Kooperation statt Konfrontation: Super-Strategien der Natur

Unsere Autorin hat sich ausführlich mit Symbiosen beschäftigt und führt uns voller Begeisterung in das Thema ein.

Foto: Andre Moura

Leben ist immer ein soziales Dasein! Ein herausragendes Merkmal unseres irdischen Lebens ist das Miteinander. Gruppenbeziehungen finden wir bei allen Organismen – manchmal auch nur temporär, wie bei Hirschen zum Beispiel. Auch Pflanzen bevorzugen bestimmte, oft artfremde Freunde in ihrer Nähe. Botaniker kategorisieren daher unterschiedliche Vegetationsgesellschaften wie Halbtrockenrasen oder Nasswiesen, Moore, Sümpfe, Auwälder, Wacholderheiden, Bergwiesen und viele mehr.

Symbiosen

Eine Lebensgemeinschaft zwischen mindestens zwei diversen Spezies nennen wir Symbiose, von Griechisch syn = «zusammen» und bios = «leben». Für jeden Partner bedeutet diese Verbundenheit eine Verbesserung der Überlebenschancen – modern ausgedrückt: eine Win-win-Situation.

Im Gegensatz zu Chemie und Physik, die präzise auf Mathematik basieren, gilt in der Biologie, der Lehre vom Lebendigen, die Formel: 1 + 1 > 2 (und nicht: 1 + 1 = 2). Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile:

  • eine Zelle ist mehr als die Summe ihrer Bestandteile

  • ein vielzelliger Organismus ist mehr als die Summe seiner Zellen / Organe

  • unsere Lebensinformation (Erbgut) ist mehr als die Summe der Gene, Chromosomen oder Basenpaare

  • ein Leben ist mehr als die Abfolge von Tagen oder Jahren

Selbstverständlich mussten alle Lebewesen mit Zunahme der Artenvielfalt auch lernen, sich abzugrenzen und ihre Heimat, ihren Wuchsort zu sichern. Viele Tiere zeigen Revierverhalten, indem sie an den Grenzen patrouillieren und fremde Artgenossen vertreiben. 

Ebenso schützen Pflanzen ihren Standort vor aufdringlichem Fremdgrün. Birken zum Beispiel entziehen dem Boden rings um ihren Wuchsort viele Nährstoffe, so dass sich kaum (schattenspendende) Konkurrenz ansiedeln kann. Walnussbäume «markieren» ihren Platz mit eigenen Duftkreationen, die auf andere Pflanzen wuchshemmend wirken. 

So unterschiedlich die Abwehrstrategien auch sein mögen, gemeinsam ist ihnen, dass sie ihre vehemente Verteidigung NIE über ihre individuellen territorialen Gemarkungen fortsetzen. Tödliche Wurfgeschosse über alle Limitierungen hinweg dem Feind hinterher zu schiessen, ist eine miese menschliche Verfehlung. Eine missgünstige Marotte, die wahrscheinlich mit dem Sesshaft-Werden aufkam, seitdem wir persönliches Hab und Gut um uns herum anhäuften und sichern mussten. Unsere Angst vor Dieben und Einbrechern nahm zu und ebenso unsere Verteidigungstechniken.

Leider haben Aggression und Anfeindungen auch unseren Wortschatz infiltriert – wir reden über «aggressive Brennnesseln oder Zecken», «Kampf gegen Löwenzähne» oder von «Unkräutern als erbitterten Gegnern». Meist sind wir uns des kriegerischen und verurteilenden Vokabulars gar nicht bewusst. Würden wir genauer auf unsere Mitgeschöpfe schauen, sähen wir weitaus mehr Kooperation als Konfrontation. 

Denn Flora, Fauna, Fungi und Mikroorganismen verteidigen ausschliesslich, was unbedingt lebensnotwendig ist! 
 

Vertrauen statt Verhauen

Als eine der ersten Symbiosen des Lebens wird die Entstehung der Eukaryonten, der «echten» Zellen mit Zellkern, beschrieben. Statt ihre Kräfte im gegenseitigen Verdauen zu verschwenden, bildeten mindestens vier verschiedene, kernlose Prokaryonten eine Wohngemeinschaft: eine Alge, eine Cyanobakterie, eine Archäe sowie wahrscheinlich ein Virus. Ab jetzt profitierten sie alle von den besonderen Fähigkeiten der Verbündeten. 

Die Alge bietet Schutz und Unterkunft, die Cyanobakterie (später: Chloroplast) kann lustvoll in der Sonne lümmeln und deren Energie modifizieren, die Archäe (später: Mitochondrium) unterstützt die Zellaktivität mit wohldosierten Krafthäppchen und das Virus war vermutlich ausschlaggebend für die Herausbildung des Zellkerns. Diese Symbiose erschuf das sogenannte «höhere Leben» mit Zellkern und gut strukturierten Zellkompartimenten in einer Membranhülle, eingefasst von einer festen Zellwand. 

Die erste «echte Zelle», Basis allen höheren Lebens, war eine Pflanzenzelle! Ein Erfolgsmodell, auf dem alles sichtbare, vielzellige Leben um uns herum gründet. 

Für diese oben erläuterte «Endosymbionten-These» wurde die amerikanische Biologin Lynn Margulis (1938 – 2011) zunächst verspottet und gemoppt. Später erzielte sie weltweit Anerkennung und Preise. Sie erarbeitete darüber hinaus zusammen mit James Lovelock (1919 – 2022) die Gaja-Hypothese, die ebenfalls anfangs als «esoterisches Geschwafel» abgetan wurde. Mittlerweile ist wissenschaftlich anerkannt, dass das irdische Leben – allen voran die Pflanzen – unseren Gesteinsplaneten mit einer vitalen Haut überzogen hat und somit unsere Erde in eine lebendige Einheit verwandelt hat. 

 

Pilz packt Pflanze

Viele essentielle Evolutionssprünge wurden aufgrund überaus erfolgreicher Symbiosen unterschiedlichster Arten initialisiert. Ein weiteres Beispiel sind die Flechten als effektive Allianz zwischen Alge und Pilz. Erst in Union mit dem Pilzpotential waren die Pflanzen vor etwa 460 Millionen Jahren fähig, vom wässrigen Element an die Luft zu kriechen um das Leben auf dem Land zu etablieren und erblühen zu lassen. 

Um ihrer Hauptenergiequelle – der Sonne – näher zu kommen, lagerten sich viele grüne Einzeller zusammen. In diesem Konglomerat begannen sich erste Zellen zu spezialisieren, bis grössere Zellkomplexe zu echten pflanzlichen Vielzellern evolvierten. Diese Arbeitsteilung sparte viel Energie, die fortan in kreative Innovationen investiert werden konnte. 

Hand in Hand überzogen nun die Gewächse das vormals nackte Gestein mit einer lebendigen Epidermis; mit Moosen, Farnen, Bärlappen und in der Folge mit diversen Bäumen und Blütenpflanzen. Die Tiere folgten ihrer Nahrung wenig später und gemeinsam erschufen sie die vitale Vielfalt unserer heutigen Natur. 

 

Gemeinsam statt einsam

Egal wohin wir unsere Aufmerksamkeit lenken: Überall können wir die fruchtbare Zusammenarbeit von Partnerschaften erkennen. 

Die bekannteste Symbiose zwischen Flora und Fauna ist wohl die «Bienchen-Blümchen-Biologie», die die Präsenz der Blütenpflanzen so überaus erfolgreich fördert.

Wie im Wasser überliessen die Organismen auch nach dem Wechsel an die Luft zunächst ihre agilen Keimzellen (definiert als die «männlichen») dem sie umgebenden Element. Dafür mussten sie zahlreiche Spermien produzieren, von denen aufgrund der Masse wohl einige wenige die festsitzenden (definiert als die «weiblichen») Keimzellen derselben Art eher zufällig befruchten konnten. Ein enormer Aufwand für den Sinn des Lebens, die Ausbreitung. 

Vor etwa 150 Millionen Jahren wurde es farbenfroh im Blätterwald. Allen voran entwickelten Magnolien die ersten bunten Blätter. Wahrscheinlich lagerten sie vermehrt Farbstoffe (Prototypen der heutigen Flavanoide) in ihr exponiertes Blattgrün ein, um ein schädliches Übermass an Sonnenstrahlen abzuschirmen. Diese farbliche Besonderheit hatte Signalwirkung auf die herumkurvenden Insekten, die neugierig an den Farbtupfern verweilten und entspannt ein Scheisserchen hinterliessen. Somit bekam die unterirdische Wurzelfraktion von den Flugboten verstoffwechselte Nahrungshäppchen direkt geliefert. Ein positives Feedback für die Magnolien in zweifacher Hinsicht: Die farbigen Zonen schützen vor Verbrennung und ziehen bei geringer Energiebelastung Proviantlieferanten an. 

Aus dieser relativ unaufwendigen Koalition hat sich dann eine fantastische innovative Supersymbiose zwischen dem Reich der Pflanzen und dem der Tiere heraus kristallisiert, die wir heute noch bestaunen – und die den Energieaufwand für die Herstellung Myriaden von Spermata immens eindämmte. 
 

Wurzelwunder

Etwa 60 Millionen Jahre, nachdem sie kontinental geworden waren, hatten die Gewächse gelernt, sich in der (von ihnen erzeugten) Bodenschicht zu verankern. Seitdem verfügen sie über einen Körper, der gleichzeitig in der Erde und an der Luft existieren kann – manchmal sogar zusätzlich im Wasser, wie Mangroven. Eine physiologische Meisterleistung!

Ihre beiden sehr verschiedenen Wesenshälften mit jeweils unterschiedlichen Sinnesrezeptoren, die Anforderungen an Atmung und Wasserhaushalt sowie die entgegengesetzten Wachstumsrichtungen von Spross und Wurzel müssen von ihnen koordiniert und physiologisch disponiert werden. 

Dazu setzten die Pflanzen selbstverständlich wiederum auf das Prinzip der Symbiose und erkundeten zusammen mit Pilzfreunden die Finsternis. Die Hyphen der Schwammerl sind sehr viel feiner als Wurzelenden und können somit in kleinste Zwischenräume der Erdkrume dringen, um an Wasser, Stickstoff, Phosphate und andere Mineralstoffe zu gelangen. Diese tauschen sie mit den Wurzeln gegen Zuckerlis, die Photosyntheseprodukte der oberirdischen Pflanzenorgane. Seit mindesten 390 Millionen Jahren hat sich diese besondere Pilz-Pflanzen-Partnerschaft erfolgreich als Mykorrhiza etabliert, an der auch noch viele anderen Mikroorganismen beteiligt sind. Manche Wurzeln haben sich mittlerweile auf bestimmte Pilzvertraute spezialisiert, andere koalieren mit mehreren. 

Logischerweise kommunizieren die Symbionten auch miteinander: Pflanzen signalisieren den Partnern ihre Wünsche, Pilze informieren über ihr Angebot – und umgekehrt. Die im flüssigen Milieu gelösten Substanzen, die ausgetauscht werden, enthalten auch stets wichtige kommunikative Botschaften wie:

  • Angaben über Mangel oder Überfluss der Stoffe

  • Informationen zu Lokalitäten von Wasserquellen und Mineralien

  • Hinweise über die Richtung des Wurzelwachstums und vieles mehr 

Je tiefer ich eintauche in das Thema Symbiosen, umso faszinierter bin ich von dieser allübergreifenden Lebensstrategie. Sogar unser Nahrungskreislauf beruht – ebenso wie der Atmungskreislauf – auf der ausgeklügelten Kooperation zwischen Flora, Fauna, Fungi und Mikroorganismen, zu denen nach neusten Forschungsergebnissen auch die Viren unsagbar viel beitragen.

Erstaunlicherweise stellt sich mittlerweile heraus, dass das, was Du und ich bisher als unser individuelles Ego wahrgenommen haben, eine holobiontische Existenz mit zahlreichen kooperierenden Gemeinschaften und Gesellschaften darstellt. Auch unser Mikrobiom als zweites «Ich» hat Gesellschaft bekommen: unser Virom als drittes "Ich". Und gemeinsam ergeben sie einen vitalen Menschen. 



Weitere faszinierende PflanzenGeheimnisse könnt Ihr in meinem Buch «PflanzenGeflüster», AT Verlag 2020, erfahren: Felicia@KräuterSchule.eu
 


 

25. Mai 2023
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