Tour d’Art de Suisse

Abseits der Blockbusters. In Zürich lockt die Chagall-Ausstellung Zehntausende an. In Berns historischem Museum sind die chinesischen Terrakotta-Krieger ab Mitte März der Renner. In der Fondation Beyeler feiert Max Ernst ab Ende Mai Erfolge. Gerne vergessen geht dabei, welch lebendige Ausstellungen kleinere Kunstmuseen zustande kriegen – oft mit minimalen Budgets, dafür umso mehr mit Erfindergeist und Verve. Eine Schweizer Kunstreise durch die sogenannte Provinz.

Von oben sieht man besser. Dass Distanz Klarheit schafft, diese Erfahrung machte vor hundert Jahren der Flugpionier Oskar Bider bei seiner Erstüberquerung der Alpen in einem Aeroplan. Das Museum im Bellpark Kriens widmet ihm ab Mitte Mai eine Ausstellung. Mit Biders Flug veränderte sich die Auffassung des Alpenraums für immer, heute überqueren wir sie zur Musik von «Taxi» oder Stephan Eicher im Swiss-Fauteuil: «Ich nime no en Campari Soda / Wiit unter mer liit s’Wolkemeer / De Väntilator summet liislig / Es isch als gäbs mich nüme mee». Oskar Bider kämpfte dagegen noch mit der Höhe des Jungfraujochs und wusste: mache ich einen Fehler, wird es mich tatsächlich nicht mehr geben.

Beim Rückflug landete Bider zuerst in Liestal. Dort vereint die Kunsthalle Palazzo ab 11. Mai eine spannende Auswahl von Schweizer Fotografie zum Thema «Natur? Schweizer Fotografie 1870 bis heute». Auch das Bündner Kunstmuseum interessiert sich für unser Verhältnis zur Natur. Noch bis zum 12. Mai läuft dort die Ausstellung «Ansichtssache». 150 Jahre Architekturfotografie in Graubünden». Der Tourismus brachte die Fotografie mit sich und veränderte gleichzeitig die Bündner Landschaft nachhaltig: in Zeiten fragiler Raumplanung eine geradezu landschaftspolitische Ausstellung!
Die Alpen, diesmal die Glarner Berge, spielen auch  in der noch bis zum 5. Mai laufenden Ausstellung «Rund um 47° N  9° O über 800 M.ü.M». im Kunsthaus Glarus die Hauptrolle. Die Fotos des Berner Künstlers Balthasar Burkhard aus dem Klöntal sind nur ein Beispiel für die Inspirationskraft dieser Landschaft. Inspirieren von den Gipfeln über dem «Zigerschlitz» liessen sich viele aus- und inländische Schwergewichte der zeitgenössischen Kunst: von den Amerikanern Carl Andre über Richard Long bis zu den Schweizern Roman Signer oder Fischli/Weiss.

Für Kunst wie auch Kunstfans ein markanter Ort ist das Kirchnermuseum in Davos. Bis 21. Juni zeigt das Haus zum 20-jährigen Bestehen nicht nur Werke von Ernst Ludwig Kirchner, sondern zum Beispiel auch von Malerkollegen der Brücke-Bewegung, etwa von Erich Heckel oder Karl Schmidt-Rottluff.
Weiter das Rheintal hinunter und hinein nach St.Gallen: Dort zeigt das Kunstmuseum vom 16. März bis 18. August die betörenden Lichtskulpturen des US-amerikanischen Lichtmagiers Dan Flavin. Gehen Sie in St.Gallen doch auch gleich noch ins Textilmuseum, dort wird ab Mitte April bis Ende Juni die 5. Europäische Quilt-Triennale stattfinden, mit 43 aktuellen Quilts aus 13 Nationen – sehenswert, auch wenn Quilts momentan nicht en vogue sein mögen.

Immer wieder mit Kleinod-Ausstellungen wartet das Museum Liner in Appenzell auf. Ab 17. März und bis 16. Juni zeigt das von den renommierten Architekten Gigon/Guyer entworfene Haus die Ausstellung «Das polyphone Bild» des deutschen Malers und Ernst Wilhelm Nay (1902-1968), dessen Frühwerk als Bindeglied zwischen Kandinsky und dem abstrakten Expressionismus gilt.
Auch Sie lieben die Bilder des Thurgauers Adolf Dietrich zwischen Neuer Sachlichkeit und naiver Malerei? Dann fahren Sie am besten von Appenzell ins Kunstmuseum Thurgau in die Kartause Ittingen, wo zum 30-Jahr-Jubiläum der Museen im ehemaligen Kartäuserkloster vom 21. April bis 25. August 71 Werke aus 71 Jahren Thurgauer Sammlungstätigkeit gezeigt werden.
Nicht nur ist das Kunstmuseum Thurgau immer wieder für Überraschungen gut; die ehemalige Kloster-Anlage ist insgesamt ganz einfach schön und erholsam.

Nein, Zug besteht nicht nur aus Briefkästen. Ein für ein kleines Haus Respekt heischendes, konzises Programm macht seit Jahren die Leitung des Kunsthauses. Die dem ungarischen Schriftsteller Péter Nadas gewidmete und von ihm mitkuratierte Ausstellung vom 2012 bleibt unvergessen. Vom 23. März bis 19. Mai führt die bekannte Schweizer Fotografin Annelies Štrba ihre Diainstallation «Shades of Time» vor, zusammen mit neuesten Werken. Drei Innerschweizer Kunstschaffende – Lukas Hoffmann, Markus Kummer, Anna-Sabina Zürrer – stellen parallel zu Štrba aus.

Wenn Sie Ihren Kindern oder Enkeln diesen Sommer in Altdorf das Tell-Denkmal zeigen – Schweizer Geschichte soll ja «in» sein –, besuchen Sie doch auch gleich das in Schrittnähe gelegene Haus für Kunst Uri. Ab 8. Juni bis 18. August zeigt dort der 1959 in Andermatt geborene, weit über die Zentralschweiz hinaus bekannte Peter Regli neue Skulpturen und ortsspezifische Interventionen. Regli sorgt als «Reality Hacker» immer wieder für unerwartete, hinterlistige und witzige Schauvergnügen, denen auch Ihre jungen Sprösslinge etwas abgewinnen können.

Kunstinstitutionen in Langenthal, Thun oder Olten sind wie andere kleine Museen Kaderschmieden für junge Kuratorinnen und Kuratoren. Madeleine Schuppli zum Beispiel führte lange Zeit das Kunstmuseum Thun, bevor sie ins wichtigste Museum für Schweizer Kunst nach Aarau wechselte. Fanni Fetzer wiederum wechselte 2011 vom Kunsthaus Langenthal ins grössere Kunstmuseum Luzern. Alle drei Institutionen tragen auch 2013 wieder Wesentliches zum Ausstellungswesen in der zeitgenössischen Kunst bei; siehe Websites. Besonders Olten beherbergt mit seiner umfangreichen Sammlung von Werken des «Pfaffenfressers» Martin Disteli (1802-1844) einen Schatz von nationaler Bedeutung, der in kleinen Sonderausstellungen immer wieder neu aufgearbeitet wird.

An der Sprachgrenze, in Biel-Bienne, findet sich das Centre PasquArt, das sich vor allem mit dem Photoforum, dem «Prix Photoforum» und den jährlichen «Bieler Fototagen» schweizweit und international Anerkennung erarbeitet hat. Das «Photoforum PasquArt» ist ein Beispiel dafür, was die zuweilen ironisch belächelte «Vereinsmeierei» im Schweizer Kulturleben alles bewirken kann, denn die Institution wird wie unzählige andere von einem unentgeltlich arbeitenden Verein getragen.

Die Reise könnte über den Röstigraben hinweg weitergehen, denn auch in der West- und Südschweiz ist sowohl die Zahl als auch vor allem die Qualität der Ausstellungsorte für Kunst mehr als bemerkenswert. Wussten Sie zum Beispiel, dass es in Genf das kleine, aber feine «Centre de la photographie – genève» gibt und nicht nur das bekanntere Mamco (Musée d’art moderne et contemporain)? Waren Sie schon mal im Musée des beaux-arts in La Chaux-de-Fonds? Die Sammlung dort ist mindestens einen Nachmittag wert. Tipp: die Bilder von Léopold Robert (1794-1835), Maler aus der heutigen Uhrenstadt, der sich in Venedig unglücklich verliebt das Leben nahm.

Und bevor Sie im Tessin in eines der Täler zum Wandern aufbrechen, reicht es vielleicht für einen Besuch im Museo Cantonale d’Arte Lugano. Banken tun auch Gutes – zum Beispiel eine Kunstsammlung anlegen. Die Bank Bär macht’s seit langem. Das Kunstmuseum in Lugano stellt vom 11. Mai bis 18. August Werke aus der abundanten Foto- und Videosammlung des Finanzinstituts aus.
Hätte der Flugpionier Oskar Bider gekonnt, er hätte seinen Rückflug von Mailand über den Lukmanier- und Chrüzlipass unterbrochen und hätte eine kleine Tour-d’Art-de Suisse unternommen, nur um bei jeder Zwischenlandung festzustellen, wie einfallsreich die Kunstinstitutionen fern der grossen Besucherströme sind.

Die Links zu den eben angesprochenen Ausstellungsorten:
    
www.bellpark.ch
www.palazzo.ch
www.buendner-kunstmuseum.ch
www.kunsthausglarus.ch
www.kirchnermuseum.ch
www.kunstmuseumsg.ch
www.textilmuseum.ch
www.museumliner.ch
www.kunstmuseum.ch
www.kunsthauszug.ch
www.hausfuerkunsturi.ch
www.kunstmuseumthun.ch
www.kunsthauslangenthal.ch
www.kunstmuseumolten.ch
www.pasquart.ch
www.centrephotogeneve.ch
www.mamco.ch
www.chaux-de-fonds.ch/de/musees/mba
www.museo-cantonale-arte.ch
16. April 2013
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