Julian Assange ist frei
In den Jubel mischt sich Wut: Das zwölfjährige Unrecht gegen die Pressefreiheit und einen wahrheitsliebenden Journalisten ist damit keineswegs aufgearbeitet oder wieder gut gemacht
Ein Jubel geht um die Welt: Wikileaks-Gründer Julian Assange ist frei. Aber in den Jubel mischt sich Wut: Das ist noch keine Gerechtigkeit. Die US-Regierung hat keineswegs ihr Unrecht eingesehen und sich entschuldigt. Im Gegenteil: für seine lange verdiente Freiheit wurde Assange gezwungen, sich mit der Biden-Regierung auf einen Deal zu einigen – und das Unrecht damit formell zu bestätigen. Seine Behandlung ist nach wie vor ein deutlicher Spiegel für den Zustand unserer bestehenden Kriegsgesellschaft – die sich immer noch als moralisch überlegender Demokratievorreiter feiert.
Nach 12 Jahren in britischer Haft – zunächst in der ecuardorischen Botschaft, dann in Isolationshaft im Hochsicherheitsgefängnis von Belmarsh – meldet WikiLeaks in der letzten Nacht:
Julian Assange ist frei. Er verliess das Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh am Morgen des 24. Juni, nachdem er 1.901 Tage dort verbracht hat, eingesperrt in einer kleinen Zelle für 23 Stunden am Tag. Er wurde vom High Court in London auf Kaution freigelassen und im Laufe des Nachmittags am Flughafen Stansted entlassen, wo er ein Flugzeug bestieg und Grossbritannien verliess. Dies ist das Ergebnis einer weltweiten Kampagne, die von Basisorganisationen, Aktivisten für die Pressefreiheit, Gesetzgebern und führenden Persönlichkeiten aus dem gesamten politischen Spektrum bis hin zu den Vereinten Nationen reichte.
Weiter heisst es:
Er wird bald wieder mit seiner Frau Stella Assange und ihren Kindern vereint sein, die ihren Vater nur hinter Gittern kennengelernt haben. WikiLeaks hat bahnbrechende Geschichten über Regierungskorruption und Menschenrechtsverletzungen veröffentlicht und die Mächtigen für ihr Handeln zur Rechenschaft gezogen. Als Chefredakteur hat Julian für diese Prinzipien und für das Recht der Menschen auf Wissen schwer bezahlt. Während er nach Australien zurückkehrt, danken wir allen, die uns beigestanden, für uns gekämpft und sich im Kampf für seine Freiheit engagiert haben. Julians Freiheit ist unsere Freiheit.
Der Deal sieht vor, dass Julian Assange sich für einen der Anklagepunkte schuldig bekennt, dafür für 62 Monate Haft verurteilt wird, die der Zeit entspricht, die er bereits in einem Hochsicherheitsgefängnis in London abgesessen hat. Also darf er nach seiner am Mittwoch geplanten Aussage auf den Nördlichen Marianen direkt in sein Heimatland Australien weiterreisen.
Mit der Freilassung von Assange findet die grausame Verfolgung eines mutigen Journalisten ihr Ende. Nicht aber die Attacke gegen die Pressefreiheit und die Botschaft jeder Kriegsherrschaft, die man so zusammenfassen könnte: «Seht was geschieht, wenn ihr unsere Verbrechen ans Licht bringt.»
Denn Assange hat getan, was jeder gute Journalist zu tun versucht: Er hat die Wahrheit über die ungeheure Kriegsverbrechen der USA im Irak-Krieg an die Öffentlichkeit gebracht. Diese als Staatsgeheimnis gewerteten Informationen hatte ihm die ehemalige Geheimdienstanalystin Chelsea Manning in den Jahren 2010 und 2011 geliefert.
«Geleakte» Videos zeigen u.a. ganz konkret den Mord an Zivilisten im Irak und die Misshandlung von Gefangenen in Guatanamo Bay. Es sind Bilder und Taten, wie sie in jedem Krieg zu finden sind. Sie zeigen das wahre Gesicht des Krieges – und damit jeder Gesellschaft, die Krieg, Bewaffnung oder Waffenlieferung irgendwie rechtfertigt. Es sind Bilder, die unterdrückt werden sollen – denn wir sollen ja kriegstauglich werden!
Wie Daniele Ganser schon seit Jahren sagt: «Die eigentlichen Kriegsverbrecher des Irak-Kriegs – Bush und Blair – gehen straffrei aus, während der, der über sie berichtet, bestraft wird.»
1901 Tag sass Assange in Isolationshaft, 23 Stunden täglich allein in einer Zelle. In einer Anklageschrift aus dem Jahr 2019 wurden ihm 18 Anklagepunkte wegen seiner angeblichen Rolle bei der Veröffentlichung vorgeworfen, die eine Höchststrafe von bis zu 175 Jahren Gefängnis nach sich zogen. Mittlerweile ist er unter den Haftbedingungen schwer erkrankt.
Wie kommt es zu dem plötzlichen Sinneswandel der USA? Vor kurzem schien es der US-Regierung unerlässlich, dass Assange an die USA ausgeliefert wird. Sind es Biden´s Wahlkampfüberlegungen, der wegen Gaza schon einen grossen Teil seiner jüngeren Wählerschaft zu verlieren droht?
Wenn es ein wirklicher Sinneswandel wäre, müsste Assange freigesprochen und entschädigt werden. Nein. Die USA haben ihr Ziel bereits erreicht, wie Milosz Matuschek schreibt: «Sie haben den wichtigsten Kritiker ihrer Machenschaften und Kriegsverbrechen über Jahre ausgeschaltet und gequält, die Auslieferungshaft war bereits die Strafe.»
Und sie haben ihre Botschaft deutlich platziert: «Wer unsere Verbrechen veröffentlicht, wird verfolgt und gebrochen.» Es ist die Botschaft jeder Kriegsherrschaft.
Der linke kolumbianische Präsident Gustavo Petro sagte in einer Erklärung:
Ich gratuliere Julian Assange zu seiner Freiheit. Die ewige Inhaftierung und Folter von Assange war ein Angriff auf die Pressefreiheit auf globaler Ebene. Das Massaker der US-Kriegsmaschinerie an der Zivilbevölkerung im Irak anzuprangern, war sein 'Verbrechen'; jetzt wiederholt sich das Massaker in Gaza.
Es ist ein Jubel – ja! – dass Julian endlich freigekommen ist. Wenn jemand jahrelang geprügelt wird, jubeln wir, wenn die Prügel endlich aufhört. Aber die Forderung nach Gerechtigkeit bleibt: Und da bedeutet letztlich, dass die wahren Verbrechen benannt und verfolgt werden. Nein, mir ist es nicht wichtig, dass irgendjemand verhaftet wird: Aber ich will, dass niemand Kriegsverbrechen anordnet, befiehlt oder daran gewinnt und gleichzeitig an der Macht bleiben darf. Echte Wiedergutmachung würde bedeuten, die heutigen Kriege – in Gaza, in der Ukraine, im Sudan, in Syrien – zu stoppen, jede Waffenlieferung einzustellen und in Verhandlung zu gehen. Oder, wie Stella Assange es in einem Statement sagt: «Was jetzt, mit Julians Freiheit beginnt, ist ein neues Kapitel im Kampf um Freiheit und Gerechtigkeit.»
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von:
Über
Christa Leila Dregger
Christa Dregger-Barthels (auch unter dem Namen Leila Dregger bekannt). Redaktionsmitglied des Zeitpunkt, Buchautorin, Journalistin und Aktivistin. Sie lebte fast 40 Jahren in Gemeinschaften, davon 18 Jahre in Tamera/Portugal - inzwischen wieder in Deutschland. Ihre Themengebiete sind Frieden, Gemeinschaft, Mann/Frau, Geist, Ökologie.
Weitere Projekte:
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Gerne empfehle ich Ihnen meine Podcast-Reihe TERRA NOVA:
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Darin bin ich im Gespräch mit Denkern, Philosophinnen, kreativen Geistern, Kulturschaffenden. Meine wichtigsten Fragen sind: Sind Menschheit und Erde noch heilbar? Welche Gedanken und Erfahrungen helfen dabei?
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