Die Schweiz darf Kosovo jetzt nicht anerkennen

Eine persönliche Stellungnahme des Kantonsrats Daniel Vischer (Grüne/ZH)

Ich vertrete in dieser Sache keine Partei. Ich bin mithin auch kein
serbischer Parteigänger, als der man bald einmal hingestellt wird, folgt man
nicht einem verbreiteten auch links-grünen mainstream. Ich bin im Vorstand
der Gesellschaft Schweiz Islam, vertrete mithin in der Schweiz die
Interessen der Kosovo Albaner bezüglich Religionsfreiheit, Schulförderung
etc.. Hingegen war ich nie der Meinung, die Serben trügen an der Zerstörung
Jugoslawiens die massgebliche Schuld, sie beruhte vielmehr auf einer
Verkettung sehr vieler Ursachen. Innerhalb der grünen und linken Szene in
diesem Lande beschlägt dies eher einen Minderheitsstandpunkt, das stimmt.  


Zur Frage der Anerkennung der Unabhängigkeit, stehen folgende Ueberlegungen im Vordergrund:

-Eine Unabhängkeitserklärung mit völkerrechtlicher Relevanz kann nicht
einseitig erfolgen. Die des Kosovo erfolgte zur Unzeit und gegen die
Beschlusslage der massgeblichen völkerrechtlichen Institutionen. Für die
Unabhängigkeit gerade zum jetzigen Zeitpunkt gibt es nicht eine
völkerrechtlich legitime Voraussetzung. Was völkerrechtlich gilt, kann nur
nach rechtspositivistischer Auffassung geklärt werden - es gelten die in
Kraft stehenden durch die zuständigen Organe des Völkerrechtes erlassenen
Rechtssätze.

- Die nötigen Voraussetzungen der UNO liegen nicht vor. Das Argument, die
UNO sei nicht handlungsfähig wegen des Vetos Russlands und auch Chinas,
sticht nicht. Die Grundlagen der UNO gelten in allen anderen Fällen auch.
Ein Sonderrecht, wenn andere Staaten in Vetoposition sind, für sich
abzuleiten, gehört seit langem zur Spezialität  der amerikanischen (und
israelischen) Aussenpolitik und ist neu ein besonderes Markenzeichen der
Bush Administration, für welche die UNO gar nicht existiert - siehe
Golfkrieg, Iran- und Israelpolitik. Für Grüne, die sich als Vorreiter des
Völkerrechts verstehen, kann dies nicht Massgabe sein. 

- Die Unabhängigkeitserklärung wäre nie erfolgt, wäre die Regierung Thaci
von den USA nicht auf Grund eigener strategischer Interessen - und später
einem Teil der EU - Sarkozy war anfänglich zurückhaltend, nun hat er
endgültig mit der gaullistischen Tradition Frankreichs gebrochen - geradezu
zu diesem Schritt gedrängt worden. Dass die Schweiz in diesem unrühmlichen
Spiel mit mischelte, ist ein Kapitel für sich.

- Von einer europäischen Dimension zu sprechen, ist unpräzis und evoziert
falsche historische Voraussetzungen. Im Kosovo kumulieren gegen Russland
gerichtete handfeste amerikanische Militär- und Oelinteressen: Gas- und
Oel-Pipeline vom kaspischen Meer in das Mittelmeer, neuer Militärstützpunkt
mit 6'000 GI's.

- Das Selbstbestimmungsrecht war für die USA bislang ohnehin noch nie
massgeblicher Faktor ihrer Aussenpolitik, rekurrieren sie darauf, dient dies
einzig der Kaschierung eigener Hegemonialpolitik. Europa seinerseits
bekundet heute aus eigenen Sicherheits- und Rohstofinteressen keinerlei
Interesse an alter und vor allem an neuer Militärpräsenz der Amerikaner in
Europa. Diese richtet sich gegen die neuen Realitäten der Gewichte der
Weltpolitik bezüglich der Aufteilung der Ressourcen und zielt auf die
weitestmögliche Ausschaltung Russlands und indirekt auch Chinas in der
Rohstoffpolitik. Die amerikanische Kosovo Politik ist diesbezüglich mit
ihrer Iranpolitik identisch.

- Es war nota bene auch nicht die EU, die die USA zum Sonderstatus im Kosovo
eingeladen hätte. Von einer europäischen Zukunftsperspektive in
Ex-Jugoslawien zu sprechen, tönt zwar gut, verkennt aber die Entwicklung
seit 1990. Das postjugoslawische Staatengebilde kann bei bestem Willen nicht
als positiver Ausfluss einer Friedenspolitik der EU charakterisiert werden.
Die Zerschlagung Jugoslawiens zielte auf die Zerschlagung eines
multiethnischen Staates, wofür endogene, hauptsächlich aber eben auch
exogene Konstellationen massgeblich waren.

- Deutschland und alsbald die damalige EU, waren an der Zerstückelung
Jugoslawiens, für die es keinen Grund gab, schon gar nicht einen
europäischen, von allem Anfang an beteiligt. Vorerst schien es, als ginge es
um eine neue Grenzziehung Europas entlang der Grenze der Drina, mithin eine
Ausgrenzung des christlich orthodoxen Teiles entlang der ehemaligen Grenzen
Oesterreich- Ungarns - die Brücke von Ivo Andric lesen. Die von Deutschland
erzwungene vorschnelle Anerkennung Kroatiens und Sloweniens setzten ein
falsches Fanal, eigne wirtschaftliche Interessen waren fraglos mit im Spiel.
Fast machte es zudem den Anschein, als sei Deutschland wieder in die
Position weiland Bismarck's zurückgefallen. Die neuen antiserbischen Töne
glichen sich fast wörtlich an jene der Bismarck Zeit an.

- Damit verband sich das Interesse der USA, die Einflusssphäre Russlands zu
schwächen. Der Kosovo war an der Seite Kroatiens, des Hauptfeindes der
Serben, was sich auf Grund der eigenen Unterdrückungssituation, die niemand
leugnet, wiederum von selbst verstand. Die amerikanischen Sonderinteressen
eines neuen möglichen Stützpunktes in geopolitisch zentraler Lage kamen
zusätzlich hinzu.  

- Natürlich entwickelte sich eine Eigendynamik, bei der die serbische
Politik zum Debakel wesentlich mit beitrug, sie kann indes nicht als haupt-
oder gar alleinschuldig angesehen werden. Nachdem die Schranken gefallen
waren, war jede "Volksgruppe" auf ethnische Säuberung des von ihr
reklamierten Territoriums aus, die christlich orthodoxen Serben, die
katholischen Kroaten und die muslimischen Bosnier, nun auch die muslimischen
Kosovo Albaner (s.u.).

- Dass das damals nicht gesehen wurde, erscheint auf Grund des Jubels nach
dem Fall der Mauer als noch einigermassen verständlich, es heute einfach
auszublenden, macht eine Analyse im mindesten unvollständig. Richtig ist:
die Geschichte darüber ist noch nicht geschrieben - was umso mehr zur
Vorsicht gegenüber Einseitigkeiten mahnt. Aber es mehren sich gewichtige
Stimmen der Kritik am blinden Vorgehen Deutschlands und der EU - zum
Beispiel jene Helmuth Schmidts.

- Deshalb ist es aus zwei Gründen falsch, die europäische
Zukunftsperspektive, die durch die Unabhängigkeit des Kosovo's forciert
würde, in den Vordergrund zu stellen. Zum einen, weil der Kosovo vornehmlich
eine nicht auf europäische Interessen ausgerichtetes "US-Protektorat" ist
und weiterhin sein wird. Zum anderen, weil die EU bislang keine glaubwürdige
Perspektive für alle Länder Ex Jugoslawiens entwickelt hat. 


- Zudem: die Spanier wissen, warum sie gegen die sofortige Anerkennung sind,
obgleich die EU nie die Unabhängigkeit Katalaniens oder des Baskenlandes
gegen Spanien anerkennen würde. Das gleiche gilt für Nordirland. Die EU
verfügt bezüglich einseitiger Unabhängigkeitswünschen mithin über überhaupt
keine einheitliche Strategie.

- Die Anerkennung des Kosovo's erfolgt heute nur, weil die EU gegenüber den
USA einmal mehr ins Hintertreffen geraten ist, und zu eigenständigen
Lösungen nicht fähig war. Nicht die EU hat den Gang der Entwicklung
diktiert, sondern die USA! Insofern ist es gerade nicht so, dass die
Europäer hier ihre eigene Situation klären, sie werden vielmehr zu
"Geklärten".

- Als Randnotiz:  Wer würde in der Schweiz eine einseitige
Unabhängkeitserklärung des Jura ohne Einbettung in ein Abkommen mit der
Eidgenossenschaft hinnehmen, obgleich objektiv die drei Voraussetzungen für
die Unabhängigkeit objektiv ebenfalls erfüllt wären.

- Mit der Anerkennung des Kosovo als unabhängiger Staat werden früher oder
später alle nicht albanischen Minderheiten de facto vertrieben. Die
Staatsgründung basiert mithin de facto auf ethnischer Säuberung, um die zu
verhindern anfänglich der Westen in den Krieg zog - in der Essenz sind sie
nun fast durchgängig verwirklicht, pikanterweise ist heute Serbien (ohne
Kosovo) der Staat mit den meisten ethnischen Minderheiten. 

- Den gegenteiligen Beweis hätten die jetzige kosovarische Regierung und die
Schutzmächte erbringen können und müssen. Ihr diesbezügliches Versagen ist
eklatant. Nun zu bekennen, sich für die Rechte der Minderheiten vehement
einzusetzen, ist bestenfalls gut gemeint, vorgebracht, weil natürlich dieser
Schwachpunkt von niemandem negiert werden kann. Die Realpolitik der
Beteiligten hat ihn aber negiert. Wer den Kosovo in seiner forcierten
Unabhängigkeit bestärkt, nimmt die Vertreibung in Kauf.

- Der Kosovo kann nicht einfach als originärer Sonderfall bezeichnet werden.
Wer dies vertritt, übernimmt einfach den historischen Standpunkt der Albaner
(des Kosovo), der sich - mindestens in dieser Einseitigkeit - kaum
historisch belegen lässt. Völkerrechtlich jedoch war und ist der Kosovo ein
Teil von Serbien. Jede Ethnie, die für sich die staatliche Unabhängigkeit
reklamiert, wird sich zur Legitimation als originären Sonderfall bezeichnen.


- Man kann mithin für oder gegen die Unabhängigkeit des Kosovo sein, aber
man kann nicht im Ernst sagen, die Situation präsentiere sich
völkerrechtlich anders als in Kurdistan, im Baskenland, im Jura oder in
Nordirland. Eine andere Qualität beschlägt das Recht auf einen eigenen Staat
Palästinas. Da geht es nicht um Sezession, sondern um die Beendigung der
Besatzung und die Rückkehrmachung der Massenvertreibung. Immerhin liegt seit
1967 die UNO Resolution 242 vor, weder die USA noch die EU haben sich
indessen bislang ernsthaft zum Handeln gemüssigt gesehen, was nur zeigt, wie
wenig berechtigt diese Staaten sind, sich auf universale Prinzipien zu
berufen.       

- Die Unabhängigkeit des Kosovo's wird früher oder später zur Realität
werden. Es besteht indessen kein Grund, deren einseitigen Forcierung gegen
das Völkerrecht zum Durchbruch zu verhelfen. Das gereichte Europa nicht zur
Stärkung, sondern brächte es in den unrühmlichen völkerrechtswidrigen Sog
der Amerikaner gegenüber dem Rest der Welt. Im jetzigen Jubel geht das
vielleicht unter. Alsbald werden aber die Töne kritischer.

- Für die Schweiz, die bislang unter Bundesrätin Calmy-Rey in den letzten
zwei Jahren bezüglich Anerkennung eine unrühmliche Rolle gespielt hat, was
von Teilen unserer Fraktion auch öffentlich zum Ausdruck gebracht wurde,
besteht kein Grund zur Anerkennung in den nächsten Tagen. Die Lage der
Minderheiten hat sich nicht geändert, es gibt keinen völkerrechtlichen
Status. Schliesslich stellt sich aber auch die Frage: wie kann ein de facto
Protektorat unabhängig sein? Es ist an der zeit, dass die Schweiz ihre
diesbezügliche Politik überdenkt.

- Es müsste auch ausführlicher dargelegt werden, was die innenpolitischen
Gründe für eine sofortige Anerkennung wären. Ohnehin muss geklärt werden, ob
und wie die bisherigen Sonderbeziehungen der Schweiz im Kosovo
weiterbestehen sollen. Ich verweise auf die Ablehnung der Grünen einer
Weiterführung von Swisscoy - für die SP ist deren Fortsetzung gerade Teil
ihrer Anerkennungsstrategie, was unterschiedliche Ausgangspositionen
markiert!

- Natürlich gäbe es auch zum heutigen Gesicht des Kosovo, eine Mischung
zwischen amerikanischem Protektorat und hypermafiösen Strukturen,
zusätzliches zu sagen. Paradoxerweise ist es die DEA, die amerikanische
Drogenbehörde, welche den Kosovo als einer der weltweit grössten
Drogenumschlagplätze bezeichnet. Niemand soll mithin sagen, mit der
Unabhängigkeit des Kosovo entstehe in Ex Jugoslawien ein zukunftsträchtiger
Staat auf eigenwirtschaftlicher und rechtsstaatlicher Grundlage.

ALS FAZIT BLEIBT: WER JETZT ANERKENNT, WIDERSETZT SICH DEM VOELKERRECHT, BEGEUNSTIGT DIE VERTREIBUNG VON MINDERHEITEN UND PROTEGIERT EIN PROTEKTORAT DER USA UND VON TEILEN DER EU.

Seltsamerweise ist für einige die Moral auf der Seite des Kosovo. Was zeigt,
dass eben endlich das Völkerrecht und nicht die Moral vorrangig sein sollte.
Da sind wir wieder beim Streit Luhmann - Habermas.

Daniel Vischer, 23.2.08

25. Februar 2008
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