Massenentlassungen und Sozialabbau in Deutschland nehmen Fahrt auf
Eine Auflistung der WSWS verdeutlicht das enorme Ausmass der Entlassungswelle — ganze Industriezweige sind vom Kahlschlag betroffen

Kleine und mittlere Unternehmen werden in Deutschland «massenhaft in die Insolvenz getrieben und zehntausende Arbeiter entlassen». Das berichtet das Portal World Socialist Web Site und liefert dazu die harten Fakten. Besonders pikant: Die von Christopher Lehmann zusammengetragenen Zahlen sind in dieser kompakten Form kaum an anderer Stelle zu finden. Womöglich nicht ohne Grund: Sie belegen die desaströse Lage der deutschen Wirtschaft rund 6 Monate nach Beginn der Sanktionen gegen Russland.

 

(auszugsweise)

  • Bei dem Teigwarenproduzenten Riesa Nudeln in Sachsen sind nach vier Wochen Streik erneut die Verhandlungen zwischen der Gewerkschaft NGG und der Unternehmerfamilie Freidler geplatzt. Den Mindestlohn von 12,51 Euro für viele der 140 Beschäftigten (neben davon nicht betroffenen 30-40 Leiharbeitern) wollte die Gewerkschaft NGG um einen Euro sofort und einen weiteren Euro irgendwann im kommenden Jahr anheben. Selbst dieses mickrige Angebot lehnte die Unternehmensführung ab.
  • Dr. Oetker hat angekündigt, 250 Millionen Euro jährlich einzusparen und in allen Bereichen des Unternehmens und allen 40 Produktionsländern Arbeitsplätze abzubauen.

Elektronik

  • Der neue Chef von Philips streicht 4000 von 78.000 Stellen im niederländischen Weltkonzern.
  • Bosch schliesst sein Werk in Arnstad, Thüringen, und setzt etwa 100 Beschäftigte vor die Tür. Dort wurden seit dem Jahr 2014 Lichtmaschinenregler produziert. Im ebenfalls in Thüringen gelegenen Eisenacher Werk beteiligten sich jüngst 600 Bosch-Kollegen an einem Warnstreik. In Bühl, Baden-Württemberg, sagte der Betriebsrat eine lang geplante Betriebsversammlung für alle drei Schichten kurzfristig ab, da seiner Aussage nach das Unternehmen deren Finanzierung kippte. Von ca. 3500 Beschäftigten will der Konzern 300 kündigen. Das Unternehmen verlagert seine Produktion nach Osteuropa, wo es nach Aussage des Betriebsratsvorsitzenden Tramonti keinen Kündigungsschutz, dafür aber einen 12-Stunden-Tag gibt.
  • Siemens Gamesa streicht weltweit 2900, d.h. rund 10 Prozent aller Stellen. Der Windanlagenbauer, eine Tochter des Energietechnikkonzerns Siemens Energy, will in Dänemark 800, in Spanien 475 und in Deutschland 300 Stellen streichen.

Chemie

  • Mit einem neuen Sparprogramm will BASF ab 2025 jährlich 500 Millionen Euro einsparen und Arbeitsplätze in noch nicht genannter Zahl abbauen. Im vergangenen Jahr kündigte BASF bereits 6000 Arbeitern. Die Stellenstreichungen sollen vor allem den Hauptstandort des Unternehmens in Ludwigshafen treffen, wo derzeit 39.000 von 110.700 Mitarbeitern beschäftigt sind. Dort sollen 250 Millionen eingespart werden.
  • Beim Chemiekonzern Grace in Worms, Rheinland-Pfalz, sollen 100 von 840 Stellen gekündigt werden. Insgesamt arbeiten derzeit 4300 Mitarbeiter in über 60 Ländern bei dem Unternehmen.

Metall und Bergbau

  • In Eisenhüttenstadt, Brandenburg, befinden sich 900 Stahlwerker in Kurzarbeit. Bei einem Protest im letzten Monat forderten sie ein Ende des Krieges in der Ukraine und bezahlbare Energie.
  • Auch in Nordenham, Niedersachsen, müssen 400 Arbeiter in Kurzarbeit, da die Zinkhütte ihre Produktion für ein ganzes Jahr aussetzen will.

Maschinenbau

  • Der Spezialmaschinenbauer Zippel in Neutraubling, Bayern, ist insolvent. 94 Beschäftigte verlieren ihren Arbeitsplatz.
  • Entgegen früheren Behauptungen will das Unternehmen FLSmidth, ein Fördertechnik-Anbieter, nun doch fast alle 140 Stellen am Standort St. Ingbert-Rohrbach zusammenstreichen. Das Unternehmen hatte erst im September das Werk von ThyssenKrupp gekauft.

Automobilindustrie

  • In Ingolstadt, Bayern, gibt es bei Audi bei zwei von drei Produktionslinien Schichtausfälle aufgrund von Lieferprobleme u.a. von Halbleitern. Die gesamte Automobilindustrie hatte schon zu Beginn des Nato-Stellvertreterkriegs in der Ukraine auch mit der Lieferung von Kabelbäumen zu kämpfen.
  • Opel-Partner Segula plant 250 von 750 Beschäftigten in Rüsselsheim, Hessen, vor die Tür zu setzen.
  • Das Ford-Werk in Saarlouis wird schrittweise stillgelegt. Von den 4600 Mitarbeitern werden rund 4000 entlassen. Das führt dazu, dass auch in den Zulieferbetrieben noch viele Tausend weitere Arbeitsplätze in der ohnehin strukturschwachen Region gestrichen werden.
  • Mercedes schickt bis zu 2500 Mitarbeiter in Bremen in Kurzarbeit.
  • Nach Protesten gegen die Entlassung von 690 Beschäftigten bei ZF (Zahnradfabrik Friedrichshafen) in Eitorf, NRW, hat sich die IG Metall eingeschaltet, um den Arbeitsplatzabbau „sozialverträglich“ zu organisieren.
  • Der Autozulieferer Schaeffler baut in Ingolstadt und Morbach 1300 weitere Stellen ab und betont: „Die Maßnahme soll möglichst sozialverträglich auf Basis der Zukunftsvereinbarung mit der IG Metall von 2018 erfolgen.“ In den kommenden Monaten sollen „zusammen mit den Arbeitnehmervertretern Standortkonzepte erarbeitet werden“.
  • Bei VW endet die Friedenspflicht des derzeitigen Haustarifs am 30. November 2022. Die neuen Verhandlungen haben Auswirkungen auf die Stammbelegschaft in Braunschweig, Wolfsburg, Kassel, Salzgitter, Hannover, Emden und weiteren Werken. Für die rund 125.000 Beschäftigten endete die erste Runde der Verhandlungen ergebnislos. Trotz einer historischen Rekorddividende für die Aktionäre, ähnlich wie bei Mercedes-Benz und BMW, fordert die Gewerkschaft nur wenig mehr als 8 Prozent, das heißt weit weniger als die Inflation.

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