Warum positives Denken überdacht werden sollte

Selbsthilfe-Ratgeber und Coaches verdienen ein Vermögen damit, uns beizubringen, positiv zu denken: Wir sollen uns vorstellen, wir hätten das, was wir uns wünschen, bereits erreicht. Wenn es nur so einfach wäre.

Wenn wir uns auf die Energie des idealen Lebenspartners oder des Traumjobs einschwingen, ziehen wir dank des «Gesetzes der Anziehung» unweigerlich das Begehrte in unser Leben. Tatsächlich geht es uns dadurch zunächst auch besser, denn unser Gehirn unterscheidet nicht zwischen Phantasie und Realität. Wir entspannen – und haben so weder Antrieb noch Energie, aktiv etwas zum Erreichen unserer Ziele zu tun. Umfassende Studien belegen, dass positiv Denkende sich nicht anstrengen und infolgedessen schlechtere Ergebnisse erzielen als jene, die mental nüchtern ausgerichtet sind – was wiederum dazu führt, dass auf das kurzfristige Hoch eine langfristige Verschlechterung des Befindens folgt. Über einen längeren Zeitraum hinweg kann positives Denken sogar die Wahrscheinlichkeit von depressiven Erscheinungen erhöhen.

Über einen längeren Zeitraum hinweg kann positives Denken sogar die Wahrscheinlichkeit von depressiven Erscheinungen erhöhen.

Der Zusammenhang zwischen visualisierter Wunscherfüllung und Misserfolg wird seit mehr als zwei Jahrzehnten immer wieder wissenschaftlich belegt – und immer wieder ignoriert. Positives Denken gestattet uns zwar grosse Träume, was zu begrüssen ist – doch um wirklich etwas zu verändern in unserem Leben, müssen wir diese Träume mit der Realität konfrontieren, statt in Phantasiewelten abzudriften. Wer sich überlegt, was er zum Erreichen seines Zieles unternehmen kann und mit welchen Hindernissen er auf diesem Weg zu rechnen hat, kann seine Energie gezielt einsetzen und lässt sich auch von Rückschlägen nicht aushebeln. Psychologin Gabriele Oettingen hat auf dieser Grundlage ihre Methode WOOP entwickelt, die Aktion und Visualisation kombiniert: Wish, Outcome, Obstacle, Plan. Zunächst den Wunsch definieren, das Ergebnis visualisieren, sich auf Hindernisse einstellen – und dann einen Plan zurechtlegen, sein Ziel zu erreichen. Ihre Erkenntnisse, 2014 auf Englisch erschienen, gibt es jetzt in deutscher Taschenbuchausgabe.
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Gabriele Oettingen: Die Psychologie des Gelingens. Droemer, 2017. 272 S., CHF 17.90

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Martina Pahr

Submitted by admin on So, 02/12/2017 - 12:56
Martina Pahr

Martina Pahr ist Magister der Literaturwissenschaft, verausgabte Fernsehredakteurin, ehemalige Reiseleiterin und leidenschaftliche Schrebergärtnerin. Nebenher veranstaltet sie diverse Lesebühnen in München (wo sich kaum jemand etwas unter diesem Begriff vorstellen kann - im Grunde «Poetry Slam» ohne Wettbewerb.) Im Sommer schreibt sie gern in Schottland, im Winter in Asien und zwischendrin im Garten - wo sie sich überlegt, warum sie nichts Anständiges gelernt hat. 

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