Nervosität und Perspektivlosigkeit im Westen angesichts der Lage in der Ukraine
Der auch in Russland ausgebildete ehemalige Schweizer Generalstabsoffizier Ralph Bosshard Analysiert den Stand der Dinge

Die unangekündigte Reise des ukrainischen Staatspräsidenten Wladimir Zelensky zu seinem treusten Verbündeten in London zeugt von der Nervosität, die angesichts des möglichen Falls der Stadt Bakhmut und der erwarteten russischen Winteroffensive herrscht.
Am Vorabend der erwarteten russischen Offensive und des möglichen Falls von Bakhmut (Artemovsk) zeigt sich die Perspektivlosigkeit westlicher Politik erneut. Lange konnte der Westen eine Entscheidung herauszögern, aber der Entscheidungsdruck wächst.

Auszüge:

Im Kampf um Bakhmut zeigen sich die Diskrepanzen zwischen den Bedürfnissen des Informationskriegs und jenen der eigentlichen Operationsführung an der Front. Zelensky ahnt wohl, dass die Unterstützung des Westens nachlassen könnte, wenn er keine konkreten Erfolge vorzuweisen hat. Der Verlust der Stadt Bakhmut würde sich hier wohl negativ auswirken.

Andererseits droht jetzt der Verlust der wichtigsten Kräftegruppierung der ukrainischen Armee, wenn sie nicht rechtzeitig zurückgezogen wird. Gut und gerne 20 Brigaden der Ukraine stehen in und um Bakhmut, wo die Angehörigen der PMC Wagner schon fast im Zentrum der Stadt stehen. …

Wenn es den Russen gelingt, die Nachschublinien der Verteidiger zu unterbrechen, dann wendet sich die zahlenmäßige Stärke der Ukrainer in der Stadt gegen diese selbst. Es wird dann schwierig werden, die Truppen zu versorgen, aber auch sie zurückzuziehen. …

Momentan herrscht Rätselraten, wo die offenbar bevorstehende russische Offensive beginnt. Die dramatischen Prognosen für diese Offensive, die in den letzten Tagen herumgeboten wurden, können auch dazu dienen, die westliche Spendebereitschaft zu erhöhen. …

Mittelfristig ist zu erwarten, dass die Russen nahe an den politischen Grenzen der annektierten Gebiete liegende Hindernislinien suchen werden, hinter denen sie lange und mit möglichst geringem Aufwand die Verteidigung gegen die voraussichtlich weiterhin anrennenden Ukrainer führen können. …

Nachdem die ersten zwei Monate des Kriegs von einer Art Blitzkrieg geprägt gewesen waren, hat dieser nun den Charakter eines Abnützungskriegs angenommen. Dieser Wechsel ist sicherlich auch durch die Größe des ukrainischen Territoriums bedingt, welche der Ukraine eine gewisse strategischen Tiefe gab. …

Grundsätzlich ist es im Abnützungskrieg wichtig, dem Gegner immer einen Funken Hoffnung auf einen entscheidenden Sieg zu lassen, damit seine Bereitschaft, Truppen und Waffen in den Kampf zu werfen, erhalten bleibt. Gleichzeitig muss ein konstanter militärischer Druck auf den Gegner ausgeübt werden, damit sich dieser nicht erholen und frische Kräfte sammeln kann. …

Die Waffenlieferungen des Westens sind derzeit nicht nachhaltig, denn die systematische Zerstörung des Eisenbahn- und des Elektrizitätsnetzes in der Ukraine verzögert die Versorgung der Truppen an der Front mit allem Notwendigen wohl bedeutend. Die versprochenen Panzer aus dem Westen werden quasi tropfenweise im Operationsraum eintreffen. …

Der Westen muss derzeit der Krieg in der Ukraine in die Länge zu ziehen suchen, eine Eskalation vermeiden und einen, das Gesicht wahrenden Ausweg suchen. Eine andere Lösung hat er wahrscheinlich nicht. Das Gros der NATO-Mitgliedsländer wird keinen Krieg mit Russland riskieren, um ein ruiniertes und korruptes Land zu retten, das hinterher nichts mehr als eine riesige wirtschaftliche und soziale Last darstellen wird.

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