Vom Gegner zum Feind
Aus dem Podcast «Fünf Minuten» von Nicolas Lindt.
An der Jahresversammlung der Gesellschaft Pro Schweiz, die sich für die Neutralität der Schweiz einsetzt, wurde zum Podiumsgespräch auch eine entschiedene Gegnerin der Neutralität eingeladen, denn zu einem Gespräch gehört es, dass auch die Gegenstimme zu Wort kommt. Eingeladen war Sanija Ameti, die Co-Präsidentin der Operation Libero. Sie möchte, dass die Schweiz EU-Mitglied wird, und im Ukraine-Konflikt steht sie mit ihrem Verein klar auf der westlichen, Russland feindlich gesinnten Seite.
Die Unterstützung unseres Landes für die Ukraine findet sie viel zu schwach. Die Schweiz, erklärte sie, sei auf den «Schutzschirm der Nato» angewiesen. In der Ukraine werde die «internationale Ordnung» verteidigt. Deshalb müssten auch wir der Ukraine Waffen liefern. In ihrem Bestreben, der Ukraine zu helfen, werde die Schweiz jedoch angegriffen – und zwar von innen.
Damit zielte sie auf den Nationalrat und Weltwoche-Chef Roger Köppel, der ebenfalls auf dem Podium sass. Dann sagte sie wörtlich: «Sie, Herr Köppel, mit Ihrer Weltwoche sind die fünfte Kolonne Putins in der Schweiz. Sie sind der Feind im Inneren. Sie sind der Feind, der unsere Freiheit angreift, und entsprechend werden Sie auch behandelt.»
Es geht mir nicht um den Angegriffenen, sondern um diesen Satz: «Sie sind der Feind.» Ausgesprochen hat ihn eine 31-jährige Linksintellektuelle, die als kleines Kind mit ihren Eltern aus Bosnien in die Schweiz kam, weil in Ex-Jugoslawien Krieg herrschte. Sanija Ameti erwies sich als intelligente Schülerin, weshalb sie später Rechtswissenschaften studierte und seither an ihrer Dissertation arbeitet. Vor allem aber ist sie politisch tätig und sitzt für die Grünliberalen im Zürcher Gemeinderat. Den Sprung ins Kantonsparlament schaffte sie nicht, aber damit wird ihr politischer Ehrgeiz bestimmt nicht erschöpft sein.
Ameti, die in den Mainstreammedien ein Generalabonnement besitzt, hat sich schon bisher durch provokante Äusserungen hervorgetan, die sich – wenig erstaunlich – vor allem gegen die SVP richten. Aber offenbar hält sie es inzwischen für nötig, noch deutlicher auszusprechen, was sie denkt, und deshalb sagte sie diesen Satz: «Sie sind der Feind.»
Menschen mit Wurzeln in Ex-Jugoslawien, das erlebe ich immer wieder, haben ein anderes Temperament als wir, auch wenn sie – wie Sanija Ameti – inzwischen den rotweissen Pass besitzen. Sie argumentieren direkter, kämpferischer als Schweizer mit Schweizer Wurzeln. Das hat auch damit zu tun, dass unsere Geschichte keine kriegerische Geschichte ist, sondern auf Verständigung und Ausgleich beruht. Unsere direkte Demokratie kennt eigentlich keine «Feinde». Sondern nur politische Gegner.
Natürlich sind auch Schweizer mit Schweizer Genen von niederen Instinkten nicht frei. Sanija Ameti selbst erhält nach eigenen Angaben offenbar permanent Hassmails aus der untersten Schublade. Primitive Menschen, deren persönliche Frustration in bösen, verletzenden Worten zum Vorschein kommt, gibt es zweifellos überall. Aber es ist ein Unterschied, ob Unbekannte private Hassbotschaften verschicken – oder ob eine prominente 31-jährige Akademikerin öffentlich zum Hass aufruft. Denn «Feinde» darf man hassen – während politische Gegner trotz ihrer anderen Meinung immerhin respektiert werden.
Aber eigentlich geht es mir auch nicht um Sanija Ameti. Mehr zu denken als sie gibt mir das Schweigen der Politik und der Medien. Dieselben Meinungsmacher, die sonst jeden Hass, jede Hetze verurteilen, kommentieren mit keinem Wort, welche Grenze hier überschritten wurde. Im Gegenteil – die Agitation der Operation Libero-Präsidentin ist ihnen hochwillkommen. Sie selber würden sich nicht getrauen, so deutlich zu werden. Noch nicht. Aber sie denken genauso.
Es gab in den 70er Jahren den Begriff der «klammheimlichen Freude». Gemeint war damit, dass die Linke vor allem in Deutschland den seinerzeitigen Terror der «Roten Armee Fraktion» zwar nicht guthiess, sich aber heimlich darüber freute. Dasselbe, in abgeschwächter Form erleben wir jetzt erneut. Dem verbalen Terror einer Sanija Ameti wird zwar nicht öffentlich applaudiert, aber eine «klammheimliche Freude» darüber haben sie schon, die Merinungsmacherinnen und Meinungsmacher. Auch für sie ist der politische Gegner inzwischen ein «Feind». Und der Feind darf – nach den Worten Ametis – «entsprechend behandelt werden». Eine Formulierung mit irritierend viel Spielraum. Vielleicht sogar mit Gewaltpotential.
Was in der Corona-Zeit seinen Anfang nahm, beginnt sich jetzt zu verselbständigen: Wer anders denkt, wird zum Feind. Und mit Feinden diskutiert man nicht. Immer öfter erleben wir, dass der Mainstream die andere Sicht der Dinge schon gar nicht mehr richtig zu Wort kommen lässt. Dass an Podiumsgesprächen die andere Seite schon gar keine Einladung mehr erhält. Und dass wir dieselbe Feindseligkeit – was am schlimmsten ist – sogar im privaten Bereich erleben. Man redet schon lange nicht mehr miteinander.
Eine urschweizerische Tugend geht verloren: die Tugend des Gesprächs. Die Tugend der Konkordanz. Die Tugend der Suche nach einer gemeinsamen Lösung. Es gibt keine Gegner mehr, nur noch Feinde. Das einzige, was wir selber dagegen tun können, ist uns immer wieder zu fragen: Gibt es «Feinde» für mich? Will ich Menschen mit einer anderen Haltung zu meinen «Feinden» machen? Will ich hassen?
Ich jedenfalls will es nicht.
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von:
Über
Nicolas Lindt
Nicolas Lindt (*1954) war Musikjournalist, Tagesschau-Reporter und Gerichtskolumnist, bevor er in seinen Büchern wahre Geschichten zu erzählen begann. In seinem zweiten Beruf gestaltet er freie Trauungen, Taufen und Abdankungen. Der Autor lebt mit seiner Familie in Wald und in Segnas.
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