Zu Weihnachten richtig zurückballern? Reflexionen über ein Dauerthema

Erst mal in Ruhe alles anhören und von allen Seiten anschauen – und nicht gleich losballern oder abwehren: Wäre das nicht eine gute Devise für 2024? Auch wenn es um das leidige Thema Coronapolitik und COVID 19-Impfung geht? Die Samstags-Kolumne

Krank
Selbst gründlich recherchieren, denn es geht ja um die eigene Gesundheit und die Gesundheit der Familie? Völlige Fehlanzeige. Foto: Pixels Cottonbro Studio

Advent 2023 – die halbe Familie ist krank bei meinem ehemaligen Arbeitskollegen. Der Sohn, dreimal geimpft, liegt mit Corona darnieder und der dreimal geimpfte, dauererkältete und hustende, liebevolle Vater bringt ihm Hühnersuppe. Die dreimal geimpfte – im Jahr 2020 noch recht rüstige und jugendliche – Grossmutter hatte eine Bauchspeichelentzündung. Ihr musste die Galle entfernt werden, die inneren Organe sind irgendwie seitdem nicht ganz okay und anscheinend ist sie auch ein bisschen dement. 

«Aber das ist normal, wenn die Galle entfernt wird.» Und obwohl ich mit meinem Kollegen bereits vor der Impfkampagne über die Risiken der COVID 19-Impfung sprach, sieht er keine Zusammenhänge. 

Im Gegenteil – er findet viele Erklärungen, warum es der Mutter «logischerweise» schlecht gehen muss. Er entwickelt kreativ Abwehrthesen, die diese familiäre Krankheitshäufung für ihn selbst und vermutlich auch andere durchaus normal aussehen lassen. Und eines ist klar: Er tut dies alles wirklich aus Liebe zu seiner Familie und zu den Menschen überhaupt. Er würde weinen und verzweifeln, wenn er seinen Liebsten mit der Impfung einen schlechten Tipp gegeben hätte. Also untersucht er meine Quellen akribisch auf Rechtsextremismus und freut sich, wenn er etwas «Rechtes» findet. 

John Ioannidis scheint ja auch wirklich ein völlig abhalfterter und abgedrifteter Wissenschaftler zu sein. Damit scheinen ihm die Sachargumente, eigentlich durch aktuelle Studien gut untermauert, ausreichend widerlegt. Findet er obendrein noch irgendwo einen Fehler, ist alles in Butter. Ja, mehr als das – die Welt scheint wieder in Ordnung. Der Störfaktor ist ausgeräumt. Er hustet und freut sich. Und wunderbar: Er bleibt mein Freund! Da sind wir uns doch einig. 

 

Keine Lust auf umfassende Information 

Auf Informationen, die er nicht mit dem «Rechts»-Siegel versehen kann, erhalte ich nie eine Antwort. Die löscht er lieber gleich, vermute ich. Diskussionen möchte er zu diesem Thema nicht führen. Er möchte gar nichts wissen. So war es vor der Impfkampagne, so ist es hinterher. Informationen? Studien? Sich vertiefen in die Sache? Nur einen kurzen Sachartikel durchlesen, ein kleines aufklärendes Video ganz ansehen. Nur ein klitzekleiner Schritt in die Evidenz? Unmöglich! 

Selbst gründlich recherchieren, denn es geht ja um die eigene Gesundheit und die Gesundheit der Familie? Völlige Fehlanzeige. Das macht man nur, wenn’s um den eigenen BMW geht. Da kennt man die Daten. Etwas von aussen zum Impfthema annehmen? Dankbar sein, dass der andere einem Informationen zuschickt? Dass der andere recherchiert und für ihn zusammenfasst? Dass der andere warnt? Den anderen ernst nehmen? Nein danke. Bloss nicht. Was für ein Besserwisser. Der hat doch keine Ahnung. Vermutlich will er sich nur aufspielen und zeigen, wie toll er ist. Der ist doch völlig auf dem Holzweg.

Da geht kein mit hübschen Blümchen bedrucktes Raff-Rollo langsam runter. Nein, da saust eine Art Eisenplatte, nicht unähnlich einem Fallbeil, nach unten. 

Finger weg!

Besonders dieser Moment, wenn geimpfte Menschen auf kritische Informationen über die Impfung oder die Coronapolitik treffen, ist wirklich spannend und interessant. Die Entscheidungssekunde! Darf ein Argument über Impfschäden oder Risiken der Impfung oder unnötige Panikmache in der Coronazeit oder Unterbelegung der Krankenhäuser in den «Pandemiejahren» usw. rein - oder nicht? 

Die sachliche Information, mittlerweile doppelt und dreifach belegt und sogar in den Mainstream-Medien erhältlich, möchte empfangen werden und auf ein möglichst vernünftiges Empfangssystem treffen. Aber sie zerschellt oft innerhalb einer Sekunde an unsichtbaren Faktoren. Welche sind das? Das ist das grosse Rätsel, an dem bestimmt tausende von Covidioten schon jahrelang herumknobeln. 

Schon minimalste Andeutungen, dass etwas mit dieser COVID-19-Impfung nicht in Ordnung sein oder etwas falsch laufen könnte; dass es Zusammenhänge mit vorliegenden Symptomen geben könnte, werden sofort massiv abgewehrt. Da geht kein mit hübschen Blümchen bedrucktes Raff-Rollo langsam runter. Nein, da saust eine Art Eisenplatte, nicht unähnlich einem Fallbeil, nach unten. Da heisst es: Finger weg! Die Eisenplatte saust nicht zum ersten Mal, sondern sie ist gut geölt und ständig in Gebrauch, denn seit Corona-Beginn provozieren diese nervigen Kritiker einfach jeden, auch wenn man es gar nicht hören will. 

Und sie geben keine Ruhe. Der Querdenker muss sich nur räuspern oder auf eine gewisse Art blicken – und das narrativtreue Gegenüber macht sekundenschnell eine wegwischende oder abwehrende Handbewegung. Die Auseinandersetzung findet nicht statt. Das Thema wird im vorsprachlichen Bereich abgehandelt: Verhärtete Mimik, Abwehrhand und im äussersten Fall ein abschreckendes Knurren. Der sensible aber beharrliche Querdenker weicht erschrocken zurück. Das registriert der Impfmatador und denkt möglicherweise, da habe ich ganz schön zurück geballert. Ich lass mich doch nicht von der Wirklichkeit umzingeln!

 

Sachliche Botschaften werden als «Ballern» erlebt 

Die Informationen oder schon der sanfteste Widerspruch können nicht gelassen und besonnen ins eigene System aufgenommen werden. Widersprüche dürfen nicht einmal bestehen. Ein Bekannter von mir, Sozialtherapeut, bescheinigte mir, dass ich «vermutlich auf unbewusste Weise» (welch mich schonen wollende Ausdrucksweise!) den «rechten» Kräften diene und sperrte dann – «Zack!» – empathielos und dialogresistent, seinen E-Mail-Account für mich. 

Erstaunlich, wie viel interpretative Kunst da plötzlich zutage tritt, wie einfühlsam andere meine angeblich «rechten» Gedankengänge in ihren feinsten Windungen ablauschen und mit feinporigsten Filtern (ungebrauchten Staubmasken?) auswaschen. Was für ein Aufwand! 

Aber lieber viel, viel umfahrende Gedankenarbeit, als zu erkennen, was nahe liegt. Apropos «Zurückballern»: Schickt man einen neuen Artikel, weil der doch dieses Mal so gut mit Studien unterfüttert ist, wird das als «Ballern» erlebt. Da sucht mein Bekannter mir einen schönen Artikel aus und «ballert» mit einem Link zurück. Und erweitert mit diesem Text, der mir persönlich etwas einseitig vorkommt, grandios das «Schlachtfeld» durch alle aktuellen Konfliktherde weltweit. 

Was früher in Beziehungen als Anregung, als Inspiration, als Unterstützung, als gut gemeinte Warnung, als Mitdenken empfunden wurde, kann beim C-Thema auch Ende 2023 zu einer Art Schlacht eskalieren. 

Da können gerade bei meinem Bekannten die Emotionen beim Advents-Waldspaziergang schon mal durchgehen. Er wird laut und klingt beleidigt: «Was hätte man denn machen sollen? Hinterher ist man immer schlauer!» Im weihnachtlichen Sinne vielleicht so eine Art Schneeballschlacht. Aber diese Schneeballschlacht macht nicht so richtig Spass. Und ich kann mit diesen emotionalen Ausrufen nichts angefangen. Das erscheint mir keine sinnvolle Ebene. Man erkennt den eklatanten Mangel an Wissen sofort. 

 

«Schiesst» die Beziehungsebene quer? 

Eine Botschaft hat immer eine Sach- und eine Beziehungsebene, eine uralte Weisheit der Kommunikationswissenschaften. Die Sachebene birgt nicht so viele Hindernisse in sich, ausser man macht sich gleich über eine englischsprachige Medizinstudie zur COVID 19 Impfung her. Aber dafür gibt es ja Infoportale und Bücher, die solche Studien auch dem Normalmenschen begreiflich machen. 

Man muss es einfach akzeptieren, es hapert auf der Beziehungsebene. Und das Thema Macht spielt hier eine bedeutsame Rolle. Die Gedanken laufen ungefähr so: Wer mir ungefragt Informationen schickt, stellt sich über mich. Er tut so, als wisse er es besser. Er mandelt sich auf. Er belehrt mich. Und wenn der «er» noch eine «sie» ist, dann ist es ganz aus. Da höre ich gar nicht mehr zu. 

Was sagt der alte Watzlawick zu dieser Frage? 

Zwischenmenschliche Kommunikationsabläufe sind entweder symmetrisch oder komplementär, je nachdem ob die Beziehung zwischen den Partnern auf Gleichgewicht oder Unterschiedlichkeit beruht.

Aha, wir haben es also mit einer komplementären Gesprächssituation zu tun. Und wenn Abläufe komplementär sind, gibt es immer einen superioren und einen inferioren Partner. Wer hat Lust auf Unterlegenheit? Niemand. Aber wer neigt dazu, sich schnell inferior zu fühlen? Ist das Gefühl von Inferiorität ein Muss, wenn mich jemand «belehrt»? Oder kann ich anerkennen, dass ich manches eben nicht weiss, andere hingegen dazu etwas mehr wissen? Aber dass wir alle nicht alles wissen? Werden wir nicht alle im Alltag oft eines Besseren belehrt? Ungefragt. Ist das nicht ein ganz «normaler» Bestandteil unseres Lebens?

 

Passende Adjuvantien: Offenheit, Gelassenheit, Ruhe

Als Menschen sind wir auf Dialog angelegt und brauchen die Begegnung mit anderen. Und jeder kann sich fragen: Wie sehr lasse ich mich erreichen? Kann ich wirklich zuhören? Wie offen bin ich für Anregungen von aussen? Offenheit ist die Voraussetzung dafür, etwas bei sich ankommen zu lassen. Sie beinhaltet Gelassenheit und Ruhe, um das, was sich zeigt, zu betrachten.

Erst mal in Ruhe alles anhören und von allen Seiten anschauen – und nicht gleich losballern oder abwehren: Wäre das nicht eine gute Devise für 2024? Auch wenn es um das leidige Thema Coronapolitik und COVID 19-Impfung geht? Und haben die nervigen Verschwörungstheoretiker nicht schon etwas gebracht?

«Denn ich lass mich keinesfalls ein drittes oder viertes Mal impfen!»

Ach so.

Warum eigentlich nicht?


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