Irrweg Bioökonomie – Kritik an einem totalitären Ansatz

Interview von Thomas Gröbly, Ethiklabor mit Prof. Dr. Franz-Theo Gottwald

Was ist Bioökonomie und was sind ihre Chancen?

Ich darf mit der Definition von BioÖkonomie des Bundesministeriums für Bildung und Forschung in Deutschland antworten:
Unter Bioökonomie wird eine Wirtschaftsform verstanden, welche auf der nachhaltigen Nutzung von biologischen Ressourcen wie Pflanzen, Tieren und Mikroorganismen basiert. Um dies zu ermöglichen, sind hochinnovative Nutzungsansätze notwendig. Die Bioökonomie berührt dabei eine Vielzahl von Branchen wie Land- und Forstwirtschaft, Gartenbau, Fischerei und Aquakulturen, Pflanzenzüchtung, Nahrungsmittel- und Getränkeindustrie sowie die Holz-, Papier-, Leder-, Textil-, Chemie- und Pharmaindustrie bis hin zu Teilen der Energiewirtschaft. Bio-basierte Innovationen auch sollen Wachstumsimpulse für weitere traditionelle Sektoren, beispielsweise im Rohstoff- und Lebensmittelhandel, in der IT-Branche, im Maschinen- und Anlagenbau, in der Automobilindustrie sowie in der Umwelttechnologie.
Die deutsche Bundesregierung sieht, ähnlich wie die Europäische Union, wirtschaftliche Chancen, wenn es denn gelingt, eine wissensbasierte, international wettbewerbsfähige Bioökonomie in folgenden Wirtschaftsfeldern zu etablieren:
• Ernährungswirtschaft, um Beiträge zu einer höheren Ernährungssicherheit zu liefern, indem die Pflanzenproduktivität und die Ertragssicherheit Klima unabhängiger garantiert werden kann;
• neuartige gesundheitlich zuträgliche Lebensmittel für genetisch zu bestimmten Krankheitsbildern vordisponierten Kundengruppen (Nutrigenomics);
• für die energetische Verwendung besser als bislang geeignete Pflanzen sowie Biomasse basierte Energieerzeugung aus Rest- und Altstoffen (Erntereste und Überschüsse, nicht für die Futter- oder Lebensmittelproduktion verwertbare Rohstoffe, Altöle aus der Lebensmittelverarbeitung und Schmieröle aus Industrieanlagen).
Insgesamt soll eine zielgerichtete Marktentwicklung rund um nachwachsende Rohstoffe in Deutschland vorangetrieben werden. Schon jetzt werden, so zeigt die jüngste Studie „Marktanalysen nachwachsender Rohstoffe“ der Meo Carbon Solutions GmbH 2014 im Auftrag des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft, alle wesentlichen Märkte der stofflichen und energetischen Nutzung nachwachsender Rohstoffe für Deutschland erhoben. Besondere Chancen werden in dieser Studie auch in den Märkten für Baumaterialien sowie für Kunst- und Werkstoffe gesehen.


Sie kritisieren die „grenzenlose kommerzielle Nutzung allen Lebens“ durch den Zusammenschluss aus Industrie, Grossinvestoren, Politik und Forschung als einen totalitären Ansatz. Was steht auf dem Spiel?

Mit Bioökonomie liegt ein wissens- und kapitalintensiver Fortschrittsansatz vor, der strukturell zentralisiert ist. Zwar wird raumzeitlich dezentral vielen Betrieben ermöglicht, biotech-basiert neu zu wirtschaften und zu wachsen. Jedoch ist eine Ausblendung von alternativen, agrar-ökologischen Pfaden, die ohne erhöhten Druck auf Boden, Wasser, Pflanzen, Tiere und Menschen nachhaltige Entwicklungen gestalten, der Preis, der für diese reduktionistisch, bioindustriellen Lösungen bezahlt werden muss – neben dem erwarteten Verlust an Diversität und evolutionärem Potenzial.

Bei den Promotoren der Bioökonomie herrscht Goldgräberstimmung. Aus einem Euro Investition würden 10 Euro Wirtschaftsleistung hervorgehen. Ein grünes Wachstum, ein „Motor für nachhaltige Produktion“. Und noch mehr: es können alle Probleme gelöst werden. Klingt doch gut.

In der Tat ist es nötig, mit Forschung und Innovation an einem Strukturwandel zu arbeiten, weg von einer erdölbasierten Industrie, hin zu einer Industrie, die auf nachhaltigen Rohstoffen basiert. Dies ist aus Gründen des Klimawandels nötig und aus einer Vielfalt, nicht nur politischer Unsicherheiten, die mit fossilen Rohstoffen für die bislang von fossilen abhängigen Branchen kommt. Dennoch wird es beim derzeitigen Anspruch an die für die genannten Branchen notwendigen Mengen an nachwachsenden Rohstoffen, eine Menge neuer Probleme geben. Diese hängen mit der Knappheit der Böden zusammen, mit den sich intensivierenden Konkurrenzverhältnissen zwischen Ernährungssicherung, Energieversorgung, Futtermitteln, Tierbeständen einerseits zusammen und mit den technologischen und ethischen Engpässen, die eine vornehmlich auf gentechnischen Eingriffen, synthetischer Biologie und angedachten neuen, artifiziellen Organismen einhergehen. Bis heute weiß zum Beispiel niemand genau, welche Folgen die Freisetzung von gentechnikveränderten Pflanzen für die Bodenökologie, für die Wechselwirkungen mit Insekten und für die Verstoffwechslung bei Tier und Mensch mittel- und langfristig haben. Eine Risikoforschung wird nicht – weder seitens der an bioökonomischen Lösungen interessierten Industrien, noch seitens der staatlichen Forschungsförderung -  in einem auch nur einigermaßen angemessenen Umfang durchgeführt.


Warum sind die Freiheit der Forschung und Demokratie gefährdet?

Durch die Bevorzugung der Bioökonomie wird der Erforschung ökologischer Landwirtschaft wie auch alternativer Wirtschafts- und Produktionsformen viel zu wenig Geld zur Verfügung gestellt. Der sich derzeit bildende Verbund aus Wirtschaftsunternehmen, staatlichen Forschungseinrichtungen oder staatlich geförderten Forschungsgesellschaften (wie z. B. der Fraunhofer Gesellschaft) und politischer Rahmensetzung, wird genauso wenig mit gesellschaftlichen Anspruchsgruppen demokratisch diskutiert, wie die viel grundsätzlichere Frage nach einer öffentlichen Willensbildung bezüglich der biotechnologischen Methoden, die die Grundlage für Bioökonomie bilden. Zwischen 2010 und 2016 werden im Rahmen der nationalen Forschungsstrategie Bioökonomie 2030 der Deutschen Bundesregierung 2,4 Milliarden Euro für Forschung zur Umsetzung der Bioökonomie zur Verfügung gestellt. Hier werden Macht und Geldspiele für einen Fortschrittsansatz gemacht, die am Ende zu einer neuen Lebenswelt führen werden. Ob die deutsche Gesellschaft dies will oder wollen sollte, steht bislang nicht zur Debatte.


Sie kritisieren auch das dahinterliegende Menschen- und Weltbild. Was ist daran problematisch?

Pflanzliches, tierisches, menschliches Leben hat viele Eigengesetzlichkeiten. Diese lassen sich in ihrer Komplexität nicht monotechnologisch reduzieren auf das Wissen um die Gene und ihre möglicherweise beliebige, auch artübergreifende Kombinierbarkeit. Leben hat, so auch grundgesetzlich nicht nur in Deutschland garantiert, eine eigene Würde. Es ist nicht nur Mittel zu Fortschrittszwecken, sondern stellt, so zumindest das christliche Menschen- und Lebensverständnis, einen Zweck an sich dar, es hat Eigenwerte. Ein die Würde und die Eigenwerte respektierendes Menschen- und Weltbild setzt der Nutzung von Leben Grenzen an der Freiheit, Selbständigkeit und Integrität der jeweils anderen Lebensform. Dies wird durch den bioökonomischen Ansatz, so wie er sich bislang präsentiert, ein keiner Weise anerkannt und zum Maßstab gemacht.


Welche Alternativen zur Bioökonomie haben Sie zu bieten?

Es gibt durchaus vorbildliche alternative Ansätze aus agrarökologischer, dezentraler, Gemeinwohl orientierter Sicht: So nutzt z.B. die Blue Economy, ein Fischzucht- und Treibhaus-System , das den Kot von Fischen als Dünger für Pflanzenbeete verwertet, die wiederum das Wasser filtern und so die Gesundheit der Fische erhalten. Gegenentwürfe einer nachhaltigen Wirtschaft mögen idealistisch klingen, sind aber risikoärmer und verantwortungsbewusster, Natur- und Umwelt schonender als die Bioökonomie. Alternativen gibt es zuhauf, so neben dem oben genannten Beispiel Lösungen in flexiblen regionalen Netzwerken mit weitgehend geschlossenen Stoffkreisläufen, einer der jeweiligen Erfordernissen angepassten lokalen Selbstversorgung mit regenerativen Energien, einer an Ernährungssouveränität und relativer Ernährungsautarkie orientierten Land- und Lebensmittelwirtschaft sowie einer je nach Bedarf erfolgenden lokalen, nationalen oder globalen Vernetzung von Wissen, Technologien und Finanzwirtschaft.

 
Franz-Theo Gottwald, Anita Krätzer: Irrweg Bioökonomie – Kritik an einem totalitären Ansatz. edition unseld. Berlin 2014

Franz Theo Gottwald ist Vorstand der Schweisfurth-Stiftung und Honorarprofessor für Agrar-, Ernährungs- und Umweltethik an der Humboldt Universität Berlin.