Was können wir schon tun?
Was kann ich ohnmächtige kleine Person denn schon tun, inmitten dieses gigantischen Geschehens der Weltpolitik, in dem selbst eine Demo von Tausenden verschluckt wird im Getöse des noch Gewaltigeren. Als Betroffener und Mensch möchte ich ein paar Antworten auf diese Frage geben. Die Samstagskolumne.
Vor ein paar Tagen erreichte mich zum Frühstück der Link zu dem 11-Minuten-Film von arte über die Zerstörung, welche die israelische Armee in Gaza angerichtet hat. Er zeigt Satellitenbilder von Gaza vor dem Krieg und vergleicht sie mit dem, wie es jetzt dort aussieht. Dann befragt er einen dort lebenden Journalisten, wie es ist, einer von zwei Millionen Binnenflüchtlingen zu sein. Sauberes Trinkwasser ist fast nicht zu bekommen, und für ein von Israel eingeführtes Kilo Kartoffeln muss er 70 € zahlen.
Vor der Invasion von Israel war Gaza bei Obst und Gemüse Selbstversorger – wow, erstaunlich, auf einem so kleinen und von Israel feindlich umzingelten Gelände. Jetzt Geld für Nahrungsmittel aufzubringen, ist für die in Gaza heute noch Lebenden fast unmöglich. Die Wohnungen sind zerstört, die Krankenhäuser, die gesamte Infrastruktur, und humanitäre Hilfe wird kaum hineingelassen, weil Israel überall versteckte Hamas-Kämpfer vermutet. Flüchten ist unmöglich, Gaza ist ein Konzentrationslager, das nun kaum noch intakte Bauten aufweist, und seine Insassen werden ausgehungert.
Zwei Tage später kam die Nachricht vom Tod des Hamas-Führers Sinwar, was Israel anscheinend zufällig gelungen ist. Er gilt als Architekt des Massakers vom 7. Oktober, an dem fast 1 200 israelische Zivilisten ermordet wurden, für das sich Israel mit der Zerstörung von Gaza rächte, bei der die Tötung von mehr als 40 000 Zivilisten in Kauf genommen wurde. Haben sie nun endlich «den Bösen», für den so viele Unschuldige sterben mussten? Die Tötung von Sinwar wird kaum zum Frieden führen. Wie ja auch die Hinrichtung von Osama bin Laden nicht zum Frieden führte, sondern die Konflikte in der Region weiter eskalieren liess.
Der Lebensraum Gaza wurde mit Waffen zerstört, die hauptsächlich aus den USA stammen. In zweiter Linie stammen sie aus Deutschland, weil dieses Land glaubt, aufgrund der Schuld am Holocaust das heutige Israel bedingungslos unterstützen zu müssen, auch dann, wenn dieses Land dabei ist, den einst an den europäischen Juden verübten Holocaust als Genozid gegenüber den Palästinensern fortzusetzen, im Gefühl, sich gegen diese verteidigen zu müssen.
Ich nehme die Bilder und Worte aus diesem Film als Beispiel für politische Nachrichten, wie sie dieser Tage in mehr als üblichem Mass unsere Mailboxen und Handys erreichen, auch die TV-Bildschirme unserer Wohnzimmer und die ersten Seiten unserer Zeitungen und Zeitschriften. Wer nicht emotional abgebrüht und psychosomatisch verpanzert ist, reagiert mit Entsetzen oder Erschütterung. Und dann mit der Frage: Wie soll das alles nur weitergehen? Und ich selbst, was kann ich tun?
Inmitten des Wunschs, sich vor solchen Nachrichten wegzuducken, um sich «das nicht mehr anzutun», bleibt die quälende Frage: Was kann ich ohnmächtige kleine Person denn schon tun, inmitten dieses gigantischen Geschehens der Weltpolitik, in dem selbst eine Demo von Tausenden verschluckt wird im Getöse des noch Gewaltigeren. Aufrüstung, Waffenlieferungen, der Welthandel in echten oder eingebildeten Wachstumsnöten. All die politischen Verstrickungen und ineinander greifenden Räderwerke von Menschen, Institutionen und Algorithmen, die das System erhalten, dessen Zusammenbruch auch uns selbst vermutlich in Armut, Not und Bürgerkriege stürzen würde.
Als von alledem auch selbst Betroffener, möchte ich ein paar Antworten darauf geben.
1. Ich stelle mich dem Gefühl der Ohnmacht und Verzweiflung. Ich realisiere, dass es keinem helfen wird, wenn ich dabei wild um mich schlage. Mich wegzuducken vor den Infos, ist für mich keine Option, erst recht nicht als (u.a.) politischer Journalist. Dem aber muss ich mich stellen: Ohnmacht, Trauer, Wut, Verzweiflung. Die Methode von Joanna Macy The Work that Reconnects, die sie in ihrem Buch Aktive Hope beschreibt, bietet eine gute Anleitung, aus solchen Gefühlen wieder aufzutauchen und sich neu auszurichten.
2. Nachdem ich mir alle diese Gefühle eingestanden habe, schaue ich genauer hin: Was ist mein Wirkungsradius, meine Reichweite? Vielleicht ist die so klein doch gar nicht. Jeder von uns hat einen Kreis von Freunden und Bekannten um sich, vielleicht eine Familie, eine WG, Nachbarn. Wir wirken beruflich und privat. Wir sind nicht allein, sei es auch nur beim Einkaufen und der Kommunikation mit den Ämtern. Einfach schweigend mitlaufen, um nicht anzuecken? Die daraus folgenden Schuldgefühle und die Scham wegen Unterlassung möchte ich nicht haben. Die Alpträume auch nicht und ebenso wenig die psychosomatischen Folgen der Unterdrückung meiner Gefühle.
3. Es tut gut, sich Alternativen aufzubauen. Alternativen zum «Weiter-so» und blinden Mitlaufen. Ein Freundeskreis, in dem man sich die Gefühle und Gedanken gegenseitig wahrhaftig mitteilen kann. Ein Garten mit ein bisschen Gemüse und Blumen als kleiner Erholungsraum und einem Minimum an Selbstversorgung. Oder grösser: Teilnahme an einer Solawi. Gemeinschaftliches Wohnen reduziert die Kosten und hilft, an der politischen Situation nicht zu verzweifeln.
4. Wir können Gruppen bilden. Vielleicht beim Nahrungsmittel retten, im Repaircafé und beim gemeinsamen Nutzen von Fahrzeugen und anderen Geräten. Das reduziert die Kostenseite und mindert so den Druck aufs Geldverdienen, zumal in einem System, das man nicht durch Mitmachen auch noch unterstützen will. Zudem können daraus politische Gruppen entstehen, die an kritischen Stellen Widerstand leisten gegen die Megamaschine und gemeinsam etwas Positives aufbauen.
5. All das kann den Kurs der Titanic allenfalls minimal verändern: Den Kollaps der Zivilisation, wie wir sie kennen, wird es nicht aufhalten, sagt mein realistischer Verstand. Mit alledem sind wir jedoch immerhin nicht mehr Teil des Problems, sondern Teil einer Lösung. Und es können mehr werden, die es machen wie wir.
6. Das Weltwirtschaftssystem muss sich ändern. Die UNO in ihrer aktuellen Form ist eine Verhöhnung der Werte ihrer Gründer. Wir brauchen eine andere Global Governance als die jetzige, die ein Regieren der Märkte ist. Und was das Recht anbelangt, regiert aktuell das Recht des Stärkeren: Wer das schlagkräftigste Militär hat, darf ungestraft lügen und die Grenzen der Nationen und Einflusssphären neu ziehen, die eh schon nicht gut gezogen sind, siehe Kurdistan, Afrika und all die ehemaligen Kolonien. Und wer die besten Lobbyisten und PR-Maschinen bezahlen kann, bestimmt im Bereich von Gesundheit, Medien und Kultur, was Sache ist. Unser System ist eine Plutokratie, keine Demokratie.
7. Wir brauchen Utopien! Dystopien haben wir schon genug. So wie Rob Hopkins, der Gründer der Transition-Town-Bewegung es in seinem Buch From What is to what if (deutsch: Stell dir vor... Mit Mut und Fantasie die Welt verändern) beschreibt: Was uns am meisten fehlt, ist die Fantasie.
Eine andere Welt, eine bessere, das kannst du dir nicht vorstellen? Dann fang damit an, sie dir vorzustellen! Rob Hopkins hat damit ein weltweite Bewegung initiiert. Damit hat er seinen Wirkungsradius über seinen engsten Freundeskreis hinaus erhöht. Das hilft seiner eigenen Gesundheit, weil es ihn optimistischer macht, und es hilft der Welt, weil es hoffen lässt und immerhin im Kleinen vieles verbessert. Was Hopkins kann, das können wir auch. Du und ich und alle anderen Leser dieses Textes, wir können es – yes, we can. Am besten, wir fangen schon heute damit an.
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Und was wir noch tun können
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