Arbeit und Erwerbseinkommen entkoppeln

Der 2. deutschsprachige Grundeinkommenkongress in Basel (5. – 7. Oktober 2007) ermöglichte eine neue Sicht auf die Arbeits-Gesellschaft. Die Vorstellungen über ihre Zukunft stehen sich zum Teil diametral gegenüber. Sie reichen vom neoliberalen Sozialab-bau und der Verbesserung der Marktfähigkeit aller Menschen hin bis zur sozialistischen Utopie.

Angesichts des rasanten sozialen und  wirtschaftlichen Wandels in der Arbeitswelt ist ein zukunftsweisender Diskurs nötig, stellte Ueli Mäder, Professor für Sozio-logie an der Universität Basel als Gastgeber des Grund-einkommens-Kongresses fest. In der Schweiz sei die Diskussion über den Sozialstaat und die soziale Frage erstarrt und werde zum Teil buchhalterisch geführt. Eine Dynamisierung der Auseinandersetzung wäre nötig. Mäder knüpfte an den kürzlich verstorbenen französischen Gesellschafts-Denker André Gorz an, der 1997 in seinem Buch „misère du présent“ eine Entkop-pelung von Arbeit und Einkommen und die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens für alle (BGE) forderte.
Wer will denn noch arbeiten? Die „Dreckbüez“ (schmutzige, niedrig entlöhnte Hilfsarbeit) könnte dank einem BGE besser auf alle verteilt und zudem besser entlöhnt werden. Gewiss besteht auch die Gefahr, mit einem BGE tiefe Löhne der Arbeitgeberschaft durch die öffentliche Hand zu subventionieren.


Auch extremer Sozialabbau möglich

Das neoliberale Modell des BGE wurde von Milton Friedmann erstmals erdacht. Mit einem minimalen Grundeinkommen würden gleichzeitig sämtliche Sozialwerke abgeschafft. Beim thüringischen Ministerpräsidenten Dieter Althaus (CDU) tönt es ähnlich wie beim Ökonomen Thomas Straubhaar: Mit einer minimalen öffentlichen Leistung an alle sollen die Menschen in den schlecht mit Angeboten versorgten Arbeitsmarkt gepresst werden. Auch das Modell des anthroposophischen Unternehmers Götz Werner wurde am Basler Kongress kritisch hinterfragt. Bei exakter Berechnung ergibt sich, dass die Finanzierung des BGE durch die Mehrwertsteuer zu einer krassen Umverteilung von unten nach nach oben führt, die Armut also verschärft. Untere Kaufkraftklassen bezahlen durch dieses System von Götz Werner im Durchschnitt 4,8% mehr Beiträge an die MWSt, höhere Kaufkraftklassen jedoch 7,5% weniger.


Sozialstaat in der Krise

Warum wird denn die immer akuter werdende soziale Frage in Westeuropa neu überdacht? Die Idee des BGE findet Anklang, weil die sozialen Sicherungssysteme sehr eng an die Erwerbsarbeit und an die Abgabe von Lohnprozenten zu deren Finanzierung gebunden sind. Eine anhaltend hohe Arbeitslosigkeit und die rasante Verbreitung von prekären Arbeitsverhältnissen (wor-king poor) führt auch zu einer Überlastung der klassi-schen Sozialversicherungen und der kommunalen So-zialhilfen.
Ist in einer kapitalistischen Gesellschaft ein BGE denkbar, das mehr als eine Ruhestellung der Armen bedeutet? Das war die Frage, die vor allem von den Linken aufgenommen wurde. Sie vertreten ein progressives Modell des BGE, mit einer Erweiterung der persönlichen und politischen Freiheit. Das BGE sei eine konkrete Utopie im Sinne von Ernst Bloch. Der Kapitalismus sei wahrscheinlich kaum bereit, an alle gleich viel zu verteilen. Für die Erreichung eines BGE  gibt es drei Stossrichtungen: 1. Den Reichtum umverteilen, 2. die Arbeit umverteilen, 3. sich die Lebens- und Produktionsbedingungen neu anzueignen – im Sinne eines umfassenden Service public.


Die Ganzheit der Arbeitsgesellschaft

Der Basler Kongress litt zum Teil darunter, dass er von Männern dominiert wurde, die oft ihr neomarxistisches Credo in aller Dürre abgaben. Karl Marx hatte mit seiner Analyse des Frühkapitalismus und seiner Lohnarbeit in erster Linie eine Männergesellschaft im Auge. Der in der Industrie arbeitende Mann galt damals als Hauptverdiener für familienähnliche Gebilde. In der marxschen Analyse der Arbeitswelt finden die Erkenntnisse seines Zeitgenossen Friedrich Engels über die patricharchalische Familienstruktur der Gesellschaft nur wenig Entsprechung.
Dennoch hatten auch gesamtgesellschaftliche Theorien aus feministischer Sicht am Basler Kongress ihren Platz. So hiess es, die Frauen seien „umsonst vergesell-schaftet“, indem sie enorm viel Gratisarbeit im Care-Bereich leisten (Erziehung, Betreuung, Hausarbeit, Pflege usw.). Das Pferd sei am Schwanze aufzuzäunen, nämlich mit den beiden Fragen: Wer produziert heute Gratisarbeit? Und wer konsumiert heute Gratisarbeit? Ein logischer Umkehrschluss gibt Antwort auf die oft gestellte Frage, weshalb Lohnarbeit-Habende für andere mit einer Abgabe für ein BGE bezahlen müssen. Warum soll ich denn, der ich Arbeit habe, mit anderen, die keine haben, solidarisch sein?  
Tatsache ist dass sehr viel Gratisarbeit für die Gesamtgesellschaft geleistet wird. Warum wird diese Gratisarbeit nicht bezahlt? Das BGE könnte mehr Gerechtigkeit in die geschlechtspezifisch und diskriminierend ausgestaltete Arbeitwelt von heute bringen. Damit würden nicht nur Frauenrechte, sondern auch die Menschenrechte etwas mehr verwirklicht.



Die VeranstalterInnen des Kongresses waren: attac Schweiz, Basic Income Earth Network – Sektion Schweiz, attac Deutschland, Netzwerk Grundeinkommen Deutschland, attac Öster-reich – Inhaltsgruppe Grundeinkommen, Netz-werk Grundeinkommen und sozialer Zusam-menhalt Österreich – B.I.E.N. Austria. Der Kongress, der in Kooperation mit dem Institut für Soziologie der Universität Basel durchge-führt wurde, fand an der Universität Basel und mit zwei extern verlagerten Podien im Volks-haus Basel statt.

Informationen: www.grundeinkommen2007.org
08. Oktober 2007
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