«Zu dick, zu hässlich, Selbstzweifel»
80 % der Geschlechtsangleichungen im Jugendalter betreffen Mädchen, die Jungen sein wollen. Mädchen in der Pubertät brauchen Zeit und Raum für die Entwicklung zu sich selber, keine Anleitung, jemand anderes zu werden. Interview mit der Ärztin Dr. Gisela Gille zum Thema, warum so viele Mädchen lieber einen anderen Körper hätten.
Zeitpunkt: Welche Erinnerungen haben Sie an Ihr eigenes «Mädchenleben»?
Dr. med. Gisela Gille: Damals ging man noch zur Tanzstunde. Da ich relativ gross bin, fand ich des Öfteren keinen Tanzpartner. Ich verbrachte also einige Zeit unglücklich auf der Damentoilette. Und dass ich dazu noch recht leistungsfähig in der Schule war, machte mich bei den gleichaltrigen Jungen auch nicht attraktiver. Mädchen-Sein war damals schon nicht einfach – aber heutzutage ist es für Mädchen schwieriger denn je. Nie wieder fühlt man (und vor allem frau) sich so fremd im eigenen Körper, und nie wieder im Leben sind eine solche Fülle umwälzender Veränderungen zu verarbeiten wie in der Pubertät.
Sensibilisiert durch ihre Vortragstätigkeit bei der Ärztlichen Gesellschaft zur Gesundheitsförderung der Frau e.V., gründete die Ärztin Dr. Gisela Gille 2004 eine Mädchen-Sprechstunde in der gynäkologischen Praxis als präventives Angebot. Mittlerweile wird nicht zuletzt aufgrund ihres Engagements in Deutschland offiziell eine neue kassenfinanzierte Vorsorgeuntersuchung (M1) für Mädchen eingerichtet.
Dr. Gille erhielt für ihre Pionierarbeit der Etablierung des Themas Mädchen in der Gynäkologie das Bundesverdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland und den Fortschrittspreis des Berufsverbands der Frauenärzte. Sie ist Ehrenmitglied der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe e.V. sowie Autorin zweier Ratgeber.
Kein Wunder also, dass Mädchen in der Pubertät oft mit ihrem Körper nicht ganz einverstanden sind?
Ja, Mädchen haben es in mancher Hinsicht schwerer als Jungen. So wird ihr Körper stärker von aussen bewertet. Der optimale Frauenkörper, der in den Medien gezeigt wird, verunsichert Mädchen. In der Pubertät nehmen Mädchen bis zu 50 Prozent an Fettgewebe zu. Diese Gewichtszunahme ist ein seit Jahrtausenden bewährtes Prinzip, um auch in Hunger- und Notzeiten den Erfolg einer Schwangerschaft zu gewährleisten.
Mädchen lehnen die reifungsbedingten Veränderungen des Körpers jedoch häufig ab, und so entsteht ein depressives Selbstkonzept: Sie finden sich zu dick oder zu hässlich, zweifeln an sich selbst. Das Risiko für die Entwicklung psychischer Störungen, Ängste, Depressionen und Essstörungen steigt bei Mädchen in dieser Zeit stark an.
Welche Entwicklungsschritte stehen für Mädchen in der Pubertät an?
Mädchen müssen die körperlichen Veränderungen integrieren und die weibliche Entwicklung akzeptieren sowie die eigene sexuelle Orientierung festigen. Sie gestalten erste Beziehungen und sammeln erste altersgemässe sexuelle Erfahrungen, wobei die meisten Mädchen Sexualität nicht losgelöst von ihren Gefühlen und der Beziehung leben können. Das ist ein Gegensatz zu dem oft inflationären Umgang mit Sex in den Medien und auch allgemein in der Gesellschaft. Ausserdem löst sich das Mädchen in der Pubertät von den Eltern ab und sucht nach eigenen Werten, entwickelt berufliche Pläne und Lebensentwürfe, was bei vielen Mädchen ein Gefühl von Überforderung aufkommen lässt. Die Entwicklung einer stabilen weiblichen Identität ist heute für Mädchen hochkomplex, anspruchsvoll, störanfällig und von Krisen begleitet.
Die erste Menstruation wird mit Spannung erwartet, aber es kommt auch zu Stimmungs- und Gewichtsschwankungen, Heisshungergefühlen, Veränderungen des Hautbilds, zu sozialer Empfindlichkeit und zum Gefühl von Verlust an Sauberkeit und Kontrolle.
Die meisten Mädchen können viele Phänomene während der Pubertät nicht einordnen und bilden kein positives, autonomes Körpergefühl aus. In ihnen entsteht oft das Gefühl: Jungen haben es leichter. Mädchenfreundschaften haben in dieser Zeit einen hohen Stellenwert. Die Beziehung zu einer gleichaltrigen Freundin, mit der sie Geheimnisse und auch Zärtlichkeiten teilen, erhält für Mädchen eine grosse Bedeutung – auch für den Ablösungsprozess von den Eltern, insbesondere von der Mutter.
Der Text stammt aus dem neuen Zeitpunkt: Genderismus - Biologie vs. Ideologie. Hier können Sie ihn bestellen.
Und wenn das Mädchen es irgendwie nicht schafft, alle diese anspruchsvollen Schritte zu gehen?
Manche sucht sich Ausweichmöglichkeiten. Es flieht vor der Weiblichkeit und versucht die entsprechende körperliche Entwicklung zu vermeiden. Es ist dann empfänglich für alternative Identifikationsschablonen, besonders wenn es unter ungünstigen psychosozialen Bedingungen aufwächst. Therapeuten, Ärzte und Berater beobachten, dass solche Mädchen teilweise eine Essstörung wie Magersucht für sich entdecken. Damit lassen sich die weiblichen Rundungen zurückdrängen.
Und seit etwa zehn Jahren häufen sich Fälle von Geschlechtsdysphorie. Das Mädchen kann sich dann mit seinem biologischen Geschlecht nicht identifizieren und strebt vielleicht sogar eine Geschlechtsumwandlung bzw. -anpassung an.
Die Genderdysphorie bei Minderjährigen hat insgesamt zugenommen, aber die Anzahl geburtsgeschlechtlich weiblicher Betroffener, deren geschlechtsdysphorische Symptome sich erst in der Pubertät (Rapid Onset Gender Dysphoria, ROGD) manifestieren, ist dabei seit etwa zehn Jahren klar in der Überzahl. In 80 Prozent der Fälle sind es heutzutage weibliche Teenager, die wegen einer Geschlechtsdysphorie vorstellig werden, oft ohne eine entsprechende Vorgeschichte, zu einem hohen Anteil mit mindestens einer psychischen Erkrankung oder neurokognitiven Entwicklungsstörung (speziell aus dem Autismus-Spektrum).
Die Entwicklung einer Essstörung oder einer Geschlechtsdysphorie deuten also darauf hin, dass das Mädchen die natürlichen weiblichen Rundungen seines Körpers verhindern möchte?
So könnte man es sagen, wobei man beachten muss, dass Mädchen diese beiden Verarbeitungsmuster nicht bewusst anwenden, sondern aus einer psychischen Notlage heraus für sich entdecken. Mit der Magersucht wird die weibliche Entwicklung ausgebremst. Die Einnahme von Pubertätsblockern und operative Eingriffe zur Geschlechtsanpassung verunmöglichen ebenfalls die körperliche Entwicklung zur Frau. In Ermangelung konstruktiver Lösungsstrategien und in Verbindung mit ausgeprägten Körperbildstörungen werden psychische Konflikte auf den Körper projiziert. Eine Essstörung ist für die ganze Familie eine enorme Belastung, wohingegen das Trans-Sein in letzter Zeit «in» ist, gesellschaftlich und politisch extrem legitimiert und zu einer Angelegenheit der Menschenrechte erklärt wurde. Das lässt sich am Selbstbestimmungsgesetz ablesen, das am 1. November 2024 in Deutschland in Kraft trat.
Zeitgeist und Medien spielen dabei eine enorme Rolle. Das Trans-Thema ist dauerpräsent. Man weiss mittlerweile, dass das Abtauchen in entsprechende Internetforen inklusive wiederholten Anschauens von YouTube-Transitionsvideos entscheidende Bedeutung für die Entwicklung einer Trans-Identifizierung hat. Genderdysphorie ist also auch ein Phänomen sozialer Ansteckung und bietet den Mädchen eine schillernde und bunte Bewältigungs-Strategie an. Mittlerweile herrscht auch eine Art Machbarkeitswahn, indem angenommen wird, eine «Geschlechtsumwandlung» sei mittels heutiger medizinischer Möglichkeiten problemlos durchführbar. Die hohen gesundheitlichen und psychischen Risiken werden dabei unterschätzt.
Was empfehlen Sie Betroffenen angesichts dieser neuen Erkenntnisse?
Lehrern, Ärzten, Therapeuten, Beratern und Bezugspersonen muss klar sein, dass in Einzelfällen von Geschlechtsdysphorie durchaus biologische Faktoren eine Rolle spielen können, in anderen Fällen aber eher psychosoziale Faktoren ausschlaggebend sind. Dann gilt es eher, eine psychologische Beratung in Anspruch zu nehmen. In der Gynäkologie sollten Mädchen die Unterstützung und Beratung erfahren, die sie in ihrem weiblichen Selbstbewusstsein stärkt. Dazu gehört einfühlsames, bewertungsfreies, exploratives Fragen, das Ärzte in speziellen Fortbildungen erlernen können. Da Mütter meist die ersten Ansprechpartner sind, ist es günstig, wenn auch sie gut über die Pubertät informiert sind und ihre Töchter entsprechend unterstützen können. Es ist so wichtig, dass Mädchen wissen, dass die Pubertät für sie selbst auch Positives bedeutet. Ich habe deshalb zwei Ratgeber geschrieben, einen für Mütter und einen für Mädchen.
Was würden Sie Eltern und Mädchen empfehlen, die bereits über Geschlechtsdysphorie diskutieren?
Sich gut informieren, vor allem über die Risiken möglicher medikamentöser und operativer Behandlungen; hier sollte man auch Beratung in Anspruch nehmen. Zudem gilt es, sich zu nichts drängen zu lassen, von wem auch immer. Die Mädchen haben das Recht, langsam in die pubertätsbedingten Veränderungen hineinzuwachsen. Man sollte ihnen gestatten, ihre natürliche körperliche Entwicklung in Ruhe zu durchleben. Eine positive weibliche Identität ist das Ergebnis einer erfolgreichen Entwicklung in der Pubertät – nicht ihr Ausgangspunkt!
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