Der Meistermacher
Wie wird man ein spiritueller Meister? Alles eine Frage der Begabung? Keineswegs meint Demian Dröge, Chef von «LightBiz», einer Agentur für Guru-Casting und –Coaching. Satire von Roland Rottenfußer.
Noch immer glauben viele Menschen, dass Meisterschaft eine Naturbegabung sei, die quasi spontan vom Himmel fällt. Dabei beweisen prominente Fälle wie der Dalai Lama oder Krishnamurti, dass erfolgreiche spirituelle Lehrer von Experten gesucht, gefunden und für ihre Aufgabe systematisch präpariert worden sind. Recherchen ergaben: Guru-Karrieren werden in viel grösserem Ausmass als bisher bekannt von Marketing- und Imageberatern «gemacht». Aus nahe liegenden Gründen wird die Existenz solcher Guru-Casting-Agenten jedoch in der «Szene» gern verschwiegen. «Wüssten die Menschen davon, dann müsste die gesamte jüngere Geschichte der spirituellen Bewegungen neu geschrieben werden», heisst es in Insiderkreisen. Umso gespannter war wir in der Redaktion, dass einer von ihnen, Demian Dröge, nach langem Zögern endlich bereit war, sich unseren Fragen zu stellen.
? Herr Dröge, «Casting» ist ja eigentlich ein Begriff aus der Filmbranche. Wo liegen die Parallelen zwischen der Arbeit mit Gurus und mit Schauspielern?
Demian Dröge: Es gibt weit mehr Parallelen als Unterschiede. Wir arbeiten bei LightBiz nach dem Prinzip des «Type-Castings», das auch in der Film-Branche gang und gäbe ist, d.h. wir gehen von einer bestimmten Bedürfnislage der potentiellen Kunden aus, die wir durch Marktforschung ermitteln. Dann erstellen wir aufgrund dieser Erkenntnisse Profile möglicher «Typen» von Lehrern und suchen uns zuletzt Personen, die in die vorgegebenen Rollen passen. Unser Wissen über zeitlose Archetypen hilft uns sehr bei der Erarbeitung der betreffenden Rollenmuster.
? Können Sie Beispiele für solche Rollenmuster oder Archetypen geben?
Da ist z.B. auf Seiten der Frauen die allliebende Mutter, die hexenhafte, erotische Hohepriesterin oder die engelsgleiche Elbenprinzessin. Bei den Männern gibt es z.B. den rüpelhaften, herrischen Provokateur, der sich für Schüler mit masochistischer Veranlagung eignet. Populär ist derzeit wieder ein Klassiker: Der alte weise Magier mit starkem Bartwuchs. Diesen Typus verkörpern so beliebte Charaktere wie Gandalf, Dumbledore, Miraculix, Osho und der Heilige Nikolaus. Wenn es Ihnen gelingt, in eine solche archaischen Rollen zu schlüpfen, kommen Sie in den Genuss aller Energien, Vorurteile und Erwartungen, die in Jahrtausenden der Menschheitsgeschichte auf den Archetyp des Magiers projiziert worden ist.
? Welche Dienstleistungen sind gehören für Sie zum «Coaching»?
Wir unterscheiden Arbeit an der Performance und inhaltliche Arbeit. Zunächst suchen wir für unseren Klienten einen passenden Künstlernamen, meist zusammengesetzt aus Sanskrit-Wörtern. In manchen Fällen ist auch eine Änderung des bürgerlichen Vor- und Nachnamens nötig. Stellen Sie sich vor, einer heisst «Uwe Klöterjahn», dann ergibt «Brahmapadma U. Klöterjahn» immer noch keinen vorzeigbaren Künstlernamen für einen Guru. Wenn wir daraus aber «Brahmapadma Frank Hoffmann» machen, kommen wir der Sache schon näher.
Wir beraten unsere Kunden dann auch in Sachen Kostüme, Accessoires und Inszenierung. Alles muss typgerecht sein. Ein «Inder» sollte als musikalische Untermalung z.B. keine westliche klassische Musik wählen, sondern Deva Premals Mantrensammlung «Om Shanti Shanti Om». Er sollte bestimmte Räucherdüfte verwenden und ein Bild von Sri Poonjaji über seinem Stuhl hängen haben. Der «Schamane» nennt sich im Gegensatz dazu z.B. «Hans Silverelk Schulze», das Ambiente dekoriert mit Federn, indianischen Masken und Mustern. Ein buddhistischer Meister hiesse eher «Lama Hans Schulze», usw. Bei der Inszenierung müssen auch Grundregeln der Psychologie beachtet werden. Schon Chaplin hat in seinem Film «Der Grosse Diktator» deutlich gemacht, dass die Grösse und Höhe eines Stuhls das natürliche Charisma einer Autoritätsperson unterstreichen kann.
? Ich dachte, es geht um das Wesentliche, um die Abwesenheit des Egos, um die Auflösung der Scheinwelt, die die Hindus «Maya» nennen!?
Offiziell, ja. Durch eine solche Ideologie erzielen wir bei den Besuchern eine herabgesetzte Wachsamkeit, die es uns erleichtert, markttaugliche Elemente wie Marke, Corporate Identity, Präsentation etc. quasi durch die Hintertür wieder einzuschleusen. All diese Dinge setzen die wirksame Positionierung eines starken, unverwechselbaren Egos voraus. Niemand kauft uns einen Guru ab, der eine konturlose Manifestation des Allgemeinen und Absoluten ist.
? Und die inhaltliche Arbeit?
Zunächst geht es bei der inhaltlichen Arbeit darum, mit dem angehenden Guru zusammen eine neue eigene Meinung über spirituelle Fragen zu erarbeiten. Dabei sind vor allem auch Marktgesichtspunkte zu berücksichtigen. Es wird ein Set von ideologischen Modulen erarbeitet, die die Identität des Meisters mit sprachlichen Mitteln modellieren. «Du bist DAS», «du bist total im mind» u. ä. sind klassische, vielseitig einsetzbare Module. Dann wird eine flexible rhetorische Strategie erarbeitet, die die Schüler in die gewünschte Richtung manipuliert und zugleich die Guru-Bindung verstärkt.
? Wenn ich mich z.B. von Ihnen zum Guru casten lassen würde, welche rhetorische Strategie würden Sie mir empfehlen?
Es geht beim Beruf eines spirituellen Meisters darum, im Schüler eine tiefe Verunsicherung bezüglich seiner Selbst- und Weltwahrnehmung hervorzurufen und ihm im gleichen Atemzug die Hoffnung zu verkaufen, dass er diese Verunsicherung durch Sie in neue Klarheit werde verwandeln können. Ein spiritueller Lehrer verkauft nicht Erleuchtung, sondern die Hoffnung auf Erleuchtung. Nichts wäre geschäftsschädigender, als das sofortige, restlose «Erwachen» jedes Ihrer Schüler schon beim ersten Satsang, denn wer sollte denn Ihr nächstes oder übernächstes Satsang füllen, wenn alle bereits «vollendet» sind?
? Klingt ziemlich zynisch! Haben Sie nie Selbstzweifel bezüglich der Ethik Ihrer Vorgehensweise?
Die Legitimation unserer Arbeit ergibt sich aus dem Gesetz von Angebot und Nachfrage. Nachdem die Kirchen – und ihr Modell des spirituellen Lehrers, der Priester – an Attraktivität eingebüsst haben, ist ein Sinnvakuum entstanden. Die Neueren Gurus – z.B. indischer oder schamanischer Prägung – stossen nun in diese Marktlücke. Die Nachfrage ist mittlerweile so gross geworden, dass sie nicht mehr allein mit solchen Personen befriedigt werden kann, die tatsächlich für den Beruf des spirituellen Lehrers geeignet sind. Es ist daher gut, dass es unsere Agentur gibt. Allzu viele Menschen müssten sich sonst womöglich selbst eine Meinung über spirituelle Fragen bilden.
? Ist denn alles nur fauler Zauber?
Wenn Menschen zu einem Show-Zauberer wie David Copperfield gehen, wissen sie, dass sie ihren Eintritt für ein perfektes Theater der Illusionen bezahlen; gehen sie dagegen zu einem Satsang, steht dahinter der Wunsch nach «Wahrheit». Die Leute bezahlen aber streng genommen nicht für die Wahrheit, sondern für den Glauben daran, in einem bestimmten Menschen die Wahrheit verkörpert zu sehen. Die Sehnsucht nach Wahrhaftigkeit und Authentizität ist in jüngster Zeit noch grösser geworden, weil das Vertrauen in Politiker, Kirchen, Unternehmer, in die Sicherheit von Aktien und Renten, ja in beinahe alle Bereiche des Lebens, massiv geschwunden ist. Diese steigende Nachfrage befriedigen wir, indem wir den Menschen Authentizitäts-Darsteller vermitteln. Daran ist nichts Verwerfliches, solange die Illusion aufrechterhalten werden kann. Nicht die Unwahrheit schmerzt, sondern deren Aufdeckung und das damit verbundene Gefühl, Vertrauen fehlinvestiert zu haben. Durch unsere fundierte und professionelle Guru-Ausbildung versuchen wir aber das Risiko, dass es zu Enttäuschungen kommt, denkbar gering zu halten.
? Aber einmal muss es doch auffliegen, wenn ein Lehrer nicht wirklich Substanz hat!
Nicht unbedingt. Sehen Sie es doch mal so: Ein Lehrer ist jemand, der sich selbst zu einem solchen erklärt hat und mindestens zwei, drei Leute gefunden hat, die ihm dies tatsächlich glauben. Entgegen der hartnäckigen Behauptung vieler spiritueller Lehrer gibt es eben gerade nicht «Die Wahrheit», sondern nur intersubjektive Übereinkunft darüber, was in einer Kultur für wahr gehalten wird. Lehrerschaft setzt keine absolute Autorität voraus, sondern nur ein «Gefälle», einen tatsächlichen oder eingebildeten Vorsprung des Lehrers gegenüber seinen Schülern. Bereits ein Siebklässler kann einem Fünftklässler Nachhilfe in Latein geben – und diese Aufgabe durchaus zur Zufriedenheit beider erfüllen. Verstehen Sie, was ich meine? Es gibt zwei Wege, um sich herausragend zu fühlen: Entweder du versuchst tatsächlich «gross» zu werden, oder du umgibst dich ausschliesslich mit mit «kleinen» (d.h. mit leichtgläubigen, unselbständigen, psychisch labilen) Menschen. Die meisten Lehrer haben sich für den zweiten Weg entschieden.
? Dann wäre es also Aufgabe der Lehrer, sicher zu stellen, dass nicht zu viele kritische, selbstsichere Personen in ihren Kreis eintreten, damit stets das notwendige «Gefälle» gewahrt bleibt!?
Genau das ist ein wesentlicher Bestandteil unserer Arbeit und unseres Ausbildungsprogramms: Wie schaffe ich es, so zu selektieren, dass nur die «Richtigen» als Schüler bei mir hängen bleiben und dass ich nicht zu stark mit Menschen konfrontiert werde, die mit mir auf gleicher Augenhöhe kommunizieren könnten (oder mir womöglich überlegen sind)? Es gibt verschiedene bewährte Wege, um dies zu erreichen: Sie können z.B. völlig hanebüchernen Behauptungen aufzustellen, vor denen vernünftige Menschen sogleich Reissaus nehmen – ihre Worte seien ihnen von ausserirdischen Geistwesen eingegeben worden, Sie seien eine Reinkarnation von Ramana Maharshi o. Ä. Eine andere Möglichkeit besteht darin, in Ihrem Jüngerkreis sinnlose oder demütigende Reglements einzuführen. Überhaupt werden Sie mit der Forderung nach bedingungslosem Gehorsam nur einen ganz bestimmten Menschentypus anziehen, der in seinem Selbstvertrauen gebrochen ist und sich nach strammer Führung sehnt – Menschen mit einer gewissen Grundbereitschaft, ins Kindliche zu regredieren.
? Aber gibt es bei all Ihrem Zynismus nicht doch Menschen, die Sie als echte Meister bezeichnen würden?
Doch, sicher, es gibt Erleuchtung, es gibt wirkliche Meisterschaft – jedenfalls mit den Einschränkungen, die durch die Verkörperung gegeben sind. Aber Sie können davon ausgehen, dass die «Echten» nicht unbedingt unter den heute prominenten Meistern zu finden sind. Ich vermute eher, dass sie unerkannt bleiben wollen und einen völlig gewöhnlichen Beruf ausüben: als Mütter und Väter, als Komponisten und Schriftsteller, als Landschaftsgärtner und Psychotherapeuten oder, noch banaler, als Sachbearbeiter in einer Behörde. Die «Erleuchtung» manifestiert sich doch eher darin, wie man etwas tut als darin, was man tut.
? Wie kommen Sie zu dieser Annahme?
Können Sie sich vorstellen, dass sich ein wirklich Erwachter hinstellt und sagt: «Kuckt alle her, ich bin egolos, und ihr nicht!»? Ein wirklicher Lehrer weiss, dass er immer auch Schüler ist. Im Talmud heisst es: «Weise ist, wer von jedem lernt.» Wie soll man folglich jemanden nennen, der glaubt, jedermann belehren zu müssen?
? Spiritueller Meister versuchen sich ja oft mit einer Aura der Reinheit und Makellosigkeit zu umgeben. Wie stellen Sie sicher, dass die menschlichen Schattenseiten Ihrer Klienten nicht irgendwann zur Vorschein kommen?
Ach, um ihre Schattenseiten brauchen sich unsere Klienten nicht zu kümmern. Bist du erst einmal Meister geworden, tragen andere diesen Schatten für dich.
? Wie soll ich das verstehen?
Sie können z.B. als Guru über den Niederungen materiellen Gewinnstrebens schweben, weil Ihr Impressario für Sie knallhart die Raummiete drückt, Eintrittspreise festlegt, um Prozente für Buchhonorare feilscht usw. Sie können über absolute Freiheit des Geistes referieren, während einer Ihrer Anhänger rings um Sie ein System von Regeln, Verboten und Gedankenkontrolle errichtet. Sie können verkünden, dass alle Wesen eins sind und es nur Eine Wahrheit gibt; ihre Jünger werden in Ihrem Namen mit sanfter Penetranz die Zeitschriftenredaktionen bearbeiten, doch unbedingt für Sie und keinen anderen Vertreter der Einen Wahrheit PR zu machen. Sie können sich bescheiden geben und betonen, dass Sie nur ein Mensch sind; Ihre Anhänger werden aus Ihnen dennoch in ihrer Fantasie die Göttliche Mutter, den Living Buddha oder den edlen Apachenhäuptling Winnetou machen.
Je mehr Sie die Fähigkeit haben, sich als blütenweissen Saubermann hinzustellen und dieses Selbstbild auch verinnerlichen, desto mehr wird Ihr nicht gelebter Schatten ihre Umgebung vergiften und verdunkeln. Der daraus entstehende Hell-Dunkel-Kontrast wird Sie um so stärker leuchten lassen und in Ihren Schülern das Gefühl von Minderwertigkeit verstärken. Und Menschen, die sich minderwertig fühlen, dürsten noch stärker danach, dass das Licht ihres Meisters auf sie abstrahlt.
? Aber kostet es nicht eine beinahe übermenschliche Konzentration, die Rolle des Saubermanns aufrecht zu erhalten?
Ab einem gewissen Punkt nicht mehr. Es geht bei unserer PR-Arbeit zunächst einmal darum, bei einem begrenzten Personenkreis die Überzeugung zu verwurzeln, dass Sie ein wahrer Meister sind. Ist dies erst einmal gelungen, können Sie sich erlauben, fast alles zu sagen, was Ihnen einfällt. Immer wieder werden spirituellen Lehrern z.B. solche Fragen gestellt:
«Meister, hat man als Erwachter eigentlich noch Liebeskummer?»
«Klar!»
«Empfindet du noch Eifersucht? Wirst du manchmal wütend?»
«Aber sicher doch!»
«Isst du noch Fleisch? Trinkst du Alkohol?»
«Am liebsten Nürnberger Bratwürste mit dunklem Weissbier.»
Ihre Schüler werden dann schwärmerisch zu Ihnen aufblicken und denken: «Wie menschlich und natürlich er doch geblieben ist! Erstaunlich bei einem solch grossen Meister!» Sie werden glauben, dass Sie aus den Regionen reinen Seins freiwillig wieder hinabgestiegen sind in die Niederungen des Menschlichen – einzig aus Mitgefühl!
? Aber was ist, wenn ich ein Anfänger bin und mich als Meister erst noch etablieren muss?
Für Anfänger stellen wir unseren JVS zur Verfügung.
? Den JVS?
Jünger-Verleih-Service. Wir vermieten Leute, die Sie bei Ihren Veranstaltungen öffentlich anhimmeln, Ihnen Wassergläser und Blumen hinstellen, Ihren Stuhl zurechtrücken, unerfahrene Besucher auf unduldsame Weise auf Benimmregeln hinzuweisen und in den Pausen schwärmerisch von Ihrer wundervollen Energie erzählen. Viele der Leute, die man auf solchen Veranstaltungen antrifft, sind von uns ausgebildete Profi-Jünger, in ihrer Funktion vergleichbar mit Claqueuren.
? Es fällt mir schwer, das alles zu glauben!
Haben Sie eine andere Erklärung dafür, welches Ausmass an Verehrung gewissen Lehrern entgegengebracht wird?
? Also ich weiss nicht, das ganze System behagt mir nicht!
Zeigen Sie nicht mit dem Finger auf uns. Sie als spirituelles Magazin profitieren schliesslich mit vom System. Zwischen Zeitschriften und ihren «Stars» herrscht seit jeher eine Symbiose zum beiderseitigen Vorteil. Ich kenne mich in dem Metier aus. Schliesslich habe ich, bevor ich auf die Guru-Schiene übergewechselt bin, Boygroups gecastet. Zeitschriften befriedigen das Bedürfnis nach Information über Persönlichkeiten, von denen ohne diese Zeitschriften niemand auch nur geahnt hätte, dass sie wichtig sind.
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