Schwarze Listen, die neue völkerrechtliche Realität

Die schwarze Liste – mit aller Gewalt hat sich ein Rechtsinstrument der Mafia innert weniger Monate im Völkerrecht etabliert. Der Begriff kommt meines Wissens in den Schriften der OECD nicht vor. Vermutlich haben ihn die Massenmedien in ihrem Zwang zur Zuspitzung der OECD nur untergeschoben. Aber: Die Politiker haben ihn bereitwillig übernommen, sei es zur Aufblähung ihrer Drohungen (im Falle der Grossmächte), sei es zur Rechtfertigung ihrer Niederlage (im Falle der Schweiz). Kein Politiker hat darauf hingewiesen, dass es so etwas wie Schwarze Listen im Völkerrecht nicht gibt und auch nicht geben darf – und das nährt gravierende Sorgen.
Was für eine rechtliche Institution ist eigentlich eine Schwarze Liste? Das Instrument ist typisch für klandestine, kriminelle Organisationen, die ohne Konstituierung ein undurchsichtiges Recht setzen, ohne ordentliches Verfahren ein Urteil fällen und ohne Begründung zur Vollstreckung freigeben. Angeklagte, Richter, Strafnorm und Strafmass bleiben vage. Sicher ist nur: Es gibt keine Gnade und schon gar nicht Gnade vor Recht.


Damit werden ungefähr alle Normen eines Rechtsstaates und des Völkerrechts verletzt. Und trotz dieser Ungeheuerlichkeit sind die Grossmächte nun offenbar dazu übergegangen, mit Schwarzen Listen zu operieren, und die Kleinen haben vor dieser Drohung klein beigeben – ein bedenklicher Vorgang.

Es ist bezeichnend für die Schwarze Liste der letzten Wochen, dass sich darauf nur einzelne Schwarze Schafe befanden und nicht alle Staaten, die mit Recht der mangelnden internationalen Zusammenarbeit in Steuerfragen beschuldigt werden könnten – eine typische Schwarze Liste eben.

Es ändert wenig, wenn der deutsche Finanzminister nach dem errungenen Sieg gestand, es habe nie eine Schwarze Liste gegeben. Dies verdeutlicht nur die Kapitulation der Schweiz vor den neuen Normen des Völkerrechts. Die Schwarze Liste wurde genannt, es wurde nach ihr gehandelt und sie hat gewirkt. Und wenn sie ihr Ziel nicht erreicht hätte, wären die Sanktionen vermutlich umgesetzt worden.

In welchem Mass die Rechtsstaatlichkeit mit schwarzen Stiefeln getreten wird, machte Peer Steinbrück mit seinem Bild der Schweiz als einer Horde Indianer, die von der Kavallerie diszipliniert werde, deutlich. Der Mann hat mit Sicherheit zu wenig Geschichte studiert, um zu wissen, dass die Ausrottung der Indianer, nicht zuletzt durch amerikanische Kavallerie, mit 17 Millionen Opfern zu den grössten Völkermorden überhaupt gehört. Ein total verunglückter Vergleich, aber auch ein starkes Symbol für die geistige Verfassung der Akteure auf den Teppichetagen der Grossmächte.

Was tun? Zuerst gilt es einmal abzuklären, ob die Rechtsstaatlichkeit im Verkehr unter den einzelnen Nationen überhaupt noch etwas gilt. Das ist in der Tat fraglich. Seit dem entscheidenden Globalisierungsschritt, der so genannten Uruguayrunde, die Ende der 80er und anfangs der 90er Jahre hinter verschlossenen Türen stattgefunden hat, wurden die massgeblichen rechtlichen Grundlagen der Globalisierung und damit entscheidender Elemente des Völkerrechts in informellen Zirkeln und Konferenzen initiiert. In Hinterzimmern mit beschränktem Zugang und selektiver Transparenz wurde beschlossen, was die internationalen Organisationen dann in Normen fassen und die Parlamente unter Druck schliesslich legitimieren mussten. An völkerrechtlichen Präzedenzfällen, die dieses fragwürdige Vorgehen geprüft hätten, fehlt es weitgehend. Die Aussichten einer klagenden Nation sind ja auch denkbar schlecht: Langes Verfahren, fehlende Normen und die ständige Drohung, mithilfe von Instrumenten der Kategorie «Schwarze Liste» vor einem Urteil bestraft zu werden.Kommt man zum Schluss, das Völkerrecht auf der Basis der Selbstbestimmung der Nationen gelte nicht mehr grundsätzlich, sondern nur noch fallweise (nämlich dann, wenn keine Machtinteressen tangiert werden), dann stellt sich die Frage, welche Regeln tatsächlich in Kraft sind. Meiner Ansicht nach sind es die Regeln eines globalen Kampfes, in der auch die Grossmächte nicht mehr nur um Vorherrschaft (d.h. die Durchsetzung ihrer eigenen Gesetze), sondern gleichzeitig noch um ihr Überleben kämpfen. In der Selbstverteidigung, das wissen wir aus dem Strafrecht, gibt es wenig Normen. Stattdessen gelten die Regeln des Dschungels, der Mafia, des asymmetrischen Krieges. Man kann als Land und als Individuum auch in einer solchen Situation durchaus seine Würde und Ehrenhaftigkeit bewahren und sich durchsetzen. Aber man muss wissen, welches Spiel gespielt wird. Ob es tatsächlich und wie behauptet die Trockenlegung von Steueroasen ist, werden wir nach dem G20-Gipfel anfangs April wissen. Wahrscheinlicher ist, dass wir uns bereits in einem globalen Überlebenskampf ohne rechtlichen Schutz befinden. Um sich in einer solchen Auseinandersetzung zu behaupten, ist ferner eine geistige Verfassung nötig, die nicht durch zweifelhaftes eigenes Verhalten belastet ist. In diesem Sinne hat die Aufhebung des Bankgeheimnisses eine positive, reinigende Wirkung, auch wenn sie auf illegalem Wege zustande gekommen ist. Man darf ja auch aus einer ungerechten Strafe etwas lernen.
Christoph Pfluger
19. März 2009
von: