«Bewusste Irreführung»: Banken-Studie über Vollgeld
Die von der Bankiervereinigung vorgestellte Studie über die Folgen der Vollgeld-Initiative enthält trotz des wissenschaftlichen Anstrichs zahlreiche Fehler und Missverständnisse.
Vollgeld-Kampagnenleiter Thomas Mayer findet klare Worte: «Diese Gefälligkeitsstudie ist reine Abstimmungspropaganda, aber kein ernstzunehmender Beitrag zur öffentlichen Diskussion über die Vollgeld-Initiative. Wenigstens sind die dahinter stehenden Interessen transparent.» Die Vollgeld-Initiative will, dass alles Geld von der Nationalbank geschöpft wird. Dagegen wehrt sich die Bankiervereinigung und will, dass die Banken ihr wettbewerbsverzerrendes Privileg der Geldherstellung behalten.
Bankier-Professor ignoriert aktuelle wissenschaftliche Literatur
Der Autor der Studie, Prof. Philippe Bacchetta, wirft der Vollgeld-Initiative vor, diese habe «keine wissenschaftliche Grundlage» (Präsentation S. 17). Es gäbe kaum wissenschaftliche Literatur dazu (Studie S. 2) und «die meisten Analysen wurden von inzwischen verstorbenen Ökonomen aus einer anderen Epoche erstellt.» (Präsentation S. 23). Diese Zitate zeigen, dass Prof. Bacchetta die vielfältige aktuelle wissenschaftliche Literatur gar nicht kennt. Zum Beispiel untersuchte das Wirtschaftsprüfungsinstitut KPMG Island in einer Metastudie 14 akademische Studien über die Vollgeldreform aus den Jahren 2010 und 2016. Die Studien zeigen, dass Vollgeld mehr Arbeitsplätze, sichere Konten und Wirtschaftswachstum generiert. In dem Bacchetta-Papier finden diese Studien keine Erwähnung. Prof. Bacchetta schafft es nicht einmal das Standardwerk «Monetäre Modernisierung» von Prof. Joseph Huber, einem Vordenker für die Vollgeldreform, zu zitieren, sondern zieht stattdessen ein alte und kurze Publikation von Prof. Huber heran, um dann zu kritisieren, dass darin nicht alle Fragen beantwortet seien.
Studie von IWF-Ökonomen wird falsch dargestellt
Zwei IWF-Ökonomen haben 2012 in einer Modellrechnung die Vorteile von Vollgeld nachgewiesen. Prof. Bacchetta behauptet nun, dass dieses IWF-Papier nicht für die Vollgeld-Initiative herangezogen werden könne, da in dem von den IWF-Mitarbeitern zugrunde gelegten Modell die schuldfreie Auszahlung von neuem Geld an den Staat und die Bürgerinnen und Bürger sowie die Steuerung der Geldmenge durch die Zentralbank nicht enthalten sei (Präsentation S. 8, 11). Das ist aber falsch, diese beiden Aspekte der Vollgeldreform gehören zu den Kernelementen der IWF-Studie, was jeder leicht nachlesen kann. Thomas Mayer: «Die Bankiervereinigung betreibt eine bewusste Irreführung der Öffentlichkeit.»
Keine höheren Kosten für Kunden
Prof. Bacchetta behauptet weiter, dass die Kunden für Vollgeld-Konten mehr bezahlen müssten. Auch diese Aussage kann entkräftet werden: Nach der Vollgeld-Umstellung sind höhere Kontogebühren unwahrscheinlich, da erstens der Markt – genau wie heute – spielt und die Banken gegeneinander konkurrieren müssen. Das günstigste Vollgeld-Konto würde also das beliebteste. Zweitens entstehen den Banken in Zeiten des Null-Zinses durch Vollgeld keine höheren Kosten. Denn ob eine Bank kostenlos selbst Geld schöpft oder zu Null Prozent Zins von der Nationalbank leiht, macht für sie keinen Unterschied. Deshalb verlieren sie mit der Vollgeldreform auch nichts und müssen auch keine zusätzlichen Kosten an die Kunden weiterverrechnen.
Traue keiner Statistik, die du nicht selbst...
Die zentrale Aussage von Prof. Bacchetta bezieht sich auf die volkswirtschaftlichen Kosten der Vollgeld-Initiative. Er behauptet, dass sich die Kosten auf etwa 0,8 % des Bruttoinlandsprodukts (BIP) belaufen würden (Präsentation S. 8). Diese Zahl ist unsinnig, schon allein aus folgenden vier Gründen:
1 Die Berechnung bezieht sich auf den Zeitraum 1984 bis 2006, einen Zeitraum mit wesentlich höheren Zinsen (im Durchschnitt 4 Prozent auf Staatsanleihen). Dieser Zeitraum hat aber sehr wenig mit der gegenwärtigen Situation nach der Finanzkrise 2008 mit Null- und Negativzinsen zu tun. Warum nur bezieht sich Prof. Bacchetta nicht auf die Jahre 2007 bis 2017? Die Antwort gibt die Bankiervereinigung in ihrer Präsentation selbst: «In der aktuellen Situation sind die Auswirkungen vernachlässigbar: Zinsen bewegen sich um Null herum und die Höhe der Reserven bei der SNB entspricht ungefähr der Höhe der Sichteinlagen.» (S. 12) In Klartext übersetzt: Vollgeld kostet den Banken und Bankkunden nichts, die Zahl 0,8% des BIP ist reine Angstmacherei.
2 Prof. Bacchetta berücksichtigt nicht, dass mit der Vollgeldreform niemand auf Zinseinkünfte verzichten muss. Zwar gibt es bei Vollgeld auf Privatkonten keinen Zins mehr, da Buchgeld wie Bargeld wird, aber jederzeit können die Kunden über ein Sparkonto den Banken Geld gegen Zinsen verleihen und damit Zinseinnahmen erzielen. Die von Prof. Bacchetta behaupteten Zinsverluste der Bankkunden gibt es deshalb gar nicht.
3 Es ist richtig, dass insbesondere die Grossbanken – wenn irgendwann die Zinsen wieder steigen – auf Gewinne aus der Geldschöpfung verzichten müssen, stattdessen profitiert daran die Allgemeinheit. Die Volkswirtschaft als Ganzes wird durch diese gerechtere Verteilung aber nicht belastet.
4 Prof. Bacchetta macht einen wesentlicher Irrtum, indem er für die öffentlichen Geldschöpfungsgewinne nur mit den Zinseinnahmen der SNB rechnet und die originären Seigniorage-Einnahmen aus der Geldschöpfung vernachlässigt. Zum Veranschaulichen: Eine 1000er-Note hat Druckkosten von 30 Rappen, hat aber einen Wert von 1000 Franken. Das heisst, es sind 999,70 Franken Erlös aus der Geldherstellung möglich. Die Herstellung von elektronischem Geld ist noch billiger und somit die Seigniorage-Differenz zum Nennwert noch grösser. Ausser bei der Münzherstellung wurden diese Erlösmöglichkeiten bisher nicht genutzt. Aus systemischen Gründen profitieren auch die Geschäftsbanken nicht von dieser Seigniorage. Erst mit der Vollgeldreform wird dieses bisher nicht nutzbare Potenzial realisierbar. Die Banken und Bankkunden verlieren nichts, aber die Allgemeinheit hat pro Jahr – je nach Wirtschaftswachstum – zwischen 3 und 10 Milliarden zu gewinnen. Anstatt volkswirtschaftlicher Kosten entsteht durch die Vollgeldreform ein volkswirtschaftlicher Gewinn. …
Fragwürdige Studien-Absender
Die Studie von Prof. Bacchetta trägt den Absender der Universität Lausanne, aber auch vom Swiss Financing Institut und einer Organisation namens CEPR Centre for Economic Policy Research. Während die Glaubwürdigkeit der Universität Lausanne ausser Zweifel steht, ist die Unabghängigkeit der beiden letztgenannten in Frage zu stellen. Sie werden überwiegend von Banken finanziert. Die Finanzierung des CEPR besteht unter anderem aus Beiträgen von 23 privaten Banken. Ausserdem wurde die Studie von der Schweizerischen Bankiervereinigung finanziert. Die Glaubwürdigkeit der Studie ist grundsätzlich in Frage zu stellen.
Weitere Informationen
Die Studie und Präsentation der Bankiervereinigung vom 27. Juni 2017
Unterschied 100%-Money (Chicago-Plan) und Vollgeld, synoptische Darstellung
Meta-Studie KPMG über 14 wissenschaftliche Papers zu Vollgeld
Beim IWF publizierte Studie zum Vorläufer der Vollgeldreform
Geldschöpfungsgewinne der Nationalbank mit Vollgeld
Schweizer Banken verdienen fast 3 Milliarden pro Jahr dank Zinsen auf selbst hergestelltes Geld - Medienmitteilung und Studie
Finanzierungsliste des CEPR
Raffael Wüthrich ist Pressesprecher der Vollgeld-Initiative.
Bankier-Professor ignoriert aktuelle wissenschaftliche Literatur
Der Autor der Studie, Prof. Philippe Bacchetta, wirft der Vollgeld-Initiative vor, diese habe «keine wissenschaftliche Grundlage» (Präsentation S. 17). Es gäbe kaum wissenschaftliche Literatur dazu (Studie S. 2) und «die meisten Analysen wurden von inzwischen verstorbenen Ökonomen aus einer anderen Epoche erstellt.» (Präsentation S. 23). Diese Zitate zeigen, dass Prof. Bacchetta die vielfältige aktuelle wissenschaftliche Literatur gar nicht kennt. Zum Beispiel untersuchte das Wirtschaftsprüfungsinstitut KPMG Island in einer Metastudie 14 akademische Studien über die Vollgeldreform aus den Jahren 2010 und 2016. Die Studien zeigen, dass Vollgeld mehr Arbeitsplätze, sichere Konten und Wirtschaftswachstum generiert. In dem Bacchetta-Papier finden diese Studien keine Erwähnung. Prof. Bacchetta schafft es nicht einmal das Standardwerk «Monetäre Modernisierung» von Prof. Joseph Huber, einem Vordenker für die Vollgeldreform, zu zitieren, sondern zieht stattdessen ein alte und kurze Publikation von Prof. Huber heran, um dann zu kritisieren, dass darin nicht alle Fragen beantwortet seien.
Studie von IWF-Ökonomen wird falsch dargestellt
Zwei IWF-Ökonomen haben 2012 in einer Modellrechnung die Vorteile von Vollgeld nachgewiesen. Prof. Bacchetta behauptet nun, dass dieses IWF-Papier nicht für die Vollgeld-Initiative herangezogen werden könne, da in dem von den IWF-Mitarbeitern zugrunde gelegten Modell die schuldfreie Auszahlung von neuem Geld an den Staat und die Bürgerinnen und Bürger sowie die Steuerung der Geldmenge durch die Zentralbank nicht enthalten sei (Präsentation S. 8, 11). Das ist aber falsch, diese beiden Aspekte der Vollgeldreform gehören zu den Kernelementen der IWF-Studie, was jeder leicht nachlesen kann. Thomas Mayer: «Die Bankiervereinigung betreibt eine bewusste Irreführung der Öffentlichkeit.»
Keine höheren Kosten für Kunden
Prof. Bacchetta behauptet weiter, dass die Kunden für Vollgeld-Konten mehr bezahlen müssten. Auch diese Aussage kann entkräftet werden: Nach der Vollgeld-Umstellung sind höhere Kontogebühren unwahrscheinlich, da erstens der Markt – genau wie heute – spielt und die Banken gegeneinander konkurrieren müssen. Das günstigste Vollgeld-Konto würde also das beliebteste. Zweitens entstehen den Banken in Zeiten des Null-Zinses durch Vollgeld keine höheren Kosten. Denn ob eine Bank kostenlos selbst Geld schöpft oder zu Null Prozent Zins von der Nationalbank leiht, macht für sie keinen Unterschied. Deshalb verlieren sie mit der Vollgeldreform auch nichts und müssen auch keine zusätzlichen Kosten an die Kunden weiterverrechnen.
Traue keiner Statistik, die du nicht selbst...
Die zentrale Aussage von Prof. Bacchetta bezieht sich auf die volkswirtschaftlichen Kosten der Vollgeld-Initiative. Er behauptet, dass sich die Kosten auf etwa 0,8 % des Bruttoinlandsprodukts (BIP) belaufen würden (Präsentation S. 8). Diese Zahl ist unsinnig, schon allein aus folgenden vier Gründen:
1 Die Berechnung bezieht sich auf den Zeitraum 1984 bis 2006, einen Zeitraum mit wesentlich höheren Zinsen (im Durchschnitt 4 Prozent auf Staatsanleihen). Dieser Zeitraum hat aber sehr wenig mit der gegenwärtigen Situation nach der Finanzkrise 2008 mit Null- und Negativzinsen zu tun. Warum nur bezieht sich Prof. Bacchetta nicht auf die Jahre 2007 bis 2017? Die Antwort gibt die Bankiervereinigung in ihrer Präsentation selbst: «In der aktuellen Situation sind die Auswirkungen vernachlässigbar: Zinsen bewegen sich um Null herum und die Höhe der Reserven bei der SNB entspricht ungefähr der Höhe der Sichteinlagen.» (S. 12) In Klartext übersetzt: Vollgeld kostet den Banken und Bankkunden nichts, die Zahl 0,8% des BIP ist reine Angstmacherei.
2 Prof. Bacchetta berücksichtigt nicht, dass mit der Vollgeldreform niemand auf Zinseinkünfte verzichten muss. Zwar gibt es bei Vollgeld auf Privatkonten keinen Zins mehr, da Buchgeld wie Bargeld wird, aber jederzeit können die Kunden über ein Sparkonto den Banken Geld gegen Zinsen verleihen und damit Zinseinnahmen erzielen. Die von Prof. Bacchetta behaupteten Zinsverluste der Bankkunden gibt es deshalb gar nicht.
3 Es ist richtig, dass insbesondere die Grossbanken – wenn irgendwann die Zinsen wieder steigen – auf Gewinne aus der Geldschöpfung verzichten müssen, stattdessen profitiert daran die Allgemeinheit. Die Volkswirtschaft als Ganzes wird durch diese gerechtere Verteilung aber nicht belastet.
4 Prof. Bacchetta macht einen wesentlicher Irrtum, indem er für die öffentlichen Geldschöpfungsgewinne nur mit den Zinseinnahmen der SNB rechnet und die originären Seigniorage-Einnahmen aus der Geldschöpfung vernachlässigt. Zum Veranschaulichen: Eine 1000er-Note hat Druckkosten von 30 Rappen, hat aber einen Wert von 1000 Franken. Das heisst, es sind 999,70 Franken Erlös aus der Geldherstellung möglich. Die Herstellung von elektronischem Geld ist noch billiger und somit die Seigniorage-Differenz zum Nennwert noch grösser. Ausser bei der Münzherstellung wurden diese Erlösmöglichkeiten bisher nicht genutzt. Aus systemischen Gründen profitieren auch die Geschäftsbanken nicht von dieser Seigniorage. Erst mit der Vollgeldreform wird dieses bisher nicht nutzbare Potenzial realisierbar. Die Banken und Bankkunden verlieren nichts, aber die Allgemeinheit hat pro Jahr – je nach Wirtschaftswachstum – zwischen 3 und 10 Milliarden zu gewinnen. Anstatt volkswirtschaftlicher Kosten entsteht durch die Vollgeldreform ein volkswirtschaftlicher Gewinn. …
Fragwürdige Studien-Absender
Die Studie von Prof. Bacchetta trägt den Absender der Universität Lausanne, aber auch vom Swiss Financing Institut und einer Organisation namens CEPR Centre for Economic Policy Research. Während die Glaubwürdigkeit der Universität Lausanne ausser Zweifel steht, ist die Unabghängigkeit der beiden letztgenannten in Frage zu stellen. Sie werden überwiegend von Banken finanziert. Die Finanzierung des CEPR besteht unter anderem aus Beiträgen von 23 privaten Banken. Ausserdem wurde die Studie von der Schweizerischen Bankiervereinigung finanziert. Die Glaubwürdigkeit der Studie ist grundsätzlich in Frage zu stellen.
Weitere Informationen
Die Studie und Präsentation der Bankiervereinigung vom 27. Juni 2017
Unterschied 100%-Money (Chicago-Plan) und Vollgeld, synoptische Darstellung
Meta-Studie KPMG über 14 wissenschaftliche Papers zu Vollgeld
Beim IWF publizierte Studie zum Vorläufer der Vollgeldreform
Geldschöpfungsgewinne der Nationalbank mit Vollgeld
Schweizer Banken verdienen fast 3 Milliarden pro Jahr dank Zinsen auf selbst hergestelltes Geld - Medienmitteilung und Studie
Finanzierungsliste des CEPR
Raffael Wüthrich ist Pressesprecher der Vollgeld-Initiative.
05. Juli 2017
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