Humor als Widerstandsform
"Freiheit ist immer die Freiheit dessen, der über etwas Anderes lacht". Ein Artikel von Roland Rottenfußer über Witzverbote, Clownsarmeen und die anarchische Kraft des Lachens.
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Witzverbote sind an und für sich kein neues Phänomen. Schon der griechische Philosoph Platon (428-348 v. Chr.) outete sich als vehementer Witzgegner. In seinem Werk „Politeia“ schrieb er, das Lachen vertrüge sich nicht mit der Würde des Menschen. Im Mittelalter setzte eine Kooperation der Spaßbremsen aus Staat und Kirche zeitweise Lachverbote in Kraft. Der Kirchenvater Johannes Chrysostomos (40-120) behauptete etwa, Christus habe nie gelacht (was darauf schließen lässt, dass er den Religionsstifter lückenlos überwacht hat). Auch Augustinus und Bernhard von Clairvaux sollen Gegner des Lachens gewesen sein. Als (spärliche) Grundlage diente ihnen die folgende Bibelstelle: „Wehe euch, die ihr jetzt lacht, denn ihr werdet klagen und weinen.“
Bekannt ist aus dem Mittelalter aber auch die Institution des Hofnarren, die quasi eine Form staatlich erwünschten Humors repräsentiert. „Die Hofnarren als ‚Offizianten’ (in einem festen höfischen Amt) sollten ursprünglich ihren Herrn nicht belustigen, sondern ihn als ernste Figur ständig daran erinnern, dass auch er in Sünde fallen könne und darin sterben werde; sie waren also eine soziale Institution zulässiger Kritik“ (Wikipedia). Narren als Spaßvögel und witzige Unterhalter waren eher ein Phänomen des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit. Schillernde Gestalten wie der Narr aus Shakespeares „King Lear“, Till Eulenspiegel oder Simplizius Simplizissimus prägen das Bild des Narren bis heute. Der subversive Charakter des Humors, gestützt durch die so genannte „Narrenfreiheit“, trat schon damals zutage.
Heute ist das Terrain „zulässiger Kritik“ zwar sehr weit gesteckt, doch die Zahl der Politiker, die sich durch gelungene Kritik, Karikatur und Satire in ihrem Handeln tatsächlich beeinflussen lassen, umso enger begrenzt. Man lässt sich – wie beim bayerischen Starkbieranstich – von milder Satire berieseln, die damit verbundene Kritik jedoch an einem Regenmantel aus Selbstgerechtigkeit abfließen, um dann zur Tagesordnung überzugehen. Für die Bevölkerung dient populäre Satire als Ventil. Wenn „die da oben“ mal wieder tüchtig verarscht werden, verschafft dies den Lachenden ein eingebildetes Überlegenheitsgefühl, das ihre reale Machtlosigkeit wieder für einige Zeit erträglich macht.
Wenn man beobachtet, wie mühelos Satire und Kabarett in unserem System „repressiver Toleranz“ (Marcuse) zur Stabilisierung des politischen Systems eingesetzt werden, kann man die Aufregung mancher totalitärer Regime über den kritischen Witz kaum mehr verstehen. In Diktaturen aller Art waren Witze immer schon die verstohlene Gegenwehr des kleinen Mannes. Man denke z.B. an folgenden DDR-Witz, der durch den Oscar-gekrönten Film „Das Leben der Anderen“ weltbekannt wurde: „Honecker schaut am Morgen aus seiner Villa in Wandlitz und sieht die Sonne aufgehen. Er sagt: ‚Guten Morgen, liebe Sonne!’ Darauf die Sonne: ‚Guten Morgen, Genosse Generalsekretär und Vorsitzender des Staatsrats der Deutschen Demokratischen Republik!’ Am Abend geht Honecker noch mal an ein Fenster und verabschiedet sich: ‚Guten Abend, liebe Sonne!’ Darauf die Sonne: ‚Jetzt kannst du mich am Arsch lecken, jetzt bin ich im Westen!’“
Die Freude über den gelungenen Scherz sollte aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass kritische Karikaturen und Satiren in der DDR verboten waren, also durch Demütigung und Freiheitsverlust sanktioniert werden konnten. Der Kampf um eine sozialistische Zukunft könne niemals eine Quelle der Komik und der Lächerlichkeit sein, hieß es offiziell. Unnötig anzumerken, dass Witze über das NS-Regime während des Dritten Reichs lebensgefährlich waren. Zum Beispiel dieser: „Wer ist der größte Bauer? – Adolf Hitler. Er hat 65 Millionen Rindviecher und den größten Saustall.“
Der Blick auf die Geschichte zeigt: Der Prüfstein für die Meinungsfreiheit war und ist immer die Witzfreiheit. Wo man das Lachen einzusperren versucht, sperrt man auch Menschen ein. Umso bedenklicher ist der Vorstoß des ehemaligen bayerischen Ministerpräsidenten Stoiber, „schwere Gotteslästerung“ künftig schwerer und härter zu bestrafen.“ Es darf nicht alles mit Füßen getreten werden, was anderen heilig ist“, meinte Stoiber. Zum Beleg berief er sich auf den ausufernden Karikaturenstreit, der in muslimischen Ländern zu teilweise gewalttätigen Protesten führte. Der Schulterschluss zwischen muslimisch-fundamentalistischer und bayerisch-autoritaristischer Geistesenge beschwört allerdings den Alptraum eines Rückfalls in archaische Glaubensdiktaturen herauf. Die in der Verfassung fest geschriebene Meinungsfreiheit wäre dann de facto auf das für die religiöse und politische Obrigkeit nicht Provozierende begrenzt.
Es sicher eine Frage des Ermessens und des Feingefühls, inwieweit man auf Empfindlichkeiten Rücksicht nimmt, die nicht die eigenen sind. Ich persönlich finde Karikaturen, auf denen Mohammed mit einer Bombe dargestellt wird, weder witzig noch angesichts der herrschenden Islamophobie hilfreich. Es ist allerdings nicht Sache des Staates hier die Grenzen festzulegen oder gar Zensuren für die Qualität von Witze zu erteilen. Freiheit ist immer die Freiheit dessen, der über etwas Anderes lacht. Bis zu drei Jahren Gefängnis in schweren Fällen forderte Stoiber. Wer mit Kanonen auf Karikaturen schießt, zeigt, wes Geistes Kind er ist. Er offenbar eine im Nachkriegseuropa ausgestorben geglaubte Angst der Macht vor dem Lachen.
In Umberto Ecos Mittelalter-Roman „Der Name der Rose“ dient die Angst des Klerus vor der zersetzenden Kraft des Lachens als Aufhänger für eine rätselhafte Serie von Morden im Klostermilieu. Die (in Wahrheit verschollene) Komödientheorie des Aristoteles ist für den fanatischen Mönch Jorge die Ausgeburt des Satans, größte Gefahr für den geistlichen Frieden, der sich auf Angst gründet. „Das Lachen vertreibt dem Bauern für ein paar Momente die Angst. Doch das Gesetz verschafft sich Geltung mit Hilfe der Angst, deren wahrer Name Gottesfurcht ist. Und aus diesem Buch könnte leicht der luziferische Funke aufspringen, der die ganze Welt in einen neuen Brand steckt. (…) Und was wären wir sündigen Kreaturen denn ohne die Angst, diese vielleicht wohltätigste und gnädigste aller Gaben Gottes?“ Das probate Gegenmittel ist für Jorge heiliger Ernst. „Wenn das Lachen die Kurzweil des niederen Volkes ist, so muss die Freiheit des niederen Volkes in engen Grenzen gehalten, muss erniedrigt und eingeschüchtert werden durch Ernst.“
Auffälligerweise zeigen sich gerade diejenigen Kräfte, die am meisten komisches Potenzial besitzen und zu Satire und Witz geradezu herausfordern, am leichtesten „beleidigt“ über kritischen Spott. Der Versuch, Humor zu unterdrücken, scheint eine Art verzweifelter Abwehr gegen die unbewusst gefühlten grotesken Aspekte der eigenen Existenz zu sein. Ich denke hierbei nicht nur an Edmund Stoiber. Man denke nur an das zackige, formalistische Getue der Militärs, den selbstbeweihräuchernden Habitus vieler Gurus und Religionsführer, an brüllende, vor Hass geifernde Gestalten wie Hitler, Goebbels oder Mussolini. Kaum weniger komisch erscheinen die neuen Herrenmenschen des globalen Marktes mit Maßanzug und Krawatte, ihr aufgeblasenes Managementvokabular und ihr technokratische Ideologie der ökonomischen Effizienz. Gerade gegen solche Phänomene ist aber der Widerstand des Witzes notwendig, bevor sie die Macht erlangen, den Narren buchstäblich wegen ihres Närrischseins den Kopf abzuschlagen.
Oft wurde die Frage gestellt, ob man auch über Verbrecher größten „Formates“, z.B. über Adolf Hitler, lachen dürfe. Die Tatsache, dass das Lächerliche in solchen Fällen ins Grausige umschlagen kann, löst die Komik für mein Gefühl jedoch nicht völlig auf, sie schafft nur ein kreatives Spannungsfeld aus Lachen und Weinen, Entsetzen und der Lust am Subversiven. Komiker wie Charlie Chaplin, Roberto Benigni und Helge Schneider wussten das. Gerade das Lächerliche besitzt die Tendenz, sich selbst den Gläubigen als Fetisch aufzudrängen und von Nichtgläubigen Unterwerfung zu verlangen. Halb debile, militaristische Schwadronierer wie Kaiser Wilhelm II. konnten das freie Wort als „Majestätsbeleidigung“ und „Vaterlandsverrat“ ahnden. Fußballfans schaffen in Stadien eine gewaltträchtige Atmosphäre, in der die Beschmutzung des Fetisches Vereinsfahne nicht ratsam erscheint.
Die Bedeutung von Humor als Stilmittel des Widerstands ist in den letzen 20 Jahren rapide gewachsen. Noch bis vor kurzem galten missmutige Erbitterung und ein entsprechend sauertöpfischer Gesichtsausdruck als Grundausstattung jedes politisch Rebellierenden. Im Juni 2007, beim Gipfel in Heiligendamm, trat dagegen eine „Clowns-Armee“ auf, die sich selbst auch als „Spaß-Guerilla“ bezeichnete. Diese Guerilleros begaben sich mit Perücken, roten Nasen und Wasserspritzen vor die Frontlinien der hochgerüsteten Polizei – mit dem erklärten Ziel, zur Entspannung der beiderseits aufgeheizten Situation beizutragen. Vieles spricht dafür, dass die Rechnung aufgegangen ist. Die Staatsmacht fürchtete Pressebilder von Polizisten, die brutal auf Clowns eindreschen. „Rebel Clowning“ soll erstmals 2003 bei einem Besuch von US-Präsident Bush in Großbritannien als Widerstandsform zum Einsatz gekommen sein. Die Clowns parodierten damals u.a. die zackigen Aufmärsche und das steife Herumstehen der Polizisten.
Spätestens durch Naomi Kleins Buch „No Logo“ wurde auch die subversive Praxis des „Culture-Jammings“ bekannt. Damit ist zum Beispiel der Versuch gemeint, Anzeigen so zu übermalen und zu verfremden, dass die ursprüngliche Werbebotschaft in ihr Gegenteil verkehrt wird. Die Technik wurde auch als „Adbusting“ oder „Subvertising“ bezeichnet. Schreibt man z.B. das Wort „Kolonialismus“ mit den bekannten Schriftzügen von „Coca Cola“, oder übermalt man ein Werbeplakat von Marlboro mit dem Slogan „Cancer-Country“, so werden die aufwändigen Werbekampagnen der Großkonzerne mit ihren eigenen Waffen geschlagen. „Culture-Jamming lehnt die Auffassung rundweg ab, dass die einseitige Information des Marketings passiv akzeptiert werden muss, nur weil es sich in unseren öffentlichen Räume einkauft“, fasst die Chronistin des Widerstands, Naomi Klein, zusammen. Neu an dieser Strategie ist der Einsatz von Humor und Parodie, um auf ein eigentlich ernstes Thema hinzuweisen. Jeder Totalitarismus – also auch der Anspruch der Konzerne auf totale Präsenz ihrer Vermarktungsbotschaften im öffentlichen Raum – zeigt sich verwundbar, sobald man sein komisches Potenzial zutage fördert.
Humor verhält sich auch subversiv gegenüber dem herrschenden Leistungs- und Perfektionsdrang. Der Schauspiellehrer und professionelle Clown Johannes Galli sagte: „Da der unerträgliche Druck, immer das Richtige tun zu müssen, alles Lebendige abtötet, hat der Clown den Käfig des Hochmuts für immer verlassen. Für den Clown markiert das Scheitern nicht das Ende eines Spiels, sondern der Anfang eines neuen. Im Moment seiner tiefsten Niederlage, entdeckt er eine neue Möglichkeit zu einer noch tieferen Niederlage.“ So gesehen bedeutet Clown-Sein eine durchaus vernünftige Form heiterer Demut, die Befreiung von Zwang, effizient sein zu müssen.
Verglichen mit der Figur des Clowns, so scheint es, ist der immer Selbstbewusste, Trittsichere, den unsere Gesellschaft hofiert, nur zu feige, um sich selbst in seiner kreatürlichen, tragikomischen Unvollkommenheit anzuschauen. Aus dieser Angst heraus perfektioniert er eine Maske angestrengter Seriosität und Makellosigkeit. Gerade dadurch schleicht sich bei „seriösen“ Menschen die durch die Vordertür verjagte Komik oft durch die Hintertür wieder hinein. Schon Loriot sprach von der komischen Wirkung angemaßter Würde, die sich bei älteren, gebildeten und vornehm wirkenden Herren, die der Humorist trefflich darzustellen wusste, am besten entfaltet. Der spanische Maler Salvador Dali soll gesagt haben: „Es gibt so viele Narren, die gescheit sein wollen, warum sollte dann ein Gescheiter nicht auch Narr sein?“
Witzverbote sind an und für sich kein neues Phänomen. Schon der griechische Philosoph Platon (428-348 v. Chr.) outete sich als vehementer Witzgegner. In seinem Werk „Politeia“ schrieb er, das Lachen vertrüge sich nicht mit der Würde des Menschen. Im Mittelalter setzte eine Kooperation der Spaßbremsen aus Staat und Kirche zeitweise Lachverbote in Kraft. Der Kirchenvater Johannes Chrysostomos (40-120) behauptete etwa, Christus habe nie gelacht (was darauf schließen lässt, dass er den Religionsstifter lückenlos überwacht hat). Auch Augustinus und Bernhard von Clairvaux sollen Gegner des Lachens gewesen sein. Als (spärliche) Grundlage diente ihnen die folgende Bibelstelle: „Wehe euch, die ihr jetzt lacht, denn ihr werdet klagen und weinen.“
Bekannt ist aus dem Mittelalter aber auch die Institution des Hofnarren, die quasi eine Form staatlich erwünschten Humors repräsentiert. „Die Hofnarren als ‚Offizianten’ (in einem festen höfischen Amt) sollten ursprünglich ihren Herrn nicht belustigen, sondern ihn als ernste Figur ständig daran erinnern, dass auch er in Sünde fallen könne und darin sterben werde; sie waren also eine soziale Institution zulässiger Kritik“ (Wikipedia). Narren als Spaßvögel und witzige Unterhalter waren eher ein Phänomen des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit. Schillernde Gestalten wie der Narr aus Shakespeares „King Lear“, Till Eulenspiegel oder Simplizius Simplizissimus prägen das Bild des Narren bis heute. Der subversive Charakter des Humors, gestützt durch die so genannte „Narrenfreiheit“, trat schon damals zutage.
Heute ist das Terrain „zulässiger Kritik“ zwar sehr weit gesteckt, doch die Zahl der Politiker, die sich durch gelungene Kritik, Karikatur und Satire in ihrem Handeln tatsächlich beeinflussen lassen, umso enger begrenzt. Man lässt sich – wie beim bayerischen Starkbieranstich – von milder Satire berieseln, die damit verbundene Kritik jedoch an einem Regenmantel aus Selbstgerechtigkeit abfließen, um dann zur Tagesordnung überzugehen. Für die Bevölkerung dient populäre Satire als Ventil. Wenn „die da oben“ mal wieder tüchtig verarscht werden, verschafft dies den Lachenden ein eingebildetes Überlegenheitsgefühl, das ihre reale Machtlosigkeit wieder für einige Zeit erträglich macht.
Wenn man beobachtet, wie mühelos Satire und Kabarett in unserem System „repressiver Toleranz“ (Marcuse) zur Stabilisierung des politischen Systems eingesetzt werden, kann man die Aufregung mancher totalitärer Regime über den kritischen Witz kaum mehr verstehen. In Diktaturen aller Art waren Witze immer schon die verstohlene Gegenwehr des kleinen Mannes. Man denke z.B. an folgenden DDR-Witz, der durch den Oscar-gekrönten Film „Das Leben der Anderen“ weltbekannt wurde: „Honecker schaut am Morgen aus seiner Villa in Wandlitz und sieht die Sonne aufgehen. Er sagt: ‚Guten Morgen, liebe Sonne!’ Darauf die Sonne: ‚Guten Morgen, Genosse Generalsekretär und Vorsitzender des Staatsrats der Deutschen Demokratischen Republik!’ Am Abend geht Honecker noch mal an ein Fenster und verabschiedet sich: ‚Guten Abend, liebe Sonne!’ Darauf die Sonne: ‚Jetzt kannst du mich am Arsch lecken, jetzt bin ich im Westen!’“
Die Freude über den gelungenen Scherz sollte aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass kritische Karikaturen und Satiren in der DDR verboten waren, also durch Demütigung und Freiheitsverlust sanktioniert werden konnten. Der Kampf um eine sozialistische Zukunft könne niemals eine Quelle der Komik und der Lächerlichkeit sein, hieß es offiziell. Unnötig anzumerken, dass Witze über das NS-Regime während des Dritten Reichs lebensgefährlich waren. Zum Beispiel dieser: „Wer ist der größte Bauer? – Adolf Hitler. Er hat 65 Millionen Rindviecher und den größten Saustall.“
Der Blick auf die Geschichte zeigt: Der Prüfstein für die Meinungsfreiheit war und ist immer die Witzfreiheit. Wo man das Lachen einzusperren versucht, sperrt man auch Menschen ein. Umso bedenklicher ist der Vorstoß des ehemaligen bayerischen Ministerpräsidenten Stoiber, „schwere Gotteslästerung“ künftig schwerer und härter zu bestrafen.“ Es darf nicht alles mit Füßen getreten werden, was anderen heilig ist“, meinte Stoiber. Zum Beleg berief er sich auf den ausufernden Karikaturenstreit, der in muslimischen Ländern zu teilweise gewalttätigen Protesten führte. Der Schulterschluss zwischen muslimisch-fundamentalistischer und bayerisch-autoritaristischer Geistesenge beschwört allerdings den Alptraum eines Rückfalls in archaische Glaubensdiktaturen herauf. Die in der Verfassung fest geschriebene Meinungsfreiheit wäre dann de facto auf das für die religiöse und politische Obrigkeit nicht Provozierende begrenzt.
Es sicher eine Frage des Ermessens und des Feingefühls, inwieweit man auf Empfindlichkeiten Rücksicht nimmt, die nicht die eigenen sind. Ich persönlich finde Karikaturen, auf denen Mohammed mit einer Bombe dargestellt wird, weder witzig noch angesichts der herrschenden Islamophobie hilfreich. Es ist allerdings nicht Sache des Staates hier die Grenzen festzulegen oder gar Zensuren für die Qualität von Witze zu erteilen. Freiheit ist immer die Freiheit dessen, der über etwas Anderes lacht. Bis zu drei Jahren Gefängnis in schweren Fällen forderte Stoiber. Wer mit Kanonen auf Karikaturen schießt, zeigt, wes Geistes Kind er ist. Er offenbar eine im Nachkriegseuropa ausgestorben geglaubte Angst der Macht vor dem Lachen.
In Umberto Ecos Mittelalter-Roman „Der Name der Rose“ dient die Angst des Klerus vor der zersetzenden Kraft des Lachens als Aufhänger für eine rätselhafte Serie von Morden im Klostermilieu. Die (in Wahrheit verschollene) Komödientheorie des Aristoteles ist für den fanatischen Mönch Jorge die Ausgeburt des Satans, größte Gefahr für den geistlichen Frieden, der sich auf Angst gründet. „Das Lachen vertreibt dem Bauern für ein paar Momente die Angst. Doch das Gesetz verschafft sich Geltung mit Hilfe der Angst, deren wahrer Name Gottesfurcht ist. Und aus diesem Buch könnte leicht der luziferische Funke aufspringen, der die ganze Welt in einen neuen Brand steckt. (…) Und was wären wir sündigen Kreaturen denn ohne die Angst, diese vielleicht wohltätigste und gnädigste aller Gaben Gottes?“ Das probate Gegenmittel ist für Jorge heiliger Ernst. „Wenn das Lachen die Kurzweil des niederen Volkes ist, so muss die Freiheit des niederen Volkes in engen Grenzen gehalten, muss erniedrigt und eingeschüchtert werden durch Ernst.“
Auffälligerweise zeigen sich gerade diejenigen Kräfte, die am meisten komisches Potenzial besitzen und zu Satire und Witz geradezu herausfordern, am leichtesten „beleidigt“ über kritischen Spott. Der Versuch, Humor zu unterdrücken, scheint eine Art verzweifelter Abwehr gegen die unbewusst gefühlten grotesken Aspekte der eigenen Existenz zu sein. Ich denke hierbei nicht nur an Edmund Stoiber. Man denke nur an das zackige, formalistische Getue der Militärs, den selbstbeweihräuchernden Habitus vieler Gurus und Religionsführer, an brüllende, vor Hass geifernde Gestalten wie Hitler, Goebbels oder Mussolini. Kaum weniger komisch erscheinen die neuen Herrenmenschen des globalen Marktes mit Maßanzug und Krawatte, ihr aufgeblasenes Managementvokabular und ihr technokratische Ideologie der ökonomischen Effizienz. Gerade gegen solche Phänomene ist aber der Widerstand des Witzes notwendig, bevor sie die Macht erlangen, den Narren buchstäblich wegen ihres Närrischseins den Kopf abzuschlagen.
Oft wurde die Frage gestellt, ob man auch über Verbrecher größten „Formates“, z.B. über Adolf Hitler, lachen dürfe. Die Tatsache, dass das Lächerliche in solchen Fällen ins Grausige umschlagen kann, löst die Komik für mein Gefühl jedoch nicht völlig auf, sie schafft nur ein kreatives Spannungsfeld aus Lachen und Weinen, Entsetzen und der Lust am Subversiven. Komiker wie Charlie Chaplin, Roberto Benigni und Helge Schneider wussten das. Gerade das Lächerliche besitzt die Tendenz, sich selbst den Gläubigen als Fetisch aufzudrängen und von Nichtgläubigen Unterwerfung zu verlangen. Halb debile, militaristische Schwadronierer wie Kaiser Wilhelm II. konnten das freie Wort als „Majestätsbeleidigung“ und „Vaterlandsverrat“ ahnden. Fußballfans schaffen in Stadien eine gewaltträchtige Atmosphäre, in der die Beschmutzung des Fetisches Vereinsfahne nicht ratsam erscheint.
Die Bedeutung von Humor als Stilmittel des Widerstands ist in den letzen 20 Jahren rapide gewachsen. Noch bis vor kurzem galten missmutige Erbitterung und ein entsprechend sauertöpfischer Gesichtsausdruck als Grundausstattung jedes politisch Rebellierenden. Im Juni 2007, beim Gipfel in Heiligendamm, trat dagegen eine „Clowns-Armee“ auf, die sich selbst auch als „Spaß-Guerilla“ bezeichnete. Diese Guerilleros begaben sich mit Perücken, roten Nasen und Wasserspritzen vor die Frontlinien der hochgerüsteten Polizei – mit dem erklärten Ziel, zur Entspannung der beiderseits aufgeheizten Situation beizutragen. Vieles spricht dafür, dass die Rechnung aufgegangen ist. Die Staatsmacht fürchtete Pressebilder von Polizisten, die brutal auf Clowns eindreschen. „Rebel Clowning“ soll erstmals 2003 bei einem Besuch von US-Präsident Bush in Großbritannien als Widerstandsform zum Einsatz gekommen sein. Die Clowns parodierten damals u.a. die zackigen Aufmärsche und das steife Herumstehen der Polizisten.
Spätestens durch Naomi Kleins Buch „No Logo“ wurde auch die subversive Praxis des „Culture-Jammings“ bekannt. Damit ist zum Beispiel der Versuch gemeint, Anzeigen so zu übermalen und zu verfremden, dass die ursprüngliche Werbebotschaft in ihr Gegenteil verkehrt wird. Die Technik wurde auch als „Adbusting“ oder „Subvertising“ bezeichnet. Schreibt man z.B. das Wort „Kolonialismus“ mit den bekannten Schriftzügen von „Coca Cola“, oder übermalt man ein Werbeplakat von Marlboro mit dem Slogan „Cancer-Country“, so werden die aufwändigen Werbekampagnen der Großkonzerne mit ihren eigenen Waffen geschlagen. „Culture-Jamming lehnt die Auffassung rundweg ab, dass die einseitige Information des Marketings passiv akzeptiert werden muss, nur weil es sich in unseren öffentlichen Räume einkauft“, fasst die Chronistin des Widerstands, Naomi Klein, zusammen. Neu an dieser Strategie ist der Einsatz von Humor und Parodie, um auf ein eigentlich ernstes Thema hinzuweisen. Jeder Totalitarismus – also auch der Anspruch der Konzerne auf totale Präsenz ihrer Vermarktungsbotschaften im öffentlichen Raum – zeigt sich verwundbar, sobald man sein komisches Potenzial zutage fördert.
Humor verhält sich auch subversiv gegenüber dem herrschenden Leistungs- und Perfektionsdrang. Der Schauspiellehrer und professionelle Clown Johannes Galli sagte: „Da der unerträgliche Druck, immer das Richtige tun zu müssen, alles Lebendige abtötet, hat der Clown den Käfig des Hochmuts für immer verlassen. Für den Clown markiert das Scheitern nicht das Ende eines Spiels, sondern der Anfang eines neuen. Im Moment seiner tiefsten Niederlage, entdeckt er eine neue Möglichkeit zu einer noch tieferen Niederlage.“ So gesehen bedeutet Clown-Sein eine durchaus vernünftige Form heiterer Demut, die Befreiung von Zwang, effizient sein zu müssen.
Verglichen mit der Figur des Clowns, so scheint es, ist der immer Selbstbewusste, Trittsichere, den unsere Gesellschaft hofiert, nur zu feige, um sich selbst in seiner kreatürlichen, tragikomischen Unvollkommenheit anzuschauen. Aus dieser Angst heraus perfektioniert er eine Maske angestrengter Seriosität und Makellosigkeit. Gerade dadurch schleicht sich bei „seriösen“ Menschen die durch die Vordertür verjagte Komik oft durch die Hintertür wieder hinein. Schon Loriot sprach von der komischen Wirkung angemaßter Würde, die sich bei älteren, gebildeten und vornehm wirkenden Herren, die der Humorist trefflich darzustellen wusste, am besten entfaltet. Der spanische Maler Salvador Dali soll gesagt haben: „Es gibt so viele Narren, die gescheit sein wollen, warum sollte dann ein Gescheiter nicht auch Narr sein?“
06. März 2009
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