Schuldentilgung – freiwillig?

Die Initiative «Hurra, wir tilgen» sammelt Spenden für den Not leidenden Staat . »Der Zeitpunkt» sprach mit Prof. Jochen Hörisch, Germanist und Initiator der Aktion.

Professor Jochen Hörisch ist ein kluger Mann, bekannt z.B. aus dem kritischen Geldfilm «Der Schein trügt». Unlängst überwies er 10.000 Euro an den Staat, ein Fünftel seines liquiden Vermögens. Freiwillig und zusätzlich zu seinen Steuern. Ist der Mann noch bei Sinnen? «Normale» Leute lassen sich Geld bekanntlich nur unter Druck aus der Tasche ziehen. Jochen Hörischs Spende ist Teil der Aktion «Hurra, wir tilgen. Deutsche Tilgungsinitiative». Angesichts der unerträglichen Schuldenlast des Bundes will die Initiative alle Bürger motivieren, die Entschuldung des Staatshaushalts selbst in die Hand zu nehmen. «Mit der Tilgung gewinnen wir, die Bürgerinnen und Bürger der Bundesrepublik Deutschland die Herrschaft über unsere Gemeinschaftsfinanzen zurück», heisst es auf der Webseite der Gruppe. «Wir werden uns nicht von Gläubigern vorschreiben lassen, wofür wir unsere öffentlichen Gelder einsetzen.»



Der Impuls zum Handeln entstand bei Prof. Hörisch auf ungewöhnliche Weise: Der Germanist fand in Goethes «Faust II» eine komplett ausgearbeitete Geldtheorie, die heute aktueller ist denn je. «In diesem Zeichen wird nun jeder selig», schreibt Goethe und meint: An die Stelle des Kreuzes ist als Idol der Geldschein getreten – bis heute. Geschuldetes Geld, weiss Hörisch, ist nicht einfach weg. Ihm stehen Vermögen in gleicher Höhe gegenüber. Das Zinsprinzip bedeutet: «Diejenigen, die arm sind, geben denen, die viel haben, Geld». Da diese Dynamik eskaliert, ist der Zusammenbruch nur noch eine Frage der Zeit. Laut Jochen Hörisch sind 70 % aller Geldforderungen, die heute existieren, nicht mehr eintreibbar. Die Frage ist, wie wir den Übergang gestalten: radikal oder sanft.



Fünf mögliche Wege zeichnet Prof. Hörisch auf: 1. Schuldenminderung durch Inflation, 2. Ein radikaler «Haircut». Beide Varianten führen für ihn unvermeidlich zum Kollaps. Lösung Nr. 3 wird von neoliberalen Hardlinern (etwa der FDP) vertreten: Wir senken Steuern und erwarten, dass dies dem Staatshaushalt hilft – eine Illusion. Vorschlag Nr. 4 kam nach dem Krieg zur Anwendung: Alle werden radikal auf Null gesetzt, alle Schulden und Vermögen gestrichen. Jeder erhält ein Startkapital von z.B. 100 Euro. Kaum jemand wünscht sich diese brutale Lösung. Bleibt Vorschlag Nr. 5: Freiwillige Schuldentilgung. Damit kann jeder Bürger selbst beginnen: schon jetzt. Natürlich ist auch Hörisch klar, dass seine Initiative, die bisher 17.000 Euro erbrachte, den Staatshaushalt nicht allein retten kann. Aber er rechnet vor: In vielen Gemeinden wären so schon heute alle Schulden zu tilgen. Dort beträgt die Pro-Kopf-Verschuldung pro Bürger «nur» ca. 1000 Euro. Würden die Menschen merken, dass das funktioniert, könnten Initiativen auch im Bund mehr Zulauf bekommen.



Ohne Gläubigerverzicht wird es allerdings nicht funktionieren. Längerfristig strebt Jochen Hörisch einen Lastenausgleich an, wie er von Konrad Adenauer nach dem Krieg initiiert wurde: Wohlhabende Bürger kamen damals u.a. für die Bedürfnisse der Vertriebenen und Wohnungslosen auf. Übertragen auf heutige Verhältnisse, wäre das ein Kompromiss. Weder würden, wie heute, Geringverdiener und Hartz IV-Empfänger schleichend enteignet, noch würde man Reichen in «maoistischer» Manier ihren gesamten Besitz nehmen. Organisieren müsste das der Staat. Solange der nicht versteht, sind wir aber nicht machtlos. Jeder kann etwas tun: durch sein gutes Beispiel.



www.hurrawirtilgen.de

31. August 2011
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