Getrennt und doch gemeinsam

Nachbarschaft mal anders beim Altöttinger Mieter Konvent. (Von Christine Höfig)

Altötting in Oberbayern ist bekannt für seine Marienkapelle. Jedes Jahr pilgern Gläubige zu der angeblichen Wunderstätte, beten, lassen Votivtafeln dort. Bekannt ist Altötting auch dafür, dass Papst Benedikt XVI. im benachbarten Marktl geboren ist. Ein erzkatholischer, konservativer Ort, sollte man meinen. Dennoch gibt es dort ein Wohnprojekt, das alles andere als konservativ ist: der Altöttinger Mieter Konvent (AMK).



Eine riesige Baustelle, so erscheint der Häuserblock auf den ersten Blick. Viel Bauschutt liegt im grossen Garten. Der Häuserblock in der Konventstrasse soll mehreren Generationen einen Lebensraum bieten, vor allem Menschen, die nach alternativen und kreativen Lebensformen suchen. Man will gemeinschaftlich zusammenleben – und doch getrennt, jeder in seiner eigenen Wohnung. Die Idee zu diesem ungewöhnlichen Wohnprojekt ist David Pietzka und seinen Freunden schon 2007 gekommen. Als er damals hier einzog, waren gerade mehrere Wohnungen frei, die dann reihum bezogen wurden. Als schliesslich immer mehr Wohnungen von seinen Freunden bewohnt wurden, beschlossen sie kurzerhand, den Häuserblock zu kaufen und zu sanieren.



Dann hörten sie vom Mietshäuser Syndikat, einem Zusammenschluss ähnlicher Wohnprojekte. «Das gibt einem natürlich eine gewisse Sicherheit, zu wissen: Da gibt es 50 Projekte, bei denen hat’s auch geklappt», erzählt David. Beim Mietshäuser Syndikat handelt es sich um einen Verbund von 51 Hausprojekten und 18 Projektinitiativen (noch ohne Haus). Die Häuser gehören den Bewohnern, die zusammen mit dem Syndikat eine GmbH bilden. Welche Idee steckt dahinter? Was die politische und soziale Zielsetzung betrifft, gibt es keine Vorgaben. Wo also liegt die Gemeinsamkeit zwischen den unterschiedlichen Hausprojekten?



Zum einen haben alle den Wunsch, in einer Gruppe oder Gemeinschaft zusammenzuleben. Die Bewohner suchen einen selbstbestimmten Wohnraum, oft auch in Kombination mit öffentlichen Räumen für Veranstaltungen und Projekte. Und sie wollen nicht abhängig sein von einem Vermieter. Als Miteigentümer können sie sicher gehen, dass nicht irgendwann die Räumung oder der Abriss droht. Stattdessen ist Eigenverantwortung gefragt: Änderungen müssen im Hausverein besprochen und beschlossen werden.



Das Mietshäuser Syndikat ist ein Solidarverbund. Das bedeutet, jedes Projekt zahlt einen Beitrag an die GmbH. Mit diesem Geld werden z.B. durch Direktkredite neue Projekte finanziert. Die Häuser werden dem Immobilienmarkt für immer entzogen, sie stehen nie mehr als Spekulationsobjekte zur Verfügung. Alle Projekte haben ausserdem einen gemeinsamen, antikapitalistischen Nenner. Die Vertragsgestaltung macht eine Profitausschüttung unmöglich. Die Projekte werden teilweise durch Bankkredite finanziert, zum Beispiel über die ethisch orientierte GLS-Bank. Zum Teil auch durch Eigenkapital, das die Vereinsmitglieder oder Unterstützer (zinsgünstig) zur Verfügung stellen. Insofern sind die Projekte auch eine sinnvolle, soziale und ökologische Geldanlage.



In dem Häuserblock der AMK wohnen derzeit 18 Menschen in 12 Wohnungen. Der Jüngste ist 21, die Älteste schon über 80. Die meisten sind zwar zwischen 20 und 30, aber auch die Senioren – eine allein stehende Dame und ein Paar – fühlen sich sehr wohl. «Der ältere Herr hat eine Beschäftigung als Baustellenchef», erklärt David. «Früher war er Hausmeister. Er kennt sich also gut aus, hat immer einen Rat parat.» Auch die allein stehende Frau sei froh über die Gesellschaft, und durch die Baustelle gäbe es immer etwas zu sehen. Den Leuten des AMK ist es wichtig, die älteren Leute mit zu integrieren. Man will eine Brücke schaffen zwischen Jung und Alt. Dabei stört es die Senioren anscheinend auch nicht, dass sich die Jungen hauptsächlich aus alternativen Musikszenen wie dem Punk rekrutieren.



Die Gebäude in der Konventstrasse wurden 1952 von einer lokalen Maschinenfabrik gebaut. Sie dienten lange Jahre als Werkswohnungen für die Arbeiter. Die Häuser sind um einen grossen Garten herum angeordnet – ideal für Grill- und Gartenfeste im Sommer. Seit den 50er-Jahren waren keine Modernisierungsmassnahmen durchgeführt worden. Der damalige Wohnstandard bedeutete: kein fliessendes Warmwasser, Einzelöfen, mit Holz, Öl oder Strom betrieben. Das musste also alles erneuert werden. Dabei achten die Leute vom AMK darauf, die Anlage möglichst autark und ökologisch zu gestalten. Die Heizung wurde letzten Herbst durch eine moderne Hackschnitzelanlage ersetzt, eine Solaranlage wurde gebaut. Momentan sind die Bewohner mit der Dämmung beschäftigt.



Ausserdem werden die Dachböden ausgebaut, um Platz für vier weitere Wohnungen zu schaffen. Einer davon soll zum Gemeinschaftsraum werden: für Vereinstreffen oder um gemeinsam Fernsehen zu schauen. Eine Werkstatt für die handwerklich Begabten und einen Proberaum für die Musiker gibt es schon. Bis Juni 2011 soll ein Grossteil der Renovierungen fertig sein. Abgesehen von schwierigen Arbeiten wie der Elektroinstallation machen die Bewohner tatsächlich alles selbst. Die meisten haben bisher um die 400 Stunden in den Bau gesteckt, manche auch 600. Da bleibt nicht mehr viel Zeit für Hobbys: «Wenn man von der Arbeit heimgeht, dann ist erst mal Baustelle angesagt», meint David. «Aber irgendwann ist das auch vorbei», fügt sein Mitstreiter Stefan hinzu. Und es macht auch Spass, sagen beide. Vor allem im Sommer. Man arbeitet bei schönem Wetter draussen, mit teilweise 15 Leuten auf der Baustelle – das erzeugt ein Gemeinschaftsgefühl.



Gemeinschaft wird gross geschrieben beim AMK. Anders als in der klassischen WG hat allerdings jeder die Möglichkeit, sich in seine eigene Bude zurückzuziehen. So versucht man, die Balance zu halten zwischen Individualität und dem Wunsch nach Gesellschaft. Teil des Gemeinschaftsleben ist es, dass jeder einen Job übernehmen muss: Schriftführer im Verein, Müllentsorgung oder Schnee räumen zum Beispiel. Man trifft sich alle zwei Wochen zum Vereinstreffen. Dort gibt es auch die Möglichkeit, Konflikte anzusprechen. Die lassen sich aber oft ganz leicht klären, wenn alle die Probleme offen aussprechen, meint David. Natürlich seien auch alle daran interessiert, Lösungen zu finden, anstatt «hin zu schmeissen». Schliesslich arbeitet man gemeinsam täglich am selben ambitionierten Projekt.



Konflikte gab es anfangs eher mit der Nachbarschaft, mit Leuten, die dachten, dass hier «ein paar Wilde» eingezogen seien. «Das hat sich stark gebessert seit unserem Kauffest», erklärt Stefan. Bei einem Tag der offenen Tür mit Grillfest wurde das Wohnprojekt vorgestellt. Jeder in Altötting konnte sich umfassend informieren. Bis alles inklusive Garten fertig ist, wird es noch vier bis fünf Jahre dauern, schätzen David und Stefan. Bis dahin, so hofft man, wird auch die Gemeinschaft noch fester zusammenwachsen. Der Traum von einer autarken, ökologischen Wohnanlage für Jung und Alt kann sich dann erfüllen.



Weitere Info: www.syndikat.org




08. Juni 2011
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