freiwillige im Gemeinderat, in eigenständigen Behörden und Kommissionen, in der Schul- und Kirchenpflegen oder in Vorständen der gemeindeeigenen Betriebe», sagt Kündig. «Dazu kommen nochmals mindestens ebenso viele Einwohnerinnen und Einwohner in der Freiwilligenarbeit. Etwa als Vorstände von Vereinen und Gruppierungen oder in weiteren Gremien und Funktionen.» Als letztes Drittel nennt Jörg Kündig die Feuerwehr und den Zivilschutz.
Geteilte Verantwortlichkeiten
Die zahlreichen Miliz-Teams werden in Gossau hauptsächlich durch den Gemeinderat und die Gemeindeverwaltung geführt – angesichts der grossen Unterschiedlichkeit der Aufgaben eine anspruchsvolle Führungsaufgabe. In der Regel stützt sich das «Dorf-Management» auf Verantwortliche in den einzelnen Teams. Kürzlich hat Gossau eine Anlaufstelle für Freiwilligenarbeit geschaffen, auch für Altersfragen. Dabei geht es um die Vermittlung von Mahlzeiten-, Fahr- und Besuchsdiensten, die Information älterer Menschen und ihrer Angehörigen über das Wohn-, Betreuungs- und Pflegeangebot im Alter oder um Entlastungsangebote für pflegende Angehörige und die Vermittlung von Dienstleistungsanbietern.
Gossau ist nicht überall
Man weiss es: Viele Gemeinden finden die Freiwilligen nicht mehr, die sie dringend brauchen. Nicht zuletzt wohl auch, weil viele Zuzüger einfach «wohnen» wollen und weder Zeit noch Lust haben, sich zu Gratisleistungen zu verpflichten. Stress durch Überforderung im Beruf, Beziehungspflege am Grill und Zubringerdienste für Freizeitaktivitäten der Kinder füllen die Freizeit nach langen Arbeitszeiten; wer will da am Abend noch an Sitzungen? Wir leben zudem im Zeitalter des Rückzugs auf die Eigeninteressen. Angesichts der hoch subventionierten Mobilität, sind aktive Nachbarschaften bloss noch für die vielen Mütter und wenigen Männer wichtig, die sich um ihre Kinder kümmern. Stammtische bleiben leer, Chöre und Vereine lösen sich auf, an den Gemeindeversammlungen treffen sich immer weniger Interessierte. Wie soll da beispielsweise die Integration der Zuzüger funktionieren?
Wenn Menschen pensioniert werden, wollen manche noch etwas Nützliches tun – eben gerne für die Gemeinschaft
Von der Gemeinschaft zur Firma
Die Gemeinde ist wie ein gutes Spital – beide sollen nicht rentieren müssen, denn ihre Ziele sind menschlicher Art, nicht kaufmännischer. Die Einwohnerschaft erwartet eine vernünftige Organisation, die möglichst reibungslos funktioniert und wenig kostet. Sie kostet aber zunehmend mehr, weil angesichts der wachsenden Lustlosigkeit in der Bevölkerung, ein «Ämtli» anzunehmen, mehr Aufgaben an externe Dienstleister vergeben werden.
Ansichtssache
Verzicht auf Freiwilligkeit als tragenden Faktor der direkten Demokratie? Nüchtern betrachtet kann man die Gemeinde mit ihren verschiedenen Verantwortungskreisen tatsächlich als spezielle Spielart eines Unternehmens sehen, das Aufträge gegen Bezahlung vergibt. Das kostet zwar Steuergelder, fördert andererseits Kleinunternehmer. Hoffnungslos sieht die Sache nicht aus, Gossau ein gutes Beispiel: «Es ist immer wieder erfreulich, wie viele Freiwillige sich zur Verfügung stellen. Vor allem für Kurzeinsätze haben wir eine Adressliste von deutlich über 200 Personen, auf die wir zurückgreifen können». Es sei wohl so, dass das Wohnklima in Gossau gut ist und man sich gerne für die Allgemeinheit einsetzt. «Wir fördern die Freiwilligenarbeit seit vielen Jahren gezielt, wertschätzen sie auch sehr. Da die Kirche in Gossau stark ist, verhalten sich die Menschen auch gerne gemeinnützig», so Jörg Kündig. «Und wenn Menschen pensioniert werden, wollen manche noch etwas Nützliches tun – eben gerne für die Gemeinschaft.»
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